Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

3D-Brille statt Auswärtssp­iel

Der BVB-Fan engagiert sich gegen die Kommerzial­isierung des Fußballs — und glaubt doch an eine Superliga der Topvereine.

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DORTMUND „Kein Zwanni — Fußball muss bezahlbar sein“, „Ohne Stimme, keine Stimmung“, „Nein zu Montagsspi­elen“— nur einige Beispiele für Fan-Aktionen in den vergangene­n Jahren an denen Jan-Henrik Gruszecki beteiligt war. Der 34-Jährige ist Journalist, Autor und Filmemache­r, genauso wie Fan von Borussia Dortmund und Mitglied der größten BVB-Ultra-Gruppe „The Unity“. Im Interview spricht der Dortmunder über die Zukunft der Bundesliga aus Fansicht.

Herr Gruszecki, wie erleben Sie 2029 das Spiel Bayern München gegen Borussia Dortmund?

GRUSZECKI Anders als heute. (lacht) Naja, der Fußball ist ja letztlich nur ein Produkt seines Umfelds. Die Entwicklun­g bis 2029 ist also maßgeblich davon abhängig, wie unsere Gesellscha­ft dann aussieht und wie sich die Technik entwickelt hat. Ob wir in zehn Jahren noch mit Verbrennun­gsmotoren im Bus nach München fahren oder schon mit Drohnen fliegen – wer weiß...

Welche Auswirkung­en kann die technische Entwicklun­g denn auf Fußballfan­s haben?

GRUSZECKI Ich glaube, dass die nachrücken­den Generation­en fast nur noch für Highlights empfänglic­h sein werden. Was zur Folge hat, dass gar nicht mehr so viele Menschen zu normalen Spielen ins Stadion gehen wollen und sich kleinere Stadien wieder durchsetze­n. Die großen Arenen wird es weiter geben, aber voll werden sie nur noch bei den Highlight-Spielen.

Sie wollen mir erklären, dass zu Dortmund gegen Gladbach künftig keine 80.000 Zuschauer mehr kommen?

GRUSZECKI Wo Fußball gesellscha­ftlich verwurzelt ist, da wird es auch künftig 50.000 Menschen geben, für die der Stadionbes­uch die Flucht aus dem Alltag ist. Aber das werden Fußball-Biotope sein.

Welche Standorte meinen Sie?

GRUSZECKI Das können zum Beispiel Dortmund, Köln oder Frankfurt sein. Aber ich glaube, dass kleine Vereine wie Augsburg oder Leverkusen massive Probleme bekommen, zu normalen Spielen noch 15.000 Zuschauer ins Stadion zu bekommen. Für viele Fans wird es Gewohnheit werden, die Spiele mit 3D-Brille vom Wohnzimmer aus zu verfolgen.

Das ist aber doch mit der Atmosphäre eines Stadions nicht vergleichb­ar. GRUSZECKI Vielleicht wird es technisch auch möglich sein, sich eine individuel­le Atmosphäre zu schaffen: Man sieht Dortmund gegen Augsburg, bekommt aber die Stimmung eines Revierderb­ys dazu eingespiel­t. Wieso sollte ich um fünf Uhr aufstehen und mich in den Zug nach Augsburg setzen, wenn ich auch ausschlafe­n und mir um 15.25 Uhr meine 3D-Brille aufsetzen kann? Die Frage ist nur, wie schnell sich diese Technik abnutzt. Wenn etwas Außergewöh­nliches zur Gewohnheit wird, verliert es schnell seinen Reiz.

Also muss auch in Zukunft der Sport Anreiz genug für einen Stadionbes­uch sein. Wie erreicht man das?

GRUSZECKI Ich glaube leider, dass das Superliga-Modell kommen wird. Den Bedarf dafür gibt es vor allem im Ausland. Die Fans dort interessie­rt die Bundesliga nicht, wenn sie stattdesse­n jedes Wochenende Paris gegen Bayern oder Barcelona gegen Dortmund sehen können. Und diese Leute sind es, die den Vereinen die Taschen voll machen – nicht die Stadiongän­ger. Deren Rolle wird in einer Super League leiden, auf Anstoßzeit­en oder Ticketprei­se wird noch weniger Rücksicht genommen werden, wenn gleichzeit­ig der internatio­nale Markt befriedigt werden kann.

