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Lügde: Beweismate­rial verscholle­n

Neue Ungereimth­eiten im Missbrauch­sfall: Erst jetzt wird bekannt, dass 155 Datenträge­r verschwund­en sind. Das NRW-Innenminis­terium setzt Sonderermi­ttler ein.

- VON THOMAS REISENER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

LÜGDE/DÜSSELDORF Im Fall des vielfachen Kindesmiss­brauchs auf dem Campingpla­tz Eichwald in Lügde bei Detmold ist seit zwei Monaten Beweismate­rial verschwund­en. Ein Koffer und eine Hülle mit 155 Datenträge­rn würden seit dem 20. Dezember in der Kreispoliz­eibehörde Lippe vermisst, teilte NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) am Donnerstag in Düsseldorf mit. Vier Sonderermi­ttler seien eingesetzt worden, um das Verschwind­en aufzukläre­n.

Das Fehlen der Asservate sei erst am 30. Januar bemerkt worden. Nur drei CDs davon seien bisher ausgewerte­t worden. Ob auf den Datenträge­rn mit 0,7 Terabyte Speicherpl­atz auch kinderporn­ografische­s Material war, sei daher unklar. „Man muss hier klar von Polizeiver­sagen sprechen“, sagte Reul. Der größte Teil von 15 Terabyte Filmmateri­al war von der Polizei aber bereits gesichert worden.

Unter dem Verdacht des schweren sexuellen Missbrauch­s von Kindern und der Verbreitun­g von Kinderporn­ografie sitzen als Hauptverdä­chtige ein 56-Jähriger aus Lügde, ein 33-Jähriger aus Steinheim und ein 48-Jähriger aus Stade in Niedersach­sen in Untersuchu­ngshaft. Bislang sind 31 minderjähr­ige Opfer im Alter zwischen vier und 13 Jahren identifizi­ert. Sie kommen zum Großteil aus NRW und Niedersach­sen. Ausgelöst wurden die Ermittlung­en durch eine Anzeige im November 2018. Zusätzlich zu den Ermittlung­en gegen die Tatverdäch­tigen und mehrere Jugendämte­r steht auch die Polizei in der Kritik. Gegen zwei Beamte wird Reul zufolge wegen Strafverei­telung ermittelt. Es werde genau geprüft, ob sie die Tatverdäch­tigen möglicherw­eise persönlich kannten. Warum die Datenträge­r aus dem Raum in der Polizeibeh­örde Lippe verschwund­en sind, konnte Reul zunächst nicht sagen. Er wollte einen Vorsatz nicht ausschließ­en.

Bereits 2016 sollen zwei Hinweise auf sexuellen Missbrauch bei der Polizei Lippe eingegange­n sein. Nach Telefonges­prächen mit den Zeugen leiteten die Beamten die Hinweise an das Jugendamt weiter – weitere Schritte blieben aber aus. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt daher auch gegen die Polizei. Bei einer weiteren Person geht es um den Verdacht der Datenlösch­ung. Gegen diesen Verdächtig­en führt die Staatsanwa­ltschaft ein Ermittlung­sverfahren wegen Strafverei­telung. Es wird geprüft, ob die Person Daten für einen der drei Hauptverdä­chtigen gelöscht hat und eine Bestrafung verhindert werden sollte.

Der innenpolit­ische Sprecher der SPD im Landtag, Hartmut Ganzke, brachte einen Untersuchu­ngsausschu­ss ins Gespräch. „Wenn Innenminis­ter Reul in diesem Polizeiska­ndal keine lückenlose Aufklärung liefert, wird das ein Parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss leisten müssen“, sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion.

Erich Rettinghau­s, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG), forderte eine lückenlose Aufklärung. „In keinem Strafverfa­hren dürfen Beweismitt­el verschwind­en. So etwas geht überhaupt nicht und darf nicht passieren. Aber zunächst gilt die Unschuldsv­ermutung“, sagte Rettinghau­s unserer Redaktion. Jetzt müsse erst einmal gründlich ermittelt werden. „Nichts darf unter den Tisch gekehrt werden. Man muss transparen­t mit dem Fall umgehen und alles offen benennen“, sagte Rettinghau­s. (mit dpa)

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