Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Die Absage hat alles beschädigt“
Der Kunsthistoriker erklärt, warum er und seine Kollegen aus Kanada die Max-Stern-Tagung boykottieren.
Heute findet im Haus der Universität die Internationale Tagung über den Galeristen Max Stern (19041987) und den Kunsthandel im Nationalsozialismus statt. Vorausgegangen war ihr die umstrittene Absage einer Ausstellung zu Stern im Stadtmuseum. Stern-Forscher aus Kanada – der späteren Heimat des von den Nazis verfolgten Kunsthändlers – boykottieren die Tagung ebenso wie Mitarbeiter des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Stephan Klingen vom Institut begründet den Boykott und erhebt Vorwürfe gegen die Stadt.
Mit Ihrem Boykott nehmen Sie sich die Chance, bei der Tagung Ihre Position zur Restitutionsdebatte um Max Stern vorzustellen. Warum?
KLINGEN Der Grund unseres Boykotts ist ja nicht, das wir kein wissenschaftliches Interesse an dem Fall hätten. Ausschlaggebend für uns ist: Solange die kanadischen Kollegen und Partner in unserem Projekt damit konfrontiert sind, dass sie in der Öffentlichkeit diskreditiert und als inkompetent bezeichnet werden, solange finden wir es nicht sonderlich kollegial, an einer Veranstaltung wie der Fachtagung in Düsseldorf teilzunehmen. Kurzum: Wir respektieren den Rückzug der Partner und haben entschieden, uns diesem Rückzug anzuschließen.
Wer hat denn Ihrer Meinung nach nach die kanadischen Forscher diskreditiert?
KLINGEN Es geht vor allem um die Art und Weise, wie die Absage der Ausstellung begründet wurde – und zwar von den in diesem Fall politisch Verantwortlichen der Stadt: also Kulturdezernent Hans-Georg Lohe und Oberbürgermeister Thomas Geisel. Mit ihnen hat sich die Situation auf eine Weise zugespitzt, die so nicht nötig gewesen wäre. Das Kolloquium ist zwar ein Einlenken der Stadt in dieser Sache; aber ein Zugehen auf die kanadischen Forscher hat es von offizieller Seite nicht gegeben.
Lässt sich für künftige Debatten zumindest in der Kommunikation
eine Lehre ziehen?
KLINGEN Wohl kaum. Dafür sind alle Fälle viel zu unterschiedlich. Was man allgemein sagen kann, ist dies: Dass das von der großen Politik verkündete Credo der Aufarbeitung von Kunstraubfällen und der moralischen Verantwortung Deutschlands ihren Widerhall in der kulturpolitischen Praxis nicht findet. Die Bekenntnisse sind eindeutig, doch die Umsetzung ist – sagen wir mal: verbesserungswürdig. Es wird immer gesagt und betont, was man im Prinzip machen sollte, aber der Weg dorthin wird nie definiert.
Wie kommt man aus der Sackgasse im konkreten Düsseldorfer Fall wieder raus?
KLINGEN Es würde uns allen leichter fallen, wenn die politischen Verantwortlichen einen ersten Schritt machen würden. Der muss ja nicht öffentlich sein; er müsste einfach unsere kanadischen Kollegen überzeugen. Sobald sich in dieser Hinsicht etwas tut, wären wir die letzten, die sich dem wissenschaftlichen Dialog verweigern wollen.
Was heißt das konkret? Dass etwa der Oberbürgermeister nach Kanada fahren und das Gespräch suchen sollte?
KLINGEN Ja, das wäre eine gute Geste.
Was versprechen Sie sich von der Tagung?
KLINGEN Die hat ein wahnsinnig dichtes Programm, mit der sicherlich ein weiterer Schritt für das bessere Verständnis des Düsseldorfer Kunsthandels im Nationalsozialismus getan wird. Das wird auch zu interessanten Erkenntnissen führen. Allerdings sehe ich im Programm nur wenig Platz für Diskussionen.
Welche Chancen sehen Sie, endlich auch das Schicksal von Max Stern wieder in den Vordergrund zu bringen?
KLINGEN Wir hoffen mit unseren Forschungen, die wir bei uns in München, in Ottawa und in Israel betreiben, wieder etwas gutmachen zu können. Der Boykott ist sicherlich eine vertane Chance, es wäre aber auch für unsere künftige Zusammenarbeit mit den kanadischen Kollegen schlecht, wenn wir uns anders verhalten hätten.
Hätte man die ursprünglich geplante Ausstellung vielleicht doch stattfinden lassen sollen – mit anschließendem Symposium?
KLINGEN Mir wäre am liebsten gewesen, man hätte die Ausstellung im Stadtmuseum gezeigt und wir hätten anschließend in großer Ruhe unser Forschungsprojekt machen können. Mit der überhasteten Entscheidung zur Absage ist der Fall in eine politische Dimension gerutscht, die alles beschädigt hat.
LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.