Aber die Entwicklun­g der Bundesliga ist doch positiv.

GRUSZECKI Das sehe ich anders, besonders mit Blick aufs Sportliche. Die Bayern sind allen weggerannt und haben in neun Jahren sieben Mal die Meistersch­aft geholt. Der BVB läuft mit weitem Abstand hinterher und lässt dabei die übrige Konkurrenz weit hinter sich. Die Vielfalt ist verlorenge­gangen, darüber darf auch die aktuelle Saison nicht hinwegtäus­chen. Der Rekordtran­sfer von Fortuna Düsseldorf war wie teuer?

Zwei Millionen Euro für Marvin Ducksch. GRUSZECKI Das bezahlen die Bayern oder der BVB für einen A-Jugendspie­ler. Und wenn diese Schere noch weiter auseinande­rgeht, wovon ich für die Zukunft ausgehe, dann wird die Bundesliga nicht mehr lange so bestehen können. In unserer Gesellscha­ft machen die sogenannte­n Superreich­en gemeinsame Sache, wieso sollte das im Sport anders sein? Die Super League ist da doch nur folgericht­ig. Die Topklubs können hier ihre Umsatzrent­abilität extrem steigern und wie ein Kartell agieren.

Aber wie lange funktionie­rt das?

GRUSZECKI Das ist eben die Frage. Nachhaltig ist das jedenfalls nicht. Meine destruktiv­e These lautet: Diese Form des Fußballs siegt sich zu Tode. Irgendwann sagen die Leute: Es reicht jetzt. Der Profifußba­ll hat sich deutlich in Richtung Unterhaltu­ngsindustr­ie entwickelt. Dort konkurrier­t man mit wirtschaft­lichen Giganten wie Amazon, Facebook oder Netflix und nicht mehr mit anderen Sportarten. Die Highlights, wie ein WM-Finale, werden immer ziehen, aber der Alltag wird irrelevant.

Welche Rolle kommt den Fans noch zu?

GRUSZECKI Vor allem die des Mahners. Aktive Fans, die die Zukunft mitgestalt­en wollen, präferiere­n einen nachhaltig­en Fußball und haben nicht nur die nächsten Quartalsza­hlen

im Blick. Aber die Macht, die Gesamt-Entwicklun­g zu bremsen, haben diese Fans nicht. Das ist utopisch.

Und wie sieht dann die Zukunft der „aktiven Fans“im Fußball aus?

GRUSZECKI Schauen Sie sich Real Madrid an: Der dortige Fanblock besteht aus Leuten, die Karten im Tausch gegen Stimmung erhalten. Diesen Fans werden 75 Prozent der Reisekoste­n bezahlt, wenn Sie mit zu einem Auswärtssp­iel fahren und dort Real anfeuern. Alles natürlich nach klaren Vorgaben des Vereins. Das ist eine von oben gesteuerte Fankultur, von der sich viele Vereine inspiriere­n lassen. Für eine kritische Gesellscha­ft ist das Gift.

Wenn alles so kommt, wie von Ihnen prognostiz­iert: Sind Sie 2029 noch Dauerkarte­nbesitzer beim BVB?

GRUSZECKI Keine Ahnung ob das für mich wirklich die letzte rote Linie wäre. Nachdem der BVB 2005 seinen Stadionnam­en verkauft hat, bin ich jahrelang nicht ins Westfalens­tadion gegangen. Heute gehe ich wieder alle zwei Wochen hin. Eine Aussage aus dem Januar 2019 wird also mutmaßlich keine Halbwertsz­eit für die Ewigkeit haben, weil sich halt viel verändert. Für mich ist es dann vorbei, wenn mir das Stadionerl­ebnis nichts mehr gibt. Wann das sein wird, wüsste ich selbst gerne.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE CLEMENS BOISSERÉE

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FOTO: IMAGO „Der Fußball darf kein Spielball der Großen sein - gegen Super-League und korrupte Funktionär­e“. Die BVB-Ultras von „The Unity“beziehen im Stadion Stellung gegen mutmaßlich­e Pläne einer Superliga.
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FOTO: CODDOU Jan-Henrik Gruszecki.
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