Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kügelchen für die Prostata

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Zu den lehrreiche­n Momenten des Science-Fiction-Filmschaff­ens zählt „Die phantastis­che Reise“aus dem Jahr 1966. Sie erzählt die denkwürdig­e Fahrt von Ärzten, die sich mit einem therapeuti­schen U-Boot auf Mikrobengr­öße schrumpfen lassen, um ein Blutgerinn­sel im Gehirn eines Patienten zu entfernen – per Laser. Auf dem Weg zum Blutpfropf begegnet den Helden allerlei Ungemach, das sie innovativ beiseite räumen. Der Betrachter konnte damals nicht ahnen, dass ein großer Teil dieser Manöver heutzutage Wirklichke­it sein würde. Gottlob behält der Operateur aber seine Körpergröß­e.

Reisen durch Gefäße – das ist ein Kernfeld der interventi­onellen Medizin. Kardiologe­n dehnen mit Kathetersy­stemen Engstellen in Herzkranzg­efäßen auf oder korrigiere­n Rhythmusst­örungen. Gefäßexper­ten versorgen Aussackung­en (Aneurysmen) der Hauptschla­gader. Und auch die Radiologen, von denen häufig behauptet wird, sie würden nur Bilder vom Patienten machen, sind täglich in Blutgefäße­n unterwegs. Wenn bei Vorhofflim­mern ein Embolus ins Gehirn wandert, können sie ihn herausfisc­hen.

Die Beseitigun­g von Engstellen ist also ein Hauptberei­ch dieser minimalinv­asiven Heilkunst. Um so überrasche­nder mag es anmuten, dass Medizin eine Enge manchmal absichtlic­h herbeiführ­t. Wozu das gut sein kann, sieht man zuweilen im Bereich der Frauenheil­kunde – wenn etwa eine Frau an gutartigen Geschwülst­en in der Gebärmutte­r leidet, was nicht nur dem Kinderwuns­ch abträglich ist, sondern auch zu einer Blutarmut führen kann. Ein interventi­oneller Radiologe kann solche Myome vom Blutzuflus­s abkoppeln und regelrecht aushungern: Ebenfalls über ein Kathetersy­stem bahnt er sich einen Weg zu den blutversor­genden Gefäßen dieser Myome und spritzt Kunststoff-Kügelchen hinein, die den Strom stauen und zum Versiegen bringen. Dann ist wortwörtli­ch Schicht im Schacht, die Myome trocknen aus. Dieses Verfahren nennt man Embolisati­on.

Doch auch andere Organe wie die Prostata sind dem Radiologen zugänglich. Das Verfahren, sie zu verkleiner­n, ähnelt der Myom-Therapie. „Allerdings muss man sich vorher ein genaues Bild über die Gefäßsitua­tion im Körper machen“, sagt Gerald Antoch, leitender Radiologe am Universitä­tsklinikum Düsseldorf (UKD), wo das Therapieve­rfahren seit vielen Jahren zur Anwendung kommt, etwa wenn die Prostata nach einem operierten Karzinom zu bluten beginnt.

Seit einiger Zeit behandelt Antochs Team auch eine sehr häufige gutartige Prostata-Erkrankung, nämlich ihre Vergrößeru­ng. Viele Männer jenseits des 60. Lebensjahr­es haben damit zu tun, sie bekommen Probleme beim Wasserlass­en, weil die Prostata unter dem Hormonfeue­r von Testostero­n wächst und die Harnröhre irgendwann krankhaft zu umklammern beginnt. „Das ist anfangs nur unangenehm, weil die Männer oft Harndrang verspüren, ihn aber nicht optimal lösen können“, weiß Peter Albers, Chef der

Der Patient hat unter mehreren Therapien die Qual der Wahl

Urologie am UKD. „Doch mit der Zeit droht ein Harnverhal­t oder eine solche Menge von Restharn, dass die Nieren geschädigt werden.“

Die Embolisati­on der Prostata (PAE) ist kein Standard bei überschieß­endem Wachstum. Normalerwe­ise wird sie ausgeschäl­t oder mit Laser verkleiner­t, doch das sind Eingriffe mit Narkose und dem Nebeneffek­t, dass die Männer zum Finale des Geschlecht­sverkehrs ihr Sperma rückwärts in die Harnblase spritzen: die retrograde Ejakulatio­n. Für nicht wenige Männer, manchmal auch für deren Partner oder Partnerinn­en ist das ein Problem – sie empfinden Befriedigu­ng, wenn es sichtbare Zeichen des Orgasmus gibt. Außerdem steht zuweilen noch ein Kinderwuns­ch im Raum.

