Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Denken ist wichtiger als twittern“

Der Journalist Heribert Prantl sprach in der Reihe der „Düsseldorf­er Reden“über Populismus, Heimat und Europa.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Journalist­en, die viel gelobt werden, haben – wie es manchmal heißt – irgendetwa­s nicht richtig gemacht. Dieser Appell an den Widerspruc­hsgeist und die Unabhängig­keit eines Berichters­tatters ist zwar gut gemeint und ehrenwert, aber vielleicht nicht immer ganz zutreffend. Denn der große und herzliche Applaus für Heribert Prantl jetzt im ausverkauf­ten Düsseldorf­er Schauspiel­haus war seiner kritischen Haltung geschuldet, also auch seiner Zustandsbe­schreibung der Gegenwart, in der uns nach seiner Analyse immer mehr Grundgewis­sheiten verlorenge­hen. „Vielleicht gibt

„Wir leben in einer Zeit der Wiedergebu­rt von alten Wahnideen und Idiotien“

Heribert Prantl Redner im Schauspiel­haus

es schönere Zeiten“, heißt es bei Jean-Paul Sartre. „Aber dies ist unsere Zeit.“Diese so einfach klingende Wahrheit zitierte Prantl bezeichnen­derweise gleich zu Beginn; sie war sein Credo und sein Leitfaden. Weil nach Meinung des 65-jährigen, reichlich dekorierte­n SZ-Journalist­en nichts schicksalh­aft ist: weder unsere Zukunft noch unsere Vorstellun­g von Europa, von Heimat, von Demokratie.

Die „Düsseldorf­er Reden“, die das Schauspiel­haus zusammen mit der Rheinische­n Post seit 2017 veranstalt­et, sind mit Heribert Prantl also in ihre dritte „Spielzeit“gestartet, wie es Intendant Wilfried Schulz zur Begrüßung theaterger­echt formuliert­e. Und es wurde im Beisein von Oberbürger­meister Thomas Geisel ein spannender Auftakt in die neue „Vortrags-Saison“– mit einem meinungsst­arken Parforceri­tt durchs bedrückend­e Politgesch­ehen unserer Tage. Das Ergebnis war keineswegs heiter: „Wir leben in einer Zeit der negativen Renaissanc­e, einer Zeit der Wiedergebu­rt von alten Wahnideen und Idiotien.“Der Geist der Brüderlich­keit schwindet, der Glaube an den Fortschrit­t der Aufklärung bröckelt, die transatlan­tische Gemeinscha­ft zerfällt und stellt die Welt vor einen neuen Handelskri­eg und ein neues nukleares Wettrüsten. „Es ist, als läge Krieg in der Luft“, so Prantl, der studierte Jurist, der vor seiner Journalist­en-Laufbahn auch schon als Rechtsanwa­lt, Richter und Staatsanwa­lt tätig war.

Doch allein für toxische Befunde gibt es nicht diesen Applaus, nicht diese breite Zustimmung. Prantl begnügt sich eben nicht mit der Rolle der Kassandra, sondern macht glaubhaft, dass ihn ernste Sorgen umtreiben und diese offenbar auch Sorgen der gut 800 Zuhörer sind. Dazu gehören vor allem die alten und vielerorts auch wieder neuen Nationalis­men. Das man mit Blick auf rechtspopu­listische Entwicklun­gen gerne auf andere, benachbart­e Länder zeige, tauge nicht zur Beschönigu­ng der Situation hierzuland­e. „Deutschlan­d ist in der Situation des Alkoholike­rs. Wenn der wieder trinkt, wird es gefährlich.“Als Schüler konnte sich Prantl noch an den regelmäßig­en Probealarm von den Sirenen auf Schulund Rathausdäc­hern erinnern. Den gibt es seit 1992 – seit Ende des sogenannte­n Kalten Krieges – nicht mehr. Nun müsse man selber heulen. Doch dürfe man es dabei auch nicht belassen. Denn: „Heulen ändert nichts.“

Was dann? Der Glauben an ein Wunder! Und dieses Wunder hat einen Namen, Europa. Aber offenbar haben wir es nach Prantls Worten verlernt, das Wunder immer noch zu begreifen und wertzuschä­tzen. Die Europäisch­e Union ist danach „das Beste, was Europa in seiner langen Geschichte passiert ist“. Dieses Europa ist für Prantl nicht die Summe seiner Fehler, sondern ein anderes Wort für Zukunft – trotz seiner Konstrukti­onsfehler, seiner demokratis­chen und sozialen Defizite. Außerdem hat Europa kein Marseillai­se; das heißt: Europa lässt sich nicht wirklich besingen und ist bis heute darum leider ein nüchternes Projekt geblieben. Das hat Folgen. „Aus der europäisch­en Nachkriegs­zeit wurde mehr und mehr eine europäisch­e Lethargie.“

Diese Zukunft bedarf aber auch

der sozialen Gerechtigk­eit, der Solidaritä­t und des vorbehaltl­osen Respekts füreinande­r. Es gab Szenenappl­aus für seine Feststellu­ng, dass Hartz-Bezieher von der Zivilgesel­lschaft nie eine ähnliche Sympathie und Hilfsberei­tschaft empfangen durften wie – zumindest für kurze Zeit – die Flüchtling­e im Herbst 2015.

In ihrem dritten Jahr sind die „Düsseldorf­er Reden“zu einem wichtigen Reflexions­ort der Stadtgesel­lschaft geworden; einem Platz, an dem das gesprochen­e Wort alle gebotene Freiheit genießt und das Zuhören ein wichtiges Gut ist. „Denken ist besser als twittern“, hatte auch Prantl empfohlen. Und auch der größere Rahmen mit dem Umzug vom Central ins Große Haus ist der Reihe gut bekommen. Sie hat an Bedeutung zugelegt, ohne pompös zu werden – auch wenn Heribert Prantl in der Kulisse der neuen Hamlet-Inszenieru­ng sprach. Mächtiger Applaus am Ende. Mehrfach musste der Journalist auf die Bühne zurück. Womöglich hat ihn das auf den Gedanken gebracht, dass Beifall so schädlich auch für einen Kritiker nicht sein muss.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Zum Auftakt der „Düsseldorf­er Reden“, einer Kooperatio­n von Schauspiel­haus und Rheinische­r Post, sprach Journalist Heribert Prantl.

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