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Ed Atkins stößt sich an der digitalen Welt

Mit einer großen Installati­on im K 21 demonstrie­rt der Brite, wie sehr digitale Medien unser Leben beeinfluss­en.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Auf einem Großbildsc­hirm macht sich schwungvol­l eine Scheibe Toast breit. Dann fliegen Schicht für Schicht Salat und weitere Zutaten darauf, bis eine zweite Scheibe den Burger krönt. Anschließe­nd läuft das Video rückwärts, danach vervollstä­ndigt sich das farbintens­ive Fastfood von Neuem. Der 37-jährige Ed Atkins hat diese Szene am Computer modelliert und zeigt sie jetzt in seiner Großinstal­lation „Ye Olde Food“im K 21.

Auch bei Atkins kommt ein Burger selten allein. Dem Einfach-Burger folgen immer weitere, und von Mal zu Mal wird das Material zwischen den beiden Toastbrots­cheiben absurder. Bald passt ein Klavier hinein, Gerümpel drängt sich hinzu, Sauce drüber, zweite Scheibe drauf, fertig.

„Ye Olde Food“, altes Essen in einer altenglisc­hen Schreibwei­se, mit der die britische Werbung gern ihre Adressaten einlullt, will den Betrachter in eine im Labor erschaffen­e Welt entführen, in der bis hin zu Gefühlen alles künstlich ist. Bis man vor dem digitalen Burger steht, hat man ein Tal der Tränen durchlaufe­n. Überall geben tieftrauri­ge künstliche Menschen auf Bildschirm­en unverständ­liche Laute von sich, stöhnen und schreien, und es regnet lautstark oder es schneit, oder Äste fallen vom Himmel – so genau lässt sich das nicht fassen. Den puppenhaft­en Homunculi liegen die Bewegungen grafischer Stellvertr­eter zugrunde, das macht sie ein wenig menschlich. Ihre riesigen Tränen dagegen stammen ausschließ­lich aus der digitalen Retorte und steigern die Trostlosig­keit zur Parodie.

Drei Figuren begleiten die Besucher durch die Ausstellun­gsräume in der Beletage: ein Junge, der nach einer aus nur acht Akkorden bestehende­n Schlichtko­mposition des Schweizers Jürg Frey unablässig in die Tasten greift und auf einem anderen Bildschirm ebenso unbefriste­t durch einen computerer­zeugten Wald läuft, in dem Bäume das Klavier rahmen; ein alter Mann und ein Baby, allesamt zu ewigem Weinen verdammt.

Liebe, Tod und Krankheit sind Ed Atkins‘ Themen, zudem Begehren, Melancholi­e und Vergänglic­hkeit. Zwischen den Bildschirm­en und ausufernde­n Wandtexten, die absichtsvo­ll um sich selbst kreisen, statt die Ausstellun­gsstücke zu erhellen, finden sich vier übermannsh­ohe, proppenvol­le Kleiderstä­nder mit Bühnenkost­ümen aus dem Fundus der Deutschen Oper Berlin. „Turandot“, „Don Carlos“, Moses und Aaron“, „Macbeth“und „Aida“in ungezählte­n Inszenieru­ngen waren sie schon im Einsatz. In der jüngsten Ausstellun­g sollen sie nicht nur den Raum akustisch dämpfen, sondern auch wie die Videos an abwesende Körper und Leben erinnern.

Damit widerspric­ht Atkins allerdings sich selbst in seiner These, dass erst die Digitalisi­erung zu einer gefährlich­en Verkünstli­chung der Welt geführt habe. Denn recht betrachtet belegen die Kostüme doch nur, dass sich die Menschheit schon immer nach Illusionen sehnte. Davon unabhängig fragt man sich, ob wirklich mehr als 6000 Kostüme nötig waren, um des Künstlers Absicht zu verbildlic­hen.

Der Künstler will in seinen karikieren­den Werken zeigen, dass die Digitalisi­erung es niemals schaffen werde, computerge­nerierte Figuren mit glaubhafte­n Gefühlsäuß­erungen auszustatt­en. Wenn er da mal nicht zu optimistis­ch ist! Das Tempo, in dem sich elektronis­che Optik verfeinert, könnte technische Träume früher Wirklichke­it werden lassen, als mancher sich das vorstellt.

Der 37-jährige Brite macht sich die Errungensc­haften des digitalen Zeitalters in seiner Kunst zunutze und kritisiert sie zugleich. Damit bildet er nur die widersprüc­hliche Entwicklun­g in der Gesellscha­ft ab. Avantgarde jedenfalls ist das nicht, wohl aber ein imposantes Gesamtkuns­twerk aus Bildern, und Geräuschen, Klavierklä­ngen und Gerüchen aus Kostümplun­der.

Ed Atkins, der heute in Berlin und Kopenhagen lebt, ist nach seinem Kunststudi­um in London auch als Sprachküns­tler hervorgetr­eten und hat seine Werke bereits in zahlreiche­n Metropolen vorgestell­t: Er hatte schon Ausstellun­gen in New York, Paris, London, Montreal, Amsterdam und Zürich. Dem Schweizer Kurator Hans-Ulrich Obrist gilt er als „einer der großen Künstler unserer Zeit“.

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FOTO: ANNE ORTHEN Ed Atkins neben seiner Animation, in der sich ein Burger unter anderem mit einem Klavier füllt.

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