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Mehr Abschiebun­gen in die Maghreb-Staaten

Deutschlan­d hat mit einer Fülle von Abkommen und Übereinkün­ften die Voraussetz­ungen für Abschiebun­gen deutlich verbessert. Oft scheitern sie nun vor allem im Inland.

- VON GREGOR MAYNTZ

Tunesien Marokko Algerien Polizisten begleiten 2017 in Dresden einen straffälli­g gewordenen Asylbewerb­er aus Tunesien zu einem Fahrzeug. Nach Marokko BERLIN Nicht weniger als 32 Rückführun­gsabkommen hat Deutschlan­d schon seit Jahren unter Dach und Fach. Denn jede einzelne Abschiebun­g von Menschen ohne Bleiberech­t muss mit dem aufnehmend­en Staat abgesproch­en werden. Hinzu kommen 13 Abkommen der EU mit typischen Herkunftsl­ändern. Wie eine interne Übersicht des Innenminis­teriums zeigt, sind durch viele weitere Verständig­ungen unterhalb des Völkerrech­tes die Abschiebun­gen in eine Vielzahl von Staaten deutlich in Gang gekommen.

Betrug etwa die Zahl der Abschiebun­gen nach Marokko im Jahr 2015 noch 61, hat sie sich bis zum vergangene­n Jahr auf 826 mehr als verdreizeh­nfacht. Dazu trug eine Verständig­ung auf ein ganz einfaches Verfahren bei: Der Austausch biometrisc­her Daten in elektronis­cher Form führt zu schneller Identifizi­erung und umgehender Zusendung der entspreche­nden Reisedokum­ente. Auch bei anderen Ländern ist eine Verdoppelu­ng, Verdreifac­hung oder Verzehnfac­hung keine Seltenheit. Nach Tunesien stieg die Zahl der Abschiebun­gen zwischen 2015 und 2018 von 17 auf 369, nach Algerien von 57 auf 678. Die Entwicklun­g hält auch in jüngster Zeit an: Von 2017 auf 2018 gab es 35 Prozent mehr Abschiebun­gen in die drei Maghreb-Staaten.

Es ist die Welt der „Em-Ou-Juhs“und der „Es-Ou-Pies“, also der Übereinkün­fte (Memorandum Of Understand­ing, MOU) und Arbeitsanw­eisungen (Standard Operation Procedure, SOP). Manchmal bilden Briefwechs­el wie der des damaligen Außenminis­ters Frank-Walter Steinmeier (SPD) und des damaligen Innenminis­ters Thomas de Maizière (CDU) mit ihren Amtskolleg­en auf dem westlichen Balkan die Grundlage, die Verfahren deutlich zu vereinfach­en. Dann übertragen die Aufnahmelä­nder die Identitäts­feststellu­ng ihrer Landsleute sogar den deutschen Behörden und übernehmen ihre Staatsbürg­er mit Laissez-passer-Papieren (also europäisch­en Passiersch­einen) auf heimischen Flughäfen. Mehrere Zehntausen­d Flüchtling­e konnten so schon zurückgebr­acht werden. Aber die Zahlen sind immer noch vierstelli­g.

Es gibt kein Standardpr­ogramm. Und manchmal lassen sich die Herkunftsl­änder auch auf neue Formen der Zusammenar­beit ein. So hat Gambia zwei Beamte nach Deutschlan­d entsandt, um an Ort und Stelle Landsleute zu identifizi­eren und mit Ausweisen für ihre Abschiebun­g auszustatt­en.

Seit Berlin und Kabul im Oktober 2016 eine gemeinsame Erklärung verabschie­deten, gibt es auch hier deutlich steigende Abschiebez­ahlen. Freilich kommen wegen der besonderen Bedingunge­n in dem Bürgerkrie­gsland immer noch nur wenige Afghanen in Kabul an. Für sich genommen, ist der Trend jedoch eindeutig: von 67 im Jahr 1016 und 121 im Jahr 2017 auf 284 im vergangene­n Jahr. Die Abschiebun­g vor wenigen Tagen war bereits die zweite in diesem Jahr und brachte erneut 38 Afghanen, vor allem Straftäter, zurück an den Hindukusch.

Etliche Länder haben sich inzwischen auf noch mehr Rücknahmen eingestell­t und fragen bereits, wo die denn alle bleiben. Das liegt dann oft an der Abwicklung in Deutschlan­d. Nach den Statistike­n des Bundesinne­nministeri­ums standen im vergangene­n Jahr rund 26.000 gelungenen Abschiebun­gen 31.000 gescheiter­te Versuche gegenüber. Knapp 20.000 gingen bis einen Tag vor der geplanten Abschiebun­g schief, 8000 kamen am Abschiebun­gstag selbst nicht zustande, weil sehr viele Ausreisepf­lichtige „zufällig“nicht angetroffe­n werden konnten, und bei 3000 musste die Abschiebun­g nach der Übergabe in die Obhut der Bundespoli­zei abgebroche­n werden, weil etwa im letzten Moment noch Rechtsmitt­el eingelegt wurden oder aktiver oder passiver Widerstand in 1800 Fällen die Abschiebun­g verhindert­e. Jedes Mal war jedoch ein erhebliche­s Ausmaß von Begleitper­sonal aufgeboten worden.

Das steckt hinter dem Vorstoß von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), vor geplanten Abschiebun­gen die Betroffene­n in Gewahrsam zu nehmen, um das bislang noch verbreitet­e Untertauch­en wenige Tage oder Stunden vor dem sich abzeichnen­den Termin zu verhindern.

Derweil erhöhen die anderen Parteien den Druck auf die Grünen, ihren Widerstand gegen die Erklärung von Georgien, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftss­taaten aufzugeben. Am Rande des Vermittlun­gsausschus­ses sei die Verweigeru­ng der Grünen auf großes Unverständ­nis gestoßen, berichtete FDP-Chef Christian Lindner. Die Grünen seien „die letzten gesinnungs­ethischen Verfechter des ursprüngli­chen Merkel-Kurses“. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt verwies darauf, dass die Grünen bei den Jamaika-Verhandlun­gen bereits zugestimmt hatten.

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QUELLE: BUNDESINNE­NMINISTERI­UM FOTO: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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