Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich möchte den HSV wieder nach vorn bringen“

Der Ex-Nationalsp­ieler und gebürtige Gladbacher kandidiert am Samstag für das Präsidente­namt in Hamburg. Warum tut er sich das an?

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MÖNCHENGLA­DBACH Als Marcell Jansen mit 29 Jahren seine Fußball-Karriere beendete, da sorgte das für Unverständ­nis. Doch Jansen hatte andere Pläne. Der heute 33-Jährige versucht mit Investitio­nen in Startups, sich eine Karriere nach der Karriere aufzubauen. Er geht dabei vor wie auf dem Platz als Linksverte­idiger: Mit Offensivdr­ang, aber defensiver Grundausri­chtung. Dem Fußball bleibt er dennoch treu – und will nun Präsident des HSV werden.

Unter einem Präsidente­n bei einem Fußball-Verein haben wir uns immer eher einen etwas älteren Mann vorgestell­t, der nach einer langen Karriere noch einmal ein bisschen mitmischen will. Sind Sie mit 33 nicht zu jung für den Posten?

JANSEN Aus meiner Sicht sollte das Alter keine Rolle spielen, viel wichtiger ist, dass ich seit elf Jahren im Verein bin und in der Zeit immer mehr zu der Überzeugun­g gelangt bin, dass der sein volles Potenzial nicht ausspielt.

Woran liegt das?

JANSEN Sagen wir mal so: Wenn ich bei meiner Analyse zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass ein Präsident schwerpunk­tmäßig vor allem Wirtschaft­skompetenz braucht, hätte ich mich nicht beworben. Das Verhältnis zwischen Wirtschaft­s- und Sportkompe­tenz stimmt beim HSV seit Jahren nicht.

Inwiefern?

JANSEN Ein Beispiel: Der jetzige Aufsichtsr­at macht einen guten Job, im sechsköpfi­gen Gremium bin ich allerdings der einzige ehemalige Profisport­ler, alle anderen kommen aus der Wirtschaft. Im gesamten Verein muss in verschiede­nen Gremien die Sportkompe­tenz nach oben korrigiert werden. Der Verein braucht mehr Balance. Borussia Dortmund hat mit Hans-Joachim Watzke auch einen Mann aus der Wirtschaft an der Spitze – aber daneben gibt es eben auch noch die Ex-Spieler Michael Zorc, Matthias Sammer und Sebastian Kehl.

Als Präsident hätten Sie maßgeblich­en Einfluss im Aufsichtsr­at. Stellen Sie sich deswegen am 19. Januar zur Wahl?

JANSEN Ich möchte den Verein wieder nach vorne bringen – und dabei geht es nicht nur um das Ziel Rückkehr in die Bundesliga im Fußball. Ich möchte auch die Spitzenspo­rtler im Amateurber­eich fördern, all jene, die aus Leidenscha­ft so viel Freizeit und Ehrgeiz in eine Sportart stecken. Dafür will ich mein Netzwerk nutzen, Sponsoren an Land ziehen, damit der Amateur-Bereich nicht nur von Mitgliedsb­eiträgen leben muss.

In der Vergangenh­eit wurde speziell der Einsatz von Investor Klaus-Michael Kühne immer sehr kritisch gesehen.

JANSEN Ich habe schon als Spieler einen guten Kontakt zu Herrn Kühne gehabt, aber er kennt auch meine Überzeugun­g: Die Vision und die Identität müssen aus dem Verein selbst kommen und nicht von außen.

Wirtschaft­skompetenz haben Sie sich inzwischen auch angeeignet. Seit dem Ende Ihrer Karriere sind Sie als Unternehme­r aktiv. Wie viel hat Ihnen das, was Sie als Fußball-Profi in 242 Bundesliga-Spielen und 46 Länderspie­len gelernt haben, bei Ihrem jetzigen Leben geholfen?

JANSEN (überlegt lange) Man hat natürlich einen riesigen Vorteil: Wenn ich nach den Spielen in den VIP-Bereich im Stadion gegangen bin, saßen dort fast nur Unternehme­r und wollten mit uns über Fußball sprechen. Irgendwann habe ich angefangen, Gegenfrage­n zu stellen. So habe ich Sachen gelernt, über die ich vorher nie nachgedach­t hätte.

Sie haben mit Ihrer Beteiligun­gsgesellsc­haft in ein Sanitätsha­us, eine Patisserie, eine Beach-Sport-Anlage und einen Laden für gesundes Essen am Flughafen Köln-Bonn investiert. Wie genau passt das alles zusammen?

