Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Kalenderblatt 15. Januar 1919
Als Sirup zur Katastrophe wurde
Die Katastrophe, die sich am 15. Januar 1919 ereignete, hört sich absurd an, ist aber tatsächlich so geschehen: An jenem Tag überspülte eine bis zu neun Meter hohe Welle aus brauner Melasse einen Teil der Innenstadt der US-amerikanischen Stadt Boston. 21 Menschen starben in dem zähen Sirup, mehr als 50 wurden verletzt. Die Feuerwehr brauchte mehr als ein halbes Jahr, um die Straßen von der klebrigen Masse zu befreien. Doch was war passiert? Melasse war Anfang des 20. Jahrhunderts ein beliebter Rohstoff in den USA. Der Sirup, der bei der Zuckerherstellung entsteht, wurde vor allem bei der Herstellung von Rum verwendet. In Boston, einem Zentrum der Schnapsherstellung, standen gleich mehrere riesige Melassetanks. In einem befand sich eine neue Lieferung aus Puerto Rico. In den eiskalten Bostoner Temperaturen reagierte die frische Melasse und gärte. Im Tank stieg der Druck, bis die maroden Außenwände schließlich nicht mehr standhalten konnten. Die Anwohner hörten eine Explosion, dann ergoss sich die Masse über die angrenzenden Straßen. Wer von ihr gepackt wurde, hatte nur geringe Überlebenschancen: Es war beinahe unmöglich, sich ohne Hilfe aus dem zähen Saft zu befreien. Ironischerweise verlor Melasse bald nach der Katastrophe ihre Bedeutung. In den USA trat die Prohibition in Kraft, die Herstellung, der Besitz und der Konsum von Alkohol wurde verboten.