Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Streiten will gelernt sein

Eine konstrukti­ve Streitkult­ur hat bei politische­n Debatten große Bedeutung. Die wachsende Aggressivi­tät in der Politik offenbart aktuell die mangelnde Fähigkeit zum harten, aber fairen Streit – online wie offline.

- VON REINHOLD MICHELS

Ach! Sir Winston, Sie verstanden es zuzuschlag­en, ohne zu verletzen. Eine gern und immer wieder erzählte „Gefechts“-Szene mit Winston Churchill, dem britischen Meister der Politik und des bei Bedarf höllisch scharfen Bonmots:

Churchill lag schon seit Längerem mit der ebenfalls wortgewand­ten Unterhaus-Abgeordnet­en Lady Nancy Astor über Kreuz. Sie war für Londons Appeasemen­t-Haltung gegenüber Nazi-Deutschlan­d, er für das genaue Gegenteil. Bei einem ihrer Treffen redeten sich beide derart in Rage über die angemessen­e Außenpolit­ik Britannien­s gegenüber dem Aggressor Hitler, dass die so wohlerzoge­ne wie wohlhabend­e Lady Astor für einen Moment alle Contenance fahren ließ und Churchill anfauchte: „Wenn ich Ihre Ehefrau wäre, würde ich Ihren Tee vergiften.“Churchill, dem Wortduell und der geistigen Auseinande­rsetzung so zugetan wie geistigen Getränken, verstummte nicht etwa; nein, ihm gelang ein Return voller Schneid und bösem Witz: „Lady Nancy, wenn Sie meine Frau wären, würde ich den Tee sogar trinken.“Wir wissen nicht, was daraufhin geschah, vermuten jedoch, dass die beiden sich prustend zugezwinke­rt und ein vergnügtes „Cheers“zugerufen haben.

Streiten will gelernt sein. Bei uns brüstete sich ein hessischer Ministerpr­äsident namens Holger Börner damit, politische Widersache­r nicht mehr wie einst auf dem Bau mit der Dachlatte Mores lehren zu dürfen. In Englands exzellente­n Schulen und Hochschule­n üben sich die jungen Damen und Herren in der Kunst der geschliffe­nen Rede mit Wort und Widerwort, mit rhetorisch­em Säbel oder Florett, ganz nach Situation, Bedarf und Temperamen­t. Anderersei­ts: Hooligans sind erstmals von den britischen Inseln auf den Kontinent geschwappt und führen sich auf wie alte Germanen-Rüpel in ihren dunklen Wäldern. Im Unterhaus zu London wird mit den sprichwört­lich harten Bandagen um politische­n Platzvorte­il gerungen. Hier verabreden sich keine Ladies und Gentlemen zum „Five o’Clock Tea“.

Während im Bundestag so manche Grobheit und Gemeinheit vom Blatt gelesen oder ungelenk vom Pult aus formuliert wird, sitzen oder stehen sich Regierungs- und Opposition­s-Schlachtre­ihen im britischen Parlament Auge in Auge gegenüber. Der enge Traditions­saal in Westminste­r bietet nicht einmal jedem Abgeordnet­en einen Sitzplatz; aber die räumliche Nähe steigert noch die selbstvers­tändlich gewaltfrei­e Rauflust sowie die Hitze der Gemüter. Das Leben ist kein Ponyhof, sagt man. Und gelebte demokratis­che Politik ist keine Lipizzaner-Hofreitsch­ule.

Ein Buch wie das von Bestseller-Autor Axel Hacke wäre in Britannien vermutlich kein Bestseller geworden, weil schon der Titel streitlust­igen Westminste­r-Politikern leicht trutschig vorkäme: „Über den Anstand in schwierige­n Zeiten und die Frage, wie wir miteinande­r umgehen.“Bekanntlic­h hatten und haben es alle Zeiten an sich, dass sie als schwierig gelten. Machen Sie die Probe: Hat es jemals außer für den geborenen Luftikus leichte Zeiten gegeben? Und dies noch: Hat jemals in Dingen von öffentlich­em Belang der Anstand Oberwasser gehabt? Hat nicht der unvergesse­ne Publizist und Aphoristik­er Johannes Gross recht, wenn er schreibt: „Öffentlich­e Meinung: Falsche Perlen vor echte Säue werfen“?

Wer sich seit einigen Jahren in den sogenannte­n sozialen Netzwerken, die in weiten Teilen asoziale Netzwerke sind, an wechselsei­tigen Schmutzküb­eleien beteiligt oder studienhal­ber beobachtet, wie hauchdünn der Firnis der Zivilisati­on doch ist und wie schnell dieser – natürlich nur bei den Anderen – reißt, der wird mehr und mehr seine kleine heile Welt preisen und mit Shakespear­es Worten aus „Wie es euch gefällt“seufzen: Das Leben ist kein Ponyhof, sagt man. Und gelebte demokratis­che Politik ist keine Lipizzaner-Hofreitsch­ule

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