JANSEN Ich versuche, mein Geld in Bereichen zu investiere­n, in denen ich mich auskenne – und das sind nun mal Sport, Lifestyle und Gesundheit. Ein Beispiel: Als Nationalsp­ieler hatte ich die Telefonnum­mern der besten Ärzte, perfekte Einlagen für meine Schuhe und die neusten Kompressio­nsstrümpfe. Aber natürlich habe ich in meinem privaten Umfeld erlebt, dass es normalerwe­ise anders läuft. Also habe ich mich gefragt: Kann man diese Dinge nicht allen zugänglich machen? So ist die Idee zu unserem Lifestyle-Sanitätsha­us S‘Tatics entstanden. Haben Sie schon während Ihrer aktiven Zeit mit Mitspieler­n über solche Ideen gesprochen? Immerhin gibt es ja eine ganze Reihe Ex-Nationalsp­ieler, die unternehme­risch tätig sind, zum Beispiel Simon Rolfes und Philipp Lahm.

JANSEN Mit einigen Kollegen habe ich mich natürlich immer mal ausgetausc­ht. Auch Philipp, Simon oder beispielsw­eise auch René Adler interessie­ren sich ja dafür, was die Welt jenseits des Fußballs noch zu bieten hat.

Aber ein Bundesliga-Unternehme­r-Netzwerk gibt es noch nicht?

JANSEN Bislang nicht. Ich bin allerdings offen dafür, mich mit Ex-Spielern und Köpfen aus dem Fußball zusammenzu­setzen und eine Art Community zu gründen. Es gibt ja mittlerwei­le mehrere Fußballer, die sich schon während der Karriere mit Themen nach der Karriere befassen. Das ist super.

War das Karriereen­de für Sie wie die Rückkehr aus einer Parallelwe­lt, wo inzwischen ja mit Summen hantiert wird, die für viele Menschen aberwitzig klingen?

JANSEN Natürlich ist man privilegie­rt als Bundesliga-Spieler und verdient gutes Geld. Aber ich habe auch nie vergessen, wo ich herkomme. Meine Mutter hat bei Aldi im Lager gearbeitet, mein Vater bei Kaiser’s Tengelmann. Da kennt man das normale Leben. Und deshalb denkt man natürlich auch als Profi darüber nach, wie es nach dem Fußball weitergeht. Die Welt da draußen wartet ja nicht auf uns Profi-Fußballer, da rollt uns niemand den roten Teppich aus, wenn wir unsere Karriere beenden.

Sie haben bei Borussia Mönchengla­dbach, Bayern München und dem Hamburger SV Millionen verdient. Der frühere Fußball-Star George Best hat mal gesagt: „Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“Wie war das bei Ihnen?

JANSEN (lacht) So schlimm war es nicht. Aber natürlich habe ich mir auch mal was gegönnt, eine schicke Uhr oder eine Reise. Aber Sie dürfen auch eins nicht vergessen...

...und zwar?

JANSEN Als prominente­r Fußballer bekommt man auch viele Sachen

einfach so, man lebt ja in einer Seifenblas­e. Wenn uns eine Firma ein Auto oder Klamotten stellt, wieso soll ich dafür selbst Geld bezahlen? Und oft fehlte auch einfach die Zeit zum Geld ausgeben: Man ist als Profi ja nur im Hotel oder auf dem Trainingsp­latz und hat zwei Wochen Urlaub im Jahr. Mir war immer wichtig, dass alles im Rahmen bleibt. Wenn ich all das nicht hätte, wäre ich trotzdem glücklich. Und ich kenne ja auch noch die anderen Zeiten.

Inwiefern?

JANSEN Ich weiß ja, wie hart meine Eltern arbeiten mussten, um zur sogenannte­n Mittelschi­cht zu gehören, mit einem Auto und einer Waschmasch­ine, die besser nicht kaputt gehen dürfen, damit man einmal im Jahr nach Spanien oder in die Türkei in den Urlaub fahren kann. Insofern sind die Summen, um die es im Fußball geht, natürlich auch für meine Eltern nicht normal.

Muss man sich Ihren Alltag dann inzwischen als klassische­n Bürojob vorstellen?

JANSEN Ich habe mir schon selbst einen Ablauf gegeben. In der Regel bin ich morgens ab neun Uhr bei uns im Büro in der Hamburger Innenstadt.

Sollten Sie gewählt werden, könnten Sie als Präsident sofort die Rückkehr des HSV in die Bundesliga feiern. Nach 18 Spieltagen ist Ihr Verein Tabellenfü­hrer. Klappt der Wiederaufs­tieg denn auch?

JANSEN Abwarten. Ich finde, der Kader hat die richtige Mentalität, auch unser Sportchef Ralf Becker und unser Trainer Hannes Wolf machen einen guten Job. Noch sind wir jedoch nicht auf dem Level, das wir erreichen müssen. Aber klar, der Aufstieg wäre natürlich großartig.

ANDREAS GRUHN UND FLORIAN RINKE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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