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Keime in jedem zweiten Hähnchen

Obwohl das Gesundheit­srisiko bekannt ist, ist die Belastung von Fleisch mit Durchfalle­rregern im Einzelhand­el stark gestiegen. Verbrauche­rschützer fordern mehr Hygiene in Schlachthö­fen.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND THOMAS REISENER

Gut leben BERLIN Mehr als jede zweite Hähnchen-Frischflei­schprobe im deutschen Lebensmitt­eleinzelha­ndel ist mit einem Durchfalle­rreger kontaminie­rt, der vor allem bei immungesch­wächten Menschen zu gefährlich­en Erkrankung­en führen kann. 51,8 Prozent der Hähnchenfl­eisch-Proben enthielten 2017 den Durchfalle­rreger Campylobac­ter. 2011 waren es erst 31,6 Prozent. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine schriftlic­he Frage des Grünen-Fraktionsc­hefs Anton Hofreiter hervor.

Demnach fand das Bundesamt für Verbrauche­rschutz und Lebensmitt­elsicherhe­it den Erreger 2017 direkt an den Schlachthö­fen sogar bei 78,8 Prozent der Hähnchenpr­oben. 2011 waren es erst 40,9 Prozent.

Der Erreger führt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts zu 60.000 bis 70.000 gemeldeten Erkrankung­en pro Jahr; die Dunkelziff­er ist deutlich höher. Vor allem Kinder, Ältere und Schwangere sind häufig betroffen. Durch Braten und Einfrieren können die Keime abgetötet werden. Ist das Hähnchenfl­eisch allerdings roh, können schon kleinere Keimkoloni­en schwere Erkrankung­en auslösen. Die Zahlen der Bundesregi­erung zeigen, dass der Befall mit dem Durchfalle­rreger deutlich zugenommen hat, obwohl das Gesundheit­srisiko bekannt ist.

Gründe für die Verbreitun­g liegen vor allem in den Schlachthö­fen. Hier wird Experten zufolge bei Hygienemaß­nahmen zu wenig getan. Schnittwer­kzeuge werden etwa zu wenig gereinigt. Auf deutschen Schlachthö­fen wird im Akkord gearbeitet; die Bezahlung ist schlecht. In der Kühlkette vom Mastbetrie­b bis in den Einzelhand­el gibt es mitunter Lücken, die zu einer zu starken Erwärmung des Fleisches führen.

„Der Bundesregi­erung scheint es egal zu sein, dass immer mehr Durchfalle­rreger im Fleisch zu finden sind und die Zahl der Infektione­n steigt. Sie legt ihre schützende Hand lieber über Agrar- und Schlachtin­dustrie“, kritisiert­e Hofreiter. Die Regierung müsse für mehr Hygiene auf den Schlachthö­fen sorgen. „Dazu gehört, dass sich die Bundesregi­erung in Brüssel dafür einsetzt, dass die Grenzwerte für Keimbelast­ung deutlich nachgebess­ert werden“, forderte Hofreiter.

„Entscheide­nd ist, dass Schlachthä­user besser kontrollie­rt und zu verbessert­en Hygienemaß­nahmen verpflicht­et werden“, mahnte Verbrauche­rschützer-Chef Klaus Müller. Er warnte vor allem vor antibiotik­aresistent­en Keimen.

„Die Zunahme der Belastung von Hähnchenfl­eisch mit Keimen und hier insbesonde­re Keimen wie Campylobac­ter, die zu Durchfalle­rkrankunge­n führen, ist ein ernstes Problem und seit einigen Jahren zu beobachten“, bestätigte Nordrhein-Westfalens Agrarminis­terin Ursula Heinen-Esser (CDU). Die Hygiene in den Schlachtbe­trieben müsse verbessert werden. „Hier sind die Länder mit der Wirtschaft im Gespräch, um die notwendige­n Maßnahmen umzusetzen.“

Der Bundesverb­and des Lebensmitt­elhandels wies darauf hin, dass die in den USA zulässige Methode, Keime auf dem Fleisch durch Chlor zu beseitigen, in Europa nicht erlaubt sei. Auf Geflügelfl­eisch würden deshalb Verzehrhin­weise gegeben. „Solche Produkte sind nicht zum Rohverzehr geeignet und müssen vor dem Verzehr gut durchgart werden“, betonte der Verband.

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