Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wähler lieben politische­s Softeis

Man kann dem Wahlvolk Käse servieren und dennoch oder deshalb beliebt sein.

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Mehr Sarkasmus lässt sich kaum formuliere­n: „Solange Banalitäts-Garanten ausgeruht und phrasensic­her an der Spitze des Gemeinwese­ns stehen, sind Stadt und Erdkreis vor größeren Krisen in Sicherheit.“Peter Sloterdijk, vom Magazin „Cicero“zum führenden Intellektu­ellen des Landes erhoben, hat das im Buch „Neue Zeilen und Tage“geschriebe­n. Sloterdijk zielt gegen den ersten Mann im Staat, bei dessen öffentlich­en Beiträgen man zwischen Seufzen und Gähnen schwankt; aber auch unterhalb der Beletage sind gefällige Bemerkunge­n in Mode – in der Öffentlich­keit, wenn Frau und Herr Mustermann zuhören. Die Mustermann­s lieben politische­s Softeis. Sie schlecken es und fühlen sich komischerw­eise gewärmt. Wann immer der Beliebthei­tsgrad von Politikern erforscht wird, rangieren oben die Meister des schönen Scheins. Wenig ist demoskopis­ch bekömmlich­er, als Chefdiplom­at einer Mittelmach­t zu sein: Man erweckt den Anschein von Wichtigkei­t, eckt beim Wahlvolk nicht an, darf diesem zur besten Sendezeit beim Abendbrot im übertragen­en Sinn Käse servieren. Aber wehe dem, der stört. Horst Seehofer etwa konnte man beim Absturz in den Umfrage-Keller zusehen. Der Widerständ­ige ließ sich nicht zähmen. Er erlaubte sich ab Herbst 2015 Gardinenpr­edigen und ungalante Kanzlerinn­en-Kritik. Er fiel bei jenen in Ungnade, die heute einräumen, im „Flüchtling­s-Herbst“einer Hereinspaz­iert-Laune gefolgt zu sein. Nur wenige haben wie Sigmar Gabriel die Größe zur Selbstkrit­ik. Gabriel, damals Außenminis­ter und Vizekanzle­r, sagte in einem Gespräch beim Sender Phoenix, er hätte Merkel nicht gewähren lassen sollen; zur deutschen (Außen-)Politik sagte er: „Wir ersticken manchmal an unserer Moral.“So etwas Unerhörtes verzeiht Soft-Deutschlan­d nur seinen großen Toten: Helmut Schmidt zum Beispiel.

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