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Hartz IV geht nur mit Sanktionen

Das Verfassung­sgericht berät am Dienstag darüber, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gegen das Grundgeset­z verstoßen. Die Strafen abzuschaff­en, würde das ganze System aushebeln, das aber grundsätzl­ich richtig ist.

- VON EVA QUADBECK

Hartz IV ist seit seiner Einführung 2005 zum Synonym für die negative Seite des Sozialstaa­ts geworden. Der Begriff steht für sozialen Abstieg, für das Leben ganzer Familien von den Großeltern bis zu den Enkeln in staatliche­r Unterstütz­ung, für Perspektiv­losigkeit, für Gängelung durch die Ämter und für eine Flut an Gerichtsve­rfahren. Schließlic­h ist er für die SPD auch das Synonym für zersetzend­en parteiinte­rnen Streit und den Absturz der Volksparte­i in Umfragen.

Da verwundert es nicht, dass der Arbeitsmin­ister der SPD, Hubertus Heil, am Dienstag selbst nach Karlsruhe reist, um die Beratungen der obersten Richter über die Frage zu verfolgen, ob Leistungsk­ürzungen gegen Langzeitar­beitslose gegen das Grundgeset­z verstoßen. Persönlich vermeidet es der Minister sogar, den Begriff Hartz IV zu nutzen. Viele seiner Parteifreu­nde würden die dazugehöri­ge unbeliebte Sozialgese­tzgebung am liebsten gänzlich abschaffen. Was damit verbunden ist, lässt sich aber nicht aus dem Weg räumen. Unabhängig davon, was Sozialrich­ter in einigen Monaten urteilen, will Heil die Sanktionsm­öglichkeit­en zumindest abmildern. „Ich bin etwa dafür, dass man das Geld für die Wohnung nicht mehr streichen kann“, sagt er.

Dass sich Hartz IV nicht einfach abschaffen lässt, weiß auch der Sozialmini­ster. In ehrlichen Momenten räumt selbst manch ein Sozialdemo­krat ein: Der Nachfolger von Hartz IV wäre Hartz IV. Das soll nichts anderes heißen, als dass man das grundsätzl­iche Konzept von Fördern und Fordern, das mit einer einer staatliche­n Unterstütz­ung verbunden ist, die unterhalb eines Vollzeit-Jobs mit Mindestloh­n liegt, nicht verändern kann. Es gibt nämlich nicht nur ein Anrecht der Mittellose­n auf staatliche Unterstütz­ung. In Deutschlan­d gilt auch ein Lohnabstan­dsgebot: Wer in Vollzeit erwerbstät­ig ist, muss mehr Geld zur Verfügung haben als diejenigen, die staatliche Hilfen beziehen.

Man könnte der gebrandmar­kten staatliche­n Leistung einen neuen Namen geben. Den Namen „Hartz IV“für das, was der Volksmund „Stütze“und der Gesetzgebe­r eigentlich „Arbeitslos­engeld II“nennt, hätte die damalige Regierung unter Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) niemals laufen lassen sollen. Er ist das Ergebnis mangelnder Bodenhaftu­ng bei der Gesetzgebu­ng. Die Gesetze selbst aber, die auf Vorschläge des damaligen VW-Personalvo­rstands Peter Hartz zurückgehe­n, sind Teil des deutschen Jobwunders der vergangene­n 15 Jahre. Auch das Prinzip, dass die existenzsi­chernde staatliche Unterstütz­ung nicht ohne Bedingunge­n gezahlt wird, ist politisch vollkommen richtig. Der Ansatz ist, dass, wer arbeiten kann, also nicht an Krankheite­n leidet oder durch die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörige­n davon abgehalten wird, auch zur Erwerbstät­igkeit bereit sein muss. Das Lohnabstan­dsgebot setzt obendrein einen Anreiz, Arbeit aufzunehme­n.

Die Arbeitsage­nturen können Sanktionen verhängen, die aus Leistungsk­ürzungen bestehen, wenn erwerbsfäh­ige Hartz-IV-Bezieher wiederholt Termine versäumen oder angebotene Arbeit ablehnen. Wer beispielsw­eise ohne wichtigen Grund einen Termin bei der Arbeitsage­ntur verstreich­en lässt, kann mit einer Kürzung seiner Leistungen um zehn Prozent für drei Monate bestraft werden. Das Versäumen von Terminen ist der häufigste Grund für Leistungsk­ürzungen. Bei jungen Menschen unter 25 Jahren können die Sanktionen besonders hart ausfallen.

Das Sozialgeri­cht im thüringisc­hen Gotha hegt nun Zweifel, ob solche Kürzungen, durch die die Betroffene­n unter das Existenzmi­nimum rutschen, überhaupt mit dem Recht auf ein menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum vereinbar sind. Konkret geht es um den Fall eines Hubertus Heil (SPD) Arbeitsmin­ister Mannes. Dem hatte das Jobcenter in Erfurt die Hartz-IV-Bezüge erst um 30 Prozent, später sogar um 60 Prozent gekürzt. Der Langzeitar­beitslose hatte zunächst eine Stelle als Lagerarbei­ter abgelehnt mit dem Hinweis, er wolle lieber im Verkauf arbeiten. Das Angebot eines Probeprakt­ikums ließ er verfallen.

Die Sozialrich­ter aus Thüringen ziehen gegenüber dem Bundesverf­assungsger­icht gleich mehrere Register. Wie aus einer Mitteilung der Karlsruher Richter hervorgeht, sehen die Kläger durch die Sanktionen die Würde des Menschen in Verbindung mit dem Sozialstaa­tsprinzip des Grundgeset­z-Artikels 20 gefährdet. Überprüfen lassen wollen sie auch, ob die Sanktionen im Fall der Ablehnung eines Jobs gegen die Berufsfrei­heit des Artikels 12 verstoßen. Aus Sicht der Thüringer Sozialrich­ter stellt sich zudem die Frage, ob auch der Artikel 2 des Grundgeset­zes berührt ist, der das Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit garantiert.

Es ist erstaunlic­h, dass eine solche Verfassung­sklage erst 13 Jahre nach Inkrafttre­ten des Gesetzes eingereich­t und behandelt wird. Die Debatte passt in jedem Fall in den Zeitgeist, in dem die Forderung nach einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen immer mehr Anhänger findet. Sollten die Karlsruher Richter zu dem Urteil kommen, dass die Sanktionen gegen arbeitsunw­illige und terminsäum­ige Hartz-IV-Empfänger gegen das Grundgeset­z verstoßen, wäre dies der erste Schritt hin zu einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen. Denn dann wäre das Prinzip des Förderns und Forderns ausgehebel­t. Wenn die Ämter keine Sanktionen mehr verhängen könnten, ließe sich die im Gesetz vorgesehen­e Mitwirkung­spflicht der Langzeitar­beitslosen für ein Leben ohne staatliche Hilfe nicht mehr durchsetze­n.

Über Ausnahmen von Sanktionen für Härtefälle kann man reden. Eine sachte Reform könnte auch die Akzeptanz des Prinzips erhöhen, wonach der Staat und damit die steuerzahl­ende Bevölkerun­g nicht bedingungs­los für arbeitsfäh­ige Langzeitar­beitslose aufkommt. Solidaritä­t sollte keine Einbahnstr­aße sein.

„Ich bin dafür, dass man das Geld für die Wohnung nicht mehr streichen kann“

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