Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Zeit für die Abrechnung
Die Europäische Zentralbank hat die geldpolitische Wende eingeläutet. Das hat Folgen für Investoren.
Sie kommen nicht von der Küste und machen auch lieber Urlaub in den Bergen? Macht nichts. Sie verstehen dennoch den Satz: „Erst bei Ebbe sieht man, wer ohne Badehose schwimmen war.“Die US-Anleger-Legende Warren Buffett hat dieses Bild vor vielen Jahren geprägt, und zwar genau für Zeiten wie diese.
Es ist die Zeit der geldpolitischen Wende. Schön wär’s, werden Sie sagen. Die Europäische Zentralbank (EZB) verordnet uns doch weiter Minuszinsen. Schon richtig. Doch die EZB hat die Wende eingeläutet. Sie lässt ihr Programm zum Ankauf von Anleihen auslaufen, das im Ergebnis wie eine weitere Zinssenkung wirkte. Und zweitens, wesentlich wichtiger, hängen die Europäer noch dem weltweiten Trend hinterher. So erhöht die US-Notenbank derzeit im Quartalsabstand ihre Zinsen um einen Viertel Prozentpunkt und ist bereits bei gut zwei Prozent angekommen. Und dem Takt der Fed folgen längst schon weitere Länder.
Für die Wirtschaft bedeuten steigende Zinsen einen höheren Preis für Geld. Liquidität wird teurer und damit auch knapper. Wenn das Geld ein Meer ist, bedeutet eine Verschärfung der Geldpolitik Ebbe. Wer wirtschaftliche Blößen hat, braucht dann eine geeignete Badehose. Nun sind Zinsen auf das Kapital in fast jedem Unternehmen ein Kostenfaktor. Steigen diese Kosten, sollte immer noch ein Gewinn übrig bleiben. Nach Zeiten lang anhaltender Niedrigzinsen wie in den vergangenen zehn Jahren gerät das leicht aus dem Blickfeld. Geld fließt dann oft in Ideen ohne Zukunft. Solche Unternehmen gehen pleite, Kapital und Arbeitsplätze werden vernichtet.
An der Börse spielt dieser Zusammenhang eine wichtige Rolle. Nicht nur, weil die Aktien von zinsmäßig wackligen Unternehmen unter die Räder kommen. Sondern auch, weil so mancher Anleger betroffen ist. Wer sich nämlich zu günstigen Konditionen Geld geliehen hat, um etwa in Aktien zu investieren, der geht bei steigenden Zinsen auf Nummer sicher und verkauft. Wer mit dem Verkauf zu lange wartet, dem drohen Verluste, wenn die Märkte ins Rutschen kommen. Was durchaus auch die Aktien grundgesunder Unternehmen treffen kann. Vor allem dann nämlich, wenn sie in der
Vergangenheit
Anleger mit hohen Dividenden verwöhnt haben.
In Zeiten niedriger Renditen gelten solche Aktien als Anleihe-Ersatz. Steigen die Zinsen wieder, fließt das Geld zurück ins Original.
All das lässt auch die Banken nicht kalt. Zwar sind steigende Zinsen für deren laufende Einnahmen ein Segen. Doch drohen eben Ausfälle auf der Kreditseite. Unternehmen mit allzu großer Zinsempfindlichkeit und Spekulanten, die schief liegen, können Banken unter Druck setzen.
Die Zeit steigender Zinsen ist eine Zeit der Abrechnung. Für sich genommen, sind alle Einzelereignisse beherrschbar. Die Gefahr liegt in den Verkettungen und gegenseitigen Abhängigkeiten. Je weiter das Wasser zurückweicht, desto mehr Gestalten ohne Badehose treten in Erscheinung. Irgendwann ist das kein erbaulicher Anblick mehr, und am Strand rennen alle weg.
Die letzte große Flucht dieser Art geschah vor zehn Jahren. Im September 2008 ging die US-Bank Lehman Brothers pleite. Auch hier spielten hohe Zinsen eine Rolle. Dieser Ablauf wird sich nicht wiederholen. Politik und Aufsicht haben Sicherheitslinien gezogen. Schlechte Nachrichten verhindert das aber nicht. Wer sein Depot fit machen will für die Zinswende, sollte also auf zwei Dinge achten: erstens auf die Solidität der Emittenten, also der Unternehmen, die hinter den jeweiligen Aktien und Anleihen stehen. Und zweitens, im Falle von Zinspapieren, auf eine relativ kurze Restlaufzeit. Solche Anlagen werden sozusagen ab Werk mit Badehose geliefert – und Sie geben sich auch bei zurückgehender Liquidität keine Blößen.
DER AUTOR IST CHEFANLAGESTRATEGE PRIVATE BANKING HSBC DEUTSCHLAND