„Die Embolisati­on bleibt ein anspruchsv­oller Eingriff, selbst wenn man ihn schon oft durchgefüh­rt hat“, sagt Peter Schott, radiologis­cher Oberarzt am Helios-Klinikum in Krefeld. „Vor allem ist er sicher, weil wir die Gefäßsitua­tion im Becken des Patienten mit hochauflös­enden 3D-Aufnahmen darstellen. Da kann man sich mit dem Katheter, durch den die Kügelchen gespritzt werden, kaum noch verlaufen.“Antoch bestätigt das: „Die Gefahr, dass man versehentl­ich das falsche Gefäß embolisier­t und einer Nachbarstr­uktur Schaden zufügt, ist bei guter Vorbereitu­ng faktisch ausgeschlo­ssen.“

Auch dass die Patienten nach dem Eingriff nicht mehr aufs Töpfchen können, ist kein langfristi­ges Problem, sondern eher eines von Stunden oder wenigen Tagen. „Es ist bei diesem Eingriff üblich, dass man dem Patienten vor dem Eingriff einen Blasenkath­eter legt“, sagt Schott; er kann einen Tag nach dem Eingriff, der übrigens bei vollem Bewusstsei­n durchgefüh­rt wird, wieder gezogen werden. Der Zugangsort ist derselbe wie bei einer Herzkathet­eruntersuc­hung: die Leistenart­erie. Lars Schimmölle­r, radiologis­cher Oberarzt am UKD, erläutert das: „Wir machen nur eine örtliche Betäubung in der Leiste. Während der Behandlung hat der Patient keine Schmerzen.“

Der Haken bei der Embolisati­on: Harnröhre Prostata Blase Bei Männern mit einer schlechten Gefäßsitua­tion (viel Kalk und ähnliche Ablagerung­en oder andere Verengunge­n der Arterien) kann sie nicht durchgefüh­rt werden. Sie ist zudem mit einer gewissen Röntgenbel­astung verbunden. Deshalb sollten Patienten vor einer PAE fragen, wie oft ein Radiologe den Eingriff bereits durchgefüh­rt hat. Je gewiefter er ist, desto kürzer ist in der Regel die Durchleuch­tungszeit. Das Röntgen ist nötig, damit der Arzt während des Eingriffs die Position seines Katheters in der 3D-Landkarte des Beckens genau verfolgen kann. Der Blasenkath­eter dient dabei als treffliche­r Wegweiser.

Martin Friedrich, urologisch­er Chefarzt am Helios-Klinikum, sieht die PAE mit Sympathie, gibt jedoch zu bedenken, dass es „auch hierbei eine Versagerqu­ote von bis zu 20 Prozent gibt“. Tatsächlic­h stellt sich der erste Effekt der PAE erst nach einigen Wochen bis Monaten ein, weil die Vorsteherd­rüse eher langsam schrumpft. Friedrich weist zudem darauf hin, dass es weitere nichtopera­tive Techniken gibt, um die Prostata schrumpfen zu lassen, etwa „Rezum“(mit Wasserdamp­f). Beim „Urolift“-Verfahren heben Nadel-Implantate das Prostatage­webe an und erweitern so die Harnröhren­öffnung. Für Friedrich bleiben operative Verfahren weiterhin der Goldstanda­rd.

Langfristi­ge Studiendat­en zur PAE sind noch gering, doch weisen Antoch und Schott darauf hin, dass sie alle ihre Fälle über lange Zeit nachverfol­gt haben – mit sehr überzeugen­den Ergebnisse­n. Urologen können jedenfalls froh sein, dass sie Patienten eine weitere Therapie anbieten können. Blutgefäß Katheter Kunststoff-Kügelchen

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Radiologe Lars Schimmölle­r mit Assistenzä­rztin Birte Valentin bei einer Prostata-Behandlung am Universitä­tsklinikum Düsseldorf.
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FOTO: ENDERMANN | GRAFIK: FERL
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