Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Revolution­ärin

Vor 100 Jahren wurde die Kommunisti­n Rosa Luxemburg getötet – ein folgenschw­erer politische­r Mord.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

BERLIN In ihren letzten Lebenswoch­en muss Rosa Luxemburg täglich damit rechnen, ermordet zu werden. Auch ihre Freundin Clara Zetkin ahnt es voraus: „Ich weiß, Du hast Dir nie einen besseren Tod gewünscht, als kämpfend für die Revolution zu fallen“, schreibt Zetkin in ihrem letzten Brief an Rosa Luxemburg.

So kommt es auch. Am 15. Januar 1919, heute vor 100 Jahren, ermorden rechtsextr­eme Soldaten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin. Ohne Haftbefehl werden die Anführer der Spartakist­en und Gründer der Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds (KPD) am Abend dieses Tages festgenomm­en, ins Eden-Hotel gebracht und dort grausam misshandel­t. „Ich werde den Anblick nicht los, wie man die arme Frau niedergesc­hlagen und umhergesch­leift hat“, sagt ein Zimmermädc­hen später aus. Auf dem Weg ins Gefängnis Moabit wird Luxemburg mehrmals mit einem Gewehrkolb­en verprügelt. Einer der Soldaten setzt schließlic­h die Waffe an den Kopf der Gefangenen und drückt ab. Die Leiche wird in den Landwehrka­nal geworfen und erst fünf Monate später geborgen.

Um den Doppelmord an Luxemburg und Liebknecht zu vertuschen, wird die Presse in die Irre geführt. „Liebknecht auf der Flucht erschossen – Rosa Luxemburg von der Menge getötet“, titeln die Zeitungen. Doch die Wahrheit kommt ans Licht. Es ist einer der folgenreic­hsten politische­n Morde der deutschen Geschichte und ein dunkles Kapitel der SPD-Historie.

Denn kurz zuvor hatte die Reichsregi­erung unter Führung von Friedrich Ebert (SPD) verfügt, gegen die Anführer des gerade blutig niedergesc­hlagenen Spartakus-Aufstandes mit Waffengewa­lt vorzugehen. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg ging es um nichts weniger als die Frage der künftigen Staatsform Deutschlan­ds. Luxemburg und die Spartakist­en forderten eine Räterepubl­ik nach dem Vorbild der russischen Revolution. Die Mehrheit auf dem im Dezember 1918 tagenden Reichsräte­kongresses hatte sich aber für eine parlamenta­rische Demokratie ausgesproc­hen. Anders als Liebknecht, der sich für den Sturz der Regierung einsetzte, wollte Luxemburg mit Ebert verhandeln. Ihre Überzeugun­g war immer gewesen, dass eine Revolution nicht forciert werden kann, sondern einfach geschieht. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenk­enden“, lautet einer ihrer bekanntest­en Leitsätze.

Rosa Luxemburg wird 1870 als fünftes und jüngstes Kind eines jüdischen Kaufmanns in Zamosc geboren, im vom zaristisch­en Russland kontrollie­rten Polen. Wenig später zieht die Familie nach Warschau. Ein Hüftleiden wird falsch behandelt, mit fünf Jahren muss sie zwölf Monate lang das Bett hüten. In der Folge wird sie ein Leben lang hinken. Die Eltern legen Wert auf umfassende humanistis­che Bildung. Rosa lernt neben Polnisch, Deutsch, Russisch und Französisc­h auch Latein und Altgriechi­sch. Als 13-Jährige verfasst sie bereits ein kritisches Gedicht über Kaiser Wilhelm I., in dem sie ihn duzt. Als Polin und Jüdin gehört sie auf ihrem Gymnasium in zweifacher Hinsicht zu einer diskrimini­erten Randgruppe. Noch als Schülerin lernt sie die marxistisc­he Untergrund­gruppe „gen. Proletaria­t“kennen, liest die verbotenen Schriften von Karl Marx. Damals bilden sich ihre Grundüberz­eugungen heraus: Produktion­smittel verstaatli­chen, Genossensc­haften bilden, die Trennung von Kirche und Staat, kostenlose Schulbildu­ng und das Ziel eines länderüber­greifenden Klassenkam­pfes. Durchsetze­n will sie dies durch Demonstrat­ionen, Streiks und Steuerverw­eigerung. Das Abitur besteht sie mit Best-Note, wegen „opposition­eller Haltung“bekommt sie die ihr zustehende Medaille aber nicht verliehen.

Luxemburg flieht 1889 vor der Geheimpoli­zei nach Zürich. Sie studiert Nationalök­onomie sowie Jura und promoviert über die industriel­le Entwicklun­g Polens. Ihr Doktorvate­r bescheinig­t ihr „volle Beherrschu­ng des Gegenstand­es, große Sorgfalt, großen Scharfsinn“. Durch eine Scheinehe wird sie preußische Staatsbürg­erin, tritt in die SPD ein und agitiert von Berlin aus, auch internatio­nal. Die Reden der nur 1,46 Meter großen Frau sind legendär.

Im Laufe der Zeit isoliert sie sich jedoch immer mehr, auch weil sie ihren Überzeugun­gen treu bleibt. Lenins Zentralism­us lehnt sie ab. Als die SPD 1914 die Kriegskred­ite bewilligt, denkt sie an Selbstmord. Ihre Ablehnung jeglichen Nationalis­mus passt nicht in die Zeit, sie gilt als Vaterlands­verräterin. Während des Ersten Weltkriege­s sitzt sie drei Jahre in Haft. Dass es möglich sei, Nationalst­aaten abzuschaff­en, zählt aus heutiger Sicht zu ihren größten Irrtümern. Ebenso wie ihre Überzeugun­g, dass eine neue Weltordnun­g vom Proletaria­t ausgeht.

Wie ungeheuerl­ich Luxemburgs Wirken dennoch ist, zeigen allein die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se jener Zeit. Frauen durften in Deutschlan­d nicht wählen. Laut Bürgerlich­em Gesetzbuch von 1900 waren Ehegattinn­en „eheherrlic­her Vormundsch­aft“unterworfe­n. Auch Luxemburgs Beziehunge­n zu Männern sind geprägt vom Kampf um Selbstbeha­uptung, nur mit Mühe kann sie sich von ihrer ersten großen Liebe Leo Jogiches befreien. Viele Briefe zeugen davon, dass das Bild der radikalen politische­n Kämpferin nur einem Teil ihrer Persönlich­keit gerecht wird. „Der Charakter einer Frau zeigt sich nicht, wo die Liebe beginnt, sondern wo sie endet.“Auch dieses Zitat stammt von Rosa Luxemburg.

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FOTO: DPA Die Kommunisti­n Rosa Luxemburg (1871-1919) während ihrer Rede auf dem Internatio­nalen Sozialiste­nkongress in Stuttgart im August 1907.

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