Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Singen, tanzen und lachen gegen Vorurteile
Eine anregende Kooperation zwischen zwei Kontinenten – beim Stück „Imagination TV“hatten die Zuschauer sichtbar viel Spaß.
Noch im Foyer fangen alle an zu singen. Die Schauspielerinnen Selin Dörtkardes und Jennifer Ijeoma Agabata, der Musiker Michael Olabode Ajimati. Und auch die Zuschauer. Es ist ein einfaches, eingängiges Lied, das sofort gute Laune macht. Dann zieht die Karawane mit lautem Gesang die Treppe hinauf und entert die Studiobühne im Jungen Schauspiel. Eine fröhliche Einstimmung auf die Premiere von „Imagination TV – Wie fern kannst du sehen?“, eine Kooperation des Theaters mit „Kininso Koncepts Productions“aus Lagos. Der nigerianische Regisseur Joshua Ademola Alabi Nigeria hat die Uraufführung in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Dramaturgin Kirstin Lea Hess für ein jugendliches Publikum ab zehn Jahre konzipiert. Locker aneinandergereihte Szenen, die ohne festes Manuskript als gemeinschaftliches „work in progress“entstanden sind.
„In Deutschland arbeitest du und dann nimmt dir die Regierung alles wieder weg“
Jennifer Ijeoma Agabata Schauspielerin
Selin Dörtkardes (sie trägt die gleichen weiten afrikanischen Hosen wie Jennifer Ijeoma und Michael Olabode Ajimati) übernimmt das Kommando: „Wir viele Deutsche sind hier?“Zahlreiche Hände fliegen hoch, mehr als 80 werden gezählt. „Wie viele aus Nigeria?“Drei. „Was haben wir noch?“Ein ganzes Spektrum, wie sich zeigt, darunter Gäste aus Afghanistan, Österreich, Russland, Polen, dem Iran und der Schweiz. Dann drehen die Schauspielerinnen auf, überschütten einander mit kruden Vorurteilen, machen der anderen ihre jeweilige Heimat madig. Selin steigt ein, sie spöttelt über die großen Münder der Afrikaner, die filzigen Dreadlocks, die bunten Klamotten, das allgegenwärtige Chaos im Land.
Jennifer weiß sich zu wehren: „Ihr habt keine Ahnung, wie man Haare stylt. In Deutschland arbeitest du, wirst bezahlt, und dann nimmt dir die Regierung alles wieder weg für die Steuern“, sagt sie. Ihr schärfstes Argument: „Ihr wisst nicht, wie man glücklich ist. Wir haben nicht alles, aber wir sind glücklich.“Als beide ordentlich Dampf abgelassen und die Gemüter sich beruhigt haben, nähern sich Selin und Jennifer einander an. Sie beäugen sich, schneiden Grimassen, zupfen sich an den Haaren, betrachten ihre entblößten Bäuche, vergleichen die Farbe ihrer Haut.
Und zu allem trommelt Michael, ein lustiger Kerl, den die Zuschauer sofort ins Herz schließen. Die meisten Spielszenen in „Imagination TV“überzeugen und berühren. Jennifer erzählt von ihrer Kindheit. Von den amerikanischen und europäischen Büchern, die sie las, den Geschichten von blauäugigen Menschen im Schnee, die sie sich danach ausdachte. Im sicheren Glauben, dass in Büchern nur Fremde vorkamen. „Wir hatten keinen Schnee, wir aßen Mangos, afrikanische Bücher gab es kaum“, erklärt sie. Hübsch auch, wie die Schauspielerinnen ihre Namen verdeutlichen. Selin, so die Deutsch-Türkin aus Berlin, bedeute so viel wie Frische, Energie und fließendes Wasser.
In Jennifers Nachnamen Agabata stecken die Wörter „König für einen Tag“und „glückliche Reise“. Klischees werden herausgekitzelt und auf den Kopf gestellt. Danach tanzt und musiziert man in Deutschland auf den Straßen, es ist gefährlich, überall lauern wilde Tiere. In Nigeria dagegen gibt es Geld im Überfluss, es ist ein sicheres Land. Selin freut sich, es kennenzulernen. Und darauf, „dass es dort einfach mal leise sein wird“. Angenehm gelöst ist das Miteinander der Sprachen. Jennifers englische Texte werden von Selin auf Deutsch wiederholt, so dass auch Kinder ohne große Englischkenntnisse dem Geschehen folgen können. Schön zu sehen, wie die beiden jungen Frauen sich mit überwältigender Kondition verausgaben, wie sie sich an Spielwitz und Dynamik ebenbürtig sind.
Mit Selin Dörtkardes hat das Düsseldorfer Ensemble eine wunderbar kraftvolle Schauspielerin, die auch hier zur Hochform aufläuft. Schwächer geraten sind einige Passagen, die allein mit Bewegung und Tanz gefüllt werden. Oder die stumm verlaufen – wie das Anmalen der Bäuche, dessen Sinn sich nicht sofort erschließt. Diese Szenen ziehen sich bisweilen arg hin und bremsen den Fluss der Geschichte unnötig aus. Hier täte ein wenig Straffung gut, sie würde die positive Essenz des Stücks nicht schmälern. Gegen Ende der 90 Minuten werden farbige Rahmen herumgereicht, die das Motto „Imagination TV – wie fern kannst du sehen?“aufgreifen. Mal schauen die Zuschauer durch und betrachten die Schauspieler, mal ist es umgekehrt – ein Spaß für alle, der begeistert beklatscht wird.