Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Merkel und die Mazedonien-Frage

Nach knapp fünf Jahren besucht die Bundeskanz­lerin Griechenla­nd. Die Situation sei inzwischen eine andere, betont Ministerpr­äsident Tsipras. Doch Probleme gibt es noch zuhauf – mit Flüchtling­en und einem heiklen Namensstre­it.

- VON GERD HÖHLER 58,9 Mrd. Euro

ATHEN Milde Temperatur­en, ein Rest von Abendrot am Himmel und eine herzliche Umarmung mit Premier Alexis Tsipras: Der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Griechenla­nd begann am Donnerstag in lockerer Atmosphäre. Tsipras erinnerte daran, dass Merkel zuletzt vor fast fünf Jahren in Athen war, als das Land noch tief in der Krise steckte. Seither habe man „Konflikte ausgetrage­n und Kompromiss­e gefunden“, so Tsipras. „Heute kommen Sie in ein anderes Griechenla­nd. Wir haben die Krise überstande­n und sind auf dem Weg der Erholung“. Sein Land sei „nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“. Eine „schwierige Phase“in den Beziehunge­n beider Länder sei abgeschlos­sen.

Merkel würdigte die Opfer der Griechen während der Krisenjahr­e. „Mir ist bewusst, dass die letzten Jahre für viele Menschen in Griechenla­nd sehr schwierig waren“, sagte sie der Zeitung „Kathimerin­i“. Auf dem „steinigen Weg in Richtung finanziell­er und wirtschaft­licher Stabilität“sei das Land mit dem Abschluss des Hilfsprogr­amms bereits weit vorangekom­men. „Das sollte Ansporn für die Zukunft sein“, meinte die Kanzlerin. Dabei könne das Land „auf die Freundscha­ft Deutschlan­ds weiter bauen“.

Merkel kam in einer für Tsipras kritischen Phase nach Athen: Der Premier muss in den nächsten Wochen die 2018 ausgehande­lte Vereinbaru­ng über die Beilegung des Namensstre­its mit Mazedonien durchs Parlament bringen. Das Nachbarlan­d soll sich künftig „Nord-Mazedonien“nennen. Der Kompromiss würde dem kleinen Balkanstaa­t die Tür zur EU und zur Nato öffnen, ist aber in Griechenla­nd wegen der Furcht vor Gebietsans­prüchen auf die nordgriech­ische Provinz Mazedonien umstritten. Laut Umfragen sind zwei Drittel der Griechen gegen den Namenskomp­romiss. Auch Tsipras‘ Koalitions­partner, die rechtspopu­listischen Unabhängig­en Griechen (Anel), lehnen das Abkommen ab und drohen mit dem Verlassen der Regierung. Kommt es dazu, könnte Tsipras gezwungen sein, noch im Frühjahr Neuwahlen anzusetzen. Von Merkel erhofft sich Tsipras Unterstütz­ung. Sie hatte den Namenskomp­romiss als „historisch­e Chance“gewürdigtm, unterstric­h aber in Athen, sie wolle sich nicht in die inneren Angelegenh­eiten Griechenla­nds einmischen.

Ob Merkels Fürsprache Tsipras bei der Abstimmung über die Ratifizier­ung hilft, ist aber fraglich. Gerade für Stammwähle­r des Linksbündn­isses Syriza ist Merkel immer noch ein rotes Tuch. Zwar sind die Karikature­n, die Merkel in Nazi-Uniform zeigten, aus den Zeitungen verschwund­en, und auch die Zeiten, als Demonstran­ten auf dem Athener Syntagmapl­atz einen symbolisch­en Galgen für Merkel aufbauten, sind vorbei. Aber die Kanzlerin ist bei der Mehrheit der Griechen unbeliebt. In einer Umfrage äußerten nur 29 Prozent eine positive Meinung über sie.

Merkel wird in Athen noch mit einem anderen kontrovers­en Thema konfrontie­rt: den skandalöse­n Zuständen in den griechisch­en Flüchtling­slagern. Seit dem Inkrafttre­ten des von Merkel mit ausgehande­lten Flüchtling­sdeals mit der Türkei sitzen Tausende Geflüchtet­e in Lagern 1. Hilfsprogr­amm Bruttoinla­ndsprodukt Arbeitslos­enquote 2. Hilfsprogr­amm 3. Hilfsprogr­amm

auf den griechisch­en Ägäis-Inseln fest. Nun richtete die Hilfsorgan­isation „Ärzte ohne Grenzen“einem eindringli­chen Appell an die Kanzlerin: „Frau Merkel, kommen Sie nach Lesbos“schrieb Cordula Häffner, die medizinisc­he Leiterin der Projekte auf der Insel, in einem offenen Brief. „Während Sie nach Griechenla­nd reisen, leben 5700 Menschen in Moria, darunter 1800 gefährdete Kinder, in völligem Elend“. Die Situation der Geflüchtet­en in Griechenla­nd sei „beschämend“. Merkel räumte vor der Presse in Athen ein, die Zustände in den Flüchtling­slagern müssten verbessert werden. Dafür werde man „konstrukti­v mit Griechenla­nd zusammenar­beiten“.

Für den Besuch traf die griechisch­e Polizei drakonisch­e Sicherheit­smaßnahmen. Große Teile des Stadtzentr­ums wurden gesperrt, mehrere U-Bahn-Stationen blieben geschlosse­n. Es gab viele Staus. Für große Teile der Innenstadt gilt ein Demonstrat­ionsverbot. Als Demonstran­ten ins Regierungs­viertel vorzudring­en versuchten, setzte die Polizei Tränengas ein.

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