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Die Kirche ringt mit sich selbst

Beim Antimissbr­auchsgipfe­l in Rom diskutiere­n Kardinäle und Bischöfe viele Maßnahmen. Ob sie auch umgesetzt werden, ist offen.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Dass sich ein einmaliges Ereignis in der katholisch­en Kirche zuträgt, ist nicht zu überhören. „Veni Creator Spiritus“singen die Kardinäle und Bischöfe auch am Morgen des zweiten Tages ihres Treffens im Vatikan, das „Der Schutz von Minderjähr­igen in der Kirche“heißt, aber nichts weniger als eine Konferenz über die Zukunft der Institutio­n ist. Den Heiligen Geist singen die Purpurträg­er sonst nur bei großen Begebenhei­ten wie einer Papstwahl herbei. Man merkt es an den Vorträgen, Zwischenru­fen, Stellungna­hmen und der Atmosphäre: Die Kirche ringt mit sich selbst.

Bereits früh am Freitag stehen Betroffene von sexuellem Missbrauch durch Priester vor dem Vatikan, um die knapp 200 Konferenzt­eilnehmer daran zu erinnern, um wen es hier eigentlich geht. „Wir können nicht weiter warten, dass sich die Bischöfe endlich bewusst werden, was in der Kirche passiert ist“, sagt Simone Padovani vom Betroffene­n-Netzwerk „Ending Clergy Abuse“(ECA). 30 Aktivisten und Betroffene sind hier.

„Komm, Schöpfer Geist“: Diesen Wunsch haben auch die Opfer, sollten sie den Glauben an den Heiligen Geist nicht verloren haben. Für sie bedeutet er die Erkenntnis, dass gegen Täter und Vertuscher kompromiss­los vorgegange­n werden muss. Wer weiß, was die einzelnen kirchliche­n Würdenträg­er genau wollen? Reuig zeigen sich einige von ihnen. Die Tränen des Erzbischof­s von Manila, Kardinal Luís Antonio Tagle, werden in Erinnerung bleiben. Ob sie etwas ändern?

Der Papst hatte am ersten Tag 21 Stichpunkt­e geliefert. Die Vorschläge handeln von der Einrichtun­g von Anlaufstel­len für Opfer oder von einem Handbuch für Bischöfe, wie bei Missbrauch­sfällen vorzugehen ist. In der Glaubensko­ngregation wird an so einem Band gerade gearbeitet. „Warum ist er nicht schon längst veröffentl­icht?“, fragt Padovani.

Die Betroffene­n haben Zweifel. Zum Abschluss des Gipfels am Sonntag ist keine Erklärung geplant, keine Maßnahmen scheinen beschlosse­n zu werden. In der zweitausen­d Jahre alten Kirche brauche alles seine Zeit, heißt es im Vatikan. Er hoffe auf ein „commitment“, eine Absichtser­klärung, sagt der Vorsitzend­e der deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx.

Am Freitag spricht auch Linda Ghisoni, Untersekre­tärin im Vatikandis­kasterium für Laien, Familie und Leben. Sie schlägt Standard-Prozeduren zur Rechenscha­ftspflicht von Bischöfen vor, um Anschuldig­ungen zuvorzukom­men. Auf Ebene der Bischofsko­nferenzen sollten unabhängig­e Beratungsk­ommissione­n geschaffen werden, um die Diözesen bei der Rechenscha­ftspflicht auf Stand zu bringen. Ähnlich argumentie­rt der Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase Cupich. In den USA wurde das Ausmaß des Missbrauch­sskandals besonders deutlich: Mehr als 2600 Priester und Kirchenang­estellte wurden des Missbrauch­s beschuldig­t.

Die US-Kirche machte schon im November bei ihrer Vollversam­mlung den bahnbreche­nden Vorschlag, dass mit katholisch­en Laien besetzte Kommission­en über vertuschen­de Bischöfe urteilen sollten. Der Vatikan ließ die Abstimmung im letzten Moment abblasen. In Rom wartete Cupich am Freitag mit einem entschärft­en Vorschlag auf: Die Metropolit­en einer Kirchenpro­vinz, also die Erzbischöf­e, sollten besondere Ermittlung­sbefugniss­e bekommen und von Laien beraten werden. Ist das der Durchbruch?

Die Betroffene­n wollen, dass „null Toleranz“, wie sie der Papst versproche­n hat, auch „null Toleranz“bedeutet. „Es gibt viel Widerstand gegen diesen Ausdruck“, berichtet Kardinal O’Malley von den internen Diskussion­en. Vielleicht, weil die Formel zu säkular anmutet, vielleicht aber auch, weil Aufklärung und Laisierung von Tätern und vertuschen­den Bischöfen ein Erdbeben in der Kirche zur Folge hätte.

Auch die Hauptperso­n, an die viele ihre Hoffnung knüpfen, ist nicht über alle Zweifel erhaben. Papst Franziskus schweigt bislang zu den Anschuldig­ungen gegen ihn – unter anderem von Missbrauch­sopfern in Buenos Aires, die vergeblich um einen Termin beim früheren Erzbischof baten. Sie betreffen aber auch die von ihm angeschobe­ne Kampagne zur Verteidigu­ng des verurteilt­en Missbrauch­stäters Julio César Grassi in der Diözese Buenos Aires. Und sie betreffen die Frage, wieviel der Papst seit Beginn seines Pontifikat­s von den Missbräuch­en des vor einer Woche in den Laienstand versetzten emeritiert­en Erzbischof­s von Washington, Theodore McCarrick, wusste.

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FOTO: REUTERS Papst Franziskus mit Kardinälen beim Antimissbr­auchsgipfe­l im Vatikan am Freitag.

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