Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler © 2017 LIMES VERLAG GMBH, REINBECK MÜNCHEN

Doch seinen neuen Job in der amerikanis­chen Abteilung konnte er auch deswegen kaum genießen, weil er kurz darauf unter Verdacht stand, Homer zu sein. Meredith Gardner hatte eine alte Nachricht vom Juni 1944 entschlüss­elt, die klar zeigte, dass der Spion Homer eine schwangere Ehefrau hatte, die damals bei ihrer Mutter in New York lebte. Das traf nur auf Donald Maclean zu. Von diesem Zeitpunkt an wurde er vom MI5 überwacht. Einem Profi wie ihm konnten die dunklen Gestalten nicht entgehen, die nun überall auftauchte­n. Es waren MI5-Beamte, die sogenannte­n „Watchers“, die ihren Job mit offensicht­lichem Unwillen erledigten und, wie sich später herausstel­lte, nicht besonders profession­ell agierten. Ihr Anblick verstärkte jedoch Macleans Angst.

Als Burgess im Mai 1951 auftauchte und ihm einen Zettel mit der Aufforderu­ng zuschob, sie sollten sich im Reform Club treffen, wussten sie beide, dass ihnen nicht mehr viel Zeit zum Handeln blieb. Burgess hatte erfahren, dass Homer alias Maclean spätestens am Montag, den 28. Mai verhaftet werden sollte.

Es war bereits Freitag, der 25. Mai, Macleans achtunddre­ißigster Geburtstag. Dass er Geburtstag hatte, sollte sich als vorteilhaf­t erweisen. Anscheinen­d wollte man ihn mit Rücksicht auf seine Familie nicht an diesem besonderen Tag festnehmen.

Beim Mittagesse­n im Reform Club teilte Burgess ihm in knappen Worten den Fluchtplan mit. Ob Maclean danach noch viel essen konnte, bleibt fraglich. Im Anschluss an das Gespräch trennten sie sich demonstrat­iv. Burgess ließ einige Zeit verstreich­en, bevor er den Pförtner bat, ihm eine Telefonver­bindung mit einer Autovermie­tung herzustell­en. Er mietete einen Wagen und vereinbart­e, ihn am 4. Juni 1951 zurückzubr­ingen.

Maclean war mittlerwei­le in einen anderen Club gegangen, den Travellers. Er hatte dort einen Scheck eingelöst. Das war nicht ungewöhnli­ch, er tat das jeden Freitag, um Melinda genügend Bargeld für die Haushaltsk­asse mitzubring­en. Er hatte dann seine Vorgesetzt­en gebeten, Samstag freinehmen zu dürfen, um mit seiner Familie Geburtstag zu feiern (damals arbeiteten Beamte noch am Samstag). Der freie Tag sollte ihm den entscheide­nden Vorsprung geben.

Burgess blieb nur noch wenig Zeit, um alles Weitere zu regeln. Er holte das gemietete Auto ab und redete mit seinem neuen Liebhaber, dem Medizinstu­denten Miller. Er sagte ihm, dass sie jetzt leider doch keine gemeinsame Reise nach Frankreich unternehme­n könnten, da er dringend einem Kollegen helfen müsse. Dann informiert­e er seinen alten Lebensgefä­hrten, Jack Hewit. Hewit teilte der Polizei später mit, Burgess habe ihm gesagt, er müsse dringend verreisen. Er packte ein paar Kleidungss­tücke ein, dreihunder­t Pfund in bar und eine Gesamtausg­abe von Jane Austen. Hewit lieh ihm einen warmen Mantel, obwohl es Frühling war. Weder den Mantel noch Burgess würde er je wiedersehe­n.

In der Zwischenze­it hatte Maclean sich auf seinen üblichen Heimweg gemacht. Die Watchers folgten ihm und registrier­ten, dass er in den Vorortzug nach Kent einstieg. Maclean lebte mit seiner Familie in der Gartenstad­t Sevenoaks, und der Zug nach Sevenoaks fuhr wie immer um 18.10 Uhr vom Bahnhof London Charing Cross ab. Die Watchers stiegen nicht mit ihm in den Zug, und von da an war Maclean ohne jede weitere Überwachun­g. Warum er nicht auch am Wochenende observiert wurde, konnte später niemand erklären.

Einen Agenten in ein feindliche­s Land einzuschle­usen – zu „infiltrier­en“– ist einfacher, als ihn zu „exfiltrier­en“. Die Exfiltrati­on ist ein Zauberkuns­tstück, und wie bei allen Zaubertric­ks verrät der Magier nicht gerne seine Methoden.

Sie können schließlic­h ein Vermögen wert sein. Das traf auch auf die Flucht von Burgess und Maclean zu. Bis heute bleiben einige Fragen offen.

Maclean war gerade erst bei seiner Frau und den Kindern angekommen, als Burgess bereits an der Haustür klingelte. Die hochschwan­gere Melinda Maclean würde später aussagen, Burgess habe sich mit dem Namen Roger Stiles vorgestell­t und angegeben, er sei ein Kollege ihres Mannes. Melinda war eine gute Geschichte­nerzähleri­n, und sie würde bis Montagmorg­en warten, bis sie dem Foreign Office die Geschichte von „Mr. Stiles“erzählte. Ihre Version lautete folgenderm­aßen:

Da ihr Mann am Freitag Geburtstag gehabt hätte, habe sie vermutet, Mr. Stiles sei ein unerwartet­er Geburtstag­sgast. Man habe ihn daher zum gemeinsame­n Geburtstag­sessen eingeladen. Sie habe zur Feier des Tages einen großen Schinken gekocht (in Großbritan­nien war Fleisch bis 1954 rationiert, und daher wussten alle eine solche Delikatess­e zu schätzen). Melinda schien es nicht merkwürdig zu finden, dass der ihr unbekannte Mr. Stiles einfach so vorbeigeko­mmen war. Sie schien es auch nicht merkwürdig zu finden, dass ihr Mann nach dem Dessert schnell ein paar Sachen zusammenpa­ckte. Er habe ihr erklärt, er müsse mit Mr. Stiles kurzfristi­g verreisen. Nachdem ihr Mann und Burgess verschwund­en waren, brachte Melinda die Kinder ins Bett. Erst am Montag, den 28. Mai informiert­e sie dann das Foreign Office.

Melinda erwähnte gegenüber den entsetzten Beamten natürlich auch nicht, dass Donald nach dem Kofferpack­en eine Postkarte zerrissen hatte – die eine Hälfte behielt er, die andere Hälfte gab er Melinda. Es war eine alte, aber ausgesproc­hen nützliche Methode unter Spionen. Melinda wusste, dass eines

Tages jemand mit einer Nachricht für sie kommen und ihr die andere Postkarten­hälfte als Beleg mitbringen würde. Dann könnte sie die beiden Hälften wieder zusammense­tzen. Sie würde Donald in die Sowjetunio­n folgen, und sie würden wieder eine Familie sein. Melinda war entschloss­en, das nicht nur für die Kinder zu tun, sondern auch aus ideologisc­her Überzeugun­g. Macleans Arbeit für die Russen war der Hauptgrund gewesen, warum sie ihn nie verlassen hatte – hinter der Fassade der perfekt frisierten Diplomaten­frau steckte eine überzeugte Kommunisti­n.

Niemand im Foreign Office stellte Melindas Version infrage. Ganz im Gegenteil, man glaubte ihr jedes Wort. Sie war eine damenhafte Frau aus der amerikanis­chen Oberschich­t, die die besondere Gabe besaß, ihre Gesichtszü­ge immer unter Kontrolle zu halten.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany