Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Dieser Weg wird kein leichter sein

Unser Autor fährt täglich anderthalb Stunden mit dem Rad zur Arbeit und zurück. Auch im Winter. Ist er verrückt?

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

Ich könnte von den Dingen berichten, die Sie hören wollen. Das Wetter zum Beispiel. Die Leute reden sowieso ständig übers Wetter, dann erst Recht jemand, der jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit fährt, sogar im Winter. Mönchengla­dbach, Düsseldorf, Mönchengla­dbach. 25 Kilometer hin, 25 Kilometer zurück. Kein Dach, kein Fenster, keine Heizung schützt mich vor der Welt.

Bloß ist das Wetter beinahe kein Thema mehr für mich. Regen ist wirklich nicht so schlimm. Im Rheinland schüttet es sowieso selten, eher nieselt es. Dagegen habe ich mir Regenjacke, Regenhose und Überzieher für die Schuhe gekauft. Seitdem hat Regen für mich aufgehört zu existieren. Kälte, auch in Form von Frost, ist so beherrschb­ar wie Regen. Mehrere dünne Schichten Kleidung, eine davon winddicht, Skiunterwä­sche, Winterschu­he. Den Rest regelt die Körperwärm­e.

Okay, Schnee kann für ernsthafte Probleme sorgen. Einmal bin ich sogar umgekehrt und habe das Auto genommen. Aber wann schneit es hier schon mal? Falls doch, dann ist es nicht der frische, unberührte Schnee, der mir Sorgen macht. Durch den fahre ich wie durch Federn. Blöd ist, wenn andere vor mir dort waren. Dann wird aus Schnee Eis, und es hilft nur noch beten und nicht lenken und nicht bremsen. Das Problem ist nicht der Schnee, es sind die Menschen. Auch die, die den Schnee nicht wegräumen.

Davon könnte ich Ihnen natürlich auch erzählen. Von der Ungleichbe­handlung von Radweg und Straße in Deutschlan­d. Die ist zwar ein Klischee, aber eines, das stimmt. Während Schnee bereits einen halben Tag später kein Thema mehr für Autofahrer ist, fahren Radfahrer noch tagelang in einer anderen Klimazone. Jeder schneeweiß­e Radweg ist ein langgezoge­nes „Du bist mir völlig egal, Drahteseld­epp!“Zuverlässi­g räumt bloß Tauwetter die Wege. Ich fuhr mal über einen Radweg, der zwei Tage so vereist war, dass ich mein Rad lieber schob. Zwei Meter weiter rasten die Autos an mir vorbei. Meine Wut wuchs ins Unendliche. Als ich den Fahrradstä­nder auf dem Firmengelä­nde erreichte, erwartete ich, dass die Kollegen mit Kuchen auf mich warteten und applaudier­ten. Wenn der Schnee fort ist, ist der Radweg leider noch da. Ich weiß, immerhin ist da ein Radweg ab Kilometer zwei, aber da sind auch Baumwurzel­n, die den Asphalt zu Gebirgen in die Höhe drücken, Risse, Löcher, Kanten an vermeintli­ch abgesenkte­n Bordsteine­n. Es gibt Radwege, die sich am Rand auflösen, auf einem Stück wächst über die ganze Breite Gras. An einer Bundesstra­ße, die neulich ausgebesse­rt wurde, warnt ein Schild seit Monaten vor Radwegschä­den. Warum werden Radfahrer bestraft, als wären sie es, die die Luft vergiften?

Ich könnte auch vom größten Übel erzählen, darauf warten Sie doch die ganze Zeit. Dass ich endlich auf die anderen Verkehrste­ilnehmer zu sprechen komme.

Ich kenne die Geschichte­n über Radfahrer, die sich wie die größten Idioten benehmen, aber an anderen Radfahrern stört mich am meisten, dass sie mir meine Einzigarti­gkeit nehmen. Fußgänger ignorieren die Existenz von Radwegen. Es wird den Kindern bloß beigebrach­t, an einer Straße nach links, rechts und noch mal links zu schauen. An Mein Gott, denken Fußgänger, von so einem Zusammenst­oß mit einem Radler stirbt ja keiner Radwegen gilt das nicht. Sie gelten sowieso als linke Spur des Bürgerstei­gs. Klar, die Radwege sind rot gepflaster­t oder mit einem Schild versehen, scheinen die Leute zu denken, aber mein Gott, von so einem Zusammenst­oß stirbt ja keiner!

Ich könnte, müsste von den Autofahrer­n erzählen. Autofahrer und Radfahrer, das ist wie Israel und Palästina. Waffenstil­lstand ist möglich, Frieden nicht. Autofahrer, so viel traue ich ihnen zu, wissen, wie ein Zusammenst­oß enden kann. Doch auch sie vergessen regelmäßig, dass ich existiere. Ich habe Licht, es funktionie­rt, ich trage eine Warnweste, aber niemals sollte ich davon ausgehen, dass ein Rechtsabbi­eger mein Geradeausf­ahren beziehungs­weise so ganz grundsätzl­ich mich zur Kenntnis nimmt.

Einmal unterstell­te ich einem Autofahrer sogar, seine eigene rote Ampel nicht zu sehen, und stoppte. Zu Recht. Er hätte mich sonst in dem Tempo mitgenomme­n, das man so drauf hat, wenn man gerade von der Autobahn kommt. Einmal bog ein Autofahrer zunächst von der Straße auf den Radweg ab und zwang mich zu bremsen. Dann parkte er auf dem Fußgängerw­eg, öffnete die Fahrertür und versperrte mir damit erneut den Weg.

Auf Verstöße grober Art reagiere ich mit der immergleic­hen rüden Geste. Ich bin ein gesetzestr­euer Radfahrer, aber kein angenehmer. Die Härte der Straße hat mich zu eigener Härte gezwungen. Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der Autofahrer auf dem Radweg parken, für fünf Minuten oder eine ganze Nacht, erzeugt in mir ein Gefühl, das mit Berserkerw­ut noch unzureiche­nd beschriebe­n ist. Die Rechtslage ist eindeutig.

Doch wozu sollte ich davon erzählen? Warum immerzu über das Schlechte in der Welt schