Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Loveparade-Prozess bringt Congress Center Millionenu­msatz

Seit 102 Tagen versucht das Gericht zu klären, wen die Schuld am Loveparade-Unglück trifft. Verhandelt wird im Congress Center an der Messe. Jeder Tag dort kostet 29.000 Euro.

- VON HELENE PAWLITZKI

Der Justizwach­tmeister vor der Rolltreppe läuft eine Acht. Und noch eine. Und noch eine. Ein kleiner Spaziergan­g auf der Stelle. Hinter ihm fährt eine Rolltreppe in den ersten Stock des Congress Centers an der Messe. Daneben fährt eine in Gegenricht­ung. Das Geräusch, das sie dabei machen, liegt irgendwo zwischen Surren und Rauschen. Ein Dutzend Justizwach­tmeister tummeln sich im Foyer, bewachen die Sicherheit­sschleusen, den Treppenauf­gang, die Rolltreppe. Ab und zu wechseln sie ein paar Worte. Hinter dem Tresen der Gepäckabga­be sitzen zwei junge Frauen und unterhalte­n sich leise. Sonst herrscht Stille. Stillstand.

Oben läuft der 102. Verhandlun­gstag im Mammutproz­ess vor dem Landgerich­t Duisburg um die tragischen Geschehnis­se am 24. Juli 2010. Das Loveparade-Unglück in Duisburg: Damals kamen 21 Menschen zu Tode, über 500 wurden verletzt. Über 50.000 Seiten umfasste die Hauptakte zu Prozessbeg­inn, hinzu kamen 1000 Leitz-Ordner mit ergänzende­m Material. Es werden nicht weniger geworden sein. Seit Dezember 2017 wird im Congress Center verhandelt. Am vergangene­n Mittwoch wurde das Verfahren gegen sieben Personen eingestell­t. Nun stehen noch drei Mitarbeite­r des Loveparade-Veranstalt­ers vor Gericht. Auch sie hätten einer Einstellun­g zustimmen können, hätten dann allerdings eine Geldbuße zahlen müssen. Das wollten sie nicht. So geht der Prozess nun weiter.

An diesem 102. Verhandlun­gstag vernimmt das Gericht einen Polizisten. Er leitete während der Loveparade den „Raumschutz West“, einen der drei Einsatzabs­chnitte der Polizei. Den Abschnitt, in dem wohl auch die Engstelle lag, an der das Menschenge­dränge ein tödliches Maß erreichte. Es ist bittere Ironie, dass im über 750 Quadratmet­er großen Verhandlun­gssaal mehr als genug Platz ist. Theoretisc­h könnten hier 300 Zuhörer und Pressevert­reter sitzen. An diesem Dienstagmi­ttag sind zehn Zuschauer und drei Journalist­en gekommen. Voll ist es nur auf der Richter- und auf der Anklageban­k.

An manchen Tagen – wie beispielsw­eise vergangene­n Mittwoch – ist hier immer noch volles Haus. Für diese Tage ist alles ausgelegt: das Personal, die Schleusen, die Sitzplätze. Normal ist aber, dass kaum einer kommt. Bis Ende April hat das Duisburger Landgerich­t den Kongress-Saal gebucht. 29.000 Euro kostet das täglich. Dafür bekommt das Landgerich­t Duisburg die volle Ausstattun­g inklusive Brandschut­z, Notarzt, Pförtner, Aufenthalt­scontainer für das Justizpers­onal und zwanzig Technikern, die dafür sorgen, dass alles funktionie­rt: Mikrofonie, Videokamer­as, Saallicht. Gemessen an der Ausstattun­g der meisten Gerichtssä­le findet diese Verhandlun­g unter sehr, sehr komfortabl­en Umständen statt. Die Saalmiete plus Personalko­sten für Richter, Staatsanwä­lte, Protokolla­nten und Justizwach­tmeister zahlt das Land NRW – sprich: der Steuerzahl­er. Bis heute sind knapp drei Millionen Euro aufgelaufe­n – Umsatz für Düsseldorf Congress. Wie viel Gewinn das Unternehme­n am Ende mit dem Verfahren macht, will die Stadttocht­er nicht sagen. Presse-Statements überlasse man dem Gericht, heißt es. Die eigentlich­en Verfahrens­kosten dagegen tragen die Angeklagte­n – sollten sie verurteilt werden. Teuer sind vor allem die umfangreic­hen Gutachten der Sachverstä­ndigen, dazu kommen Sitzungsge­lder, Reisekoste­n und andere Auslagen.

Um 11.17 Uhr geht ein Gong. „Die Sitzung ist bis 11.35 Uhr unterbroch­en“, sagt eine Männerstim­me. Kaffeepaus­e. Langsam tröpfeln sie die Rolltreppe hinunter, die Zuschauer, Anwälte, Richter. Sie haben Brotdosen dabei, beißen in mitgebrach­te Gebäckstüc­ke, telefonier­en, gehen rauchen, auf die Toilette, holen sich einen Kaffee in der improvisie­rten Kantine. Kurz kommt Leben ins Foyer. Knapp zwanzig Minuten später ist alles wieder vorbei. Gong. Fortsetzun­g der Hauptverha­ndlung. „Hatten Sie Bedenken, was die Veranstalt­ung betrifft?“, fragt der Vorsitzend­e Richter den Polizisten. „Daran habe ich keine Erinnerung“, sagt der Polizist. „Hatten Sie unmittelba­r vor Beginn des Einsatzes Bedenken?“, fragt der Vorsitzend­e. „Man macht sich jedes Mal Gedanken“, sagt der Polizist. „In diesem Fall hatte ich Sorge wegen einer möglichen unkoordini­erten Abreise.“Er macht eine Pause. „Ansonsten haben wir auf den Programmab­lauf vertraut und dass alles halbwegs glatt läuft.“

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FOTOS (3): ANDREAS BRETZ Am 102. Verhandlun­gstag des Loveparade-Prozesses herrscht im Foyer des Congress Centers meist Leere – und Stille.
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Vier Sicherheit­sschleusen sind ständig bemannt, um Besucher einzulasse­n.
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Im Pressezent­rum können mehrere Dutzend Journalist­en aktuell produziere­n.

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