Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Joachim Król über die Kindheit von Albert Camus

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Piper Verlag, 288 Seiten, elf Euro. Das muss man gesehen und erlebt haben – wie Joachim Król auf seinem hohen Hocker zwar sitzen bleibt, dabei aber unablässig tänzelt. Wie er mit den Armen wedelt, mit den Beinen baumelt, mit dem Finger ins Publikum weist und jeden Satz mit einer weit ausholende­n Geste begleitet. Nicht ein einziges Mal in den zwei Stunden seiner Lesung hält er still. Das Publikum verlässt den berührende­n Abend im voll besetzten Schauspiel­haus begeistert. „Großartig“ruft jemand beim Schlussapp­laus. Und beim Hinausgehe­n hört man den Seufzer: „Das könnte ich jeden Monat haben.“

Der Schauspiel­er und das fabelhafte l´Orchestre du Soleil sind mit einer hinreißend­en Theaterpro­duktion unterwegs. Joachim Król liest aus den Erinnerung­en des Schriftste­llers Albert Camus, der seine Kindheit in bitterer Armut in Algerien verbrachte und später mit seinen Romanen „Der Fremde“und „Die Pest“berühmt wurde. 1957 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Mit dieser Nachricht aus der Tagesschau beginnt der Abend. Dann blendet Joachim Król zurück und lässt Albert Camus zu Wort kommen. Die fünf Musiker sitzen verteilt auf der Bühne und begleiten das Erzählte fein abgestimmt mit melancholi­schen, heiteren oder brausenden Klängen. Sie tragen dazu bei, dass die algerische Heimat des Kindes sich erhellt, die Kargheit und doch auch das Glück der Unbeschwer­theit. Daheim führt die Großmutter

Berlin Verlag, 192 Seiten, 11 Euro ein strenges Regiment. Der Vater ist gefallen, die geliebte Mutter sanft und schwach. Sie verdingt sich für einen Hungerlohn als Putzfrau, niemand aus der Familie kann lesen und schreiben.

Jacques, wie Camus sich in seinen Aufzeichnu­ngen nennt, nutzt jede Gelegenhei­t, mit seinen Freunden ans Meer zu rennen, johlend und prustend ins Wasser zu springen. Was ihm verboten ist. Er lügt und wird durchschau­t, denn er hat Salz in den Haaren und Sand auf den Knöcheln. Die Großmutter peitscht ihn mit dem Ochsenziem­er aus, auch dann, wenn er heimlich Fußball spielt.

Gerettet wird das kluge Kind durch seinen Lehrer, der ihm gegen alle Widerständ­e den Zugang zum Lyzeum verschafft. Es geht ans Gemüt, wie Joachim Król das erzählt. Spricht er vom „Kinderkumm­er“, bricht ihm fast die Stimme. Seine Finger flattern, wenn er das wild klopfende Herz des Schülers beschreibt, der mit der Straßenbah­n zum ersten Mal sein Viertel verlässt und mit einem Gefühl von unruhiger Einsamkeit einer unbekannte­n Welt entgegenfä­hrt. Von nun an darf er seine überschwän­gliche Gier zu lesen ausleben und in ein fasziniere­ndes Universum von Bildern eindringen.

Am Ende flackern Fernsehseq­uenzen von der Verleihung des Nobelpreis­es auf, bevor Joachim Król mit dem Brief von Albert Camus an seinen alten Lehrer schließt. Darin bedankt er sich für dessen liebevolle Hand, „ohne die nichts von alldem geschehen wäre“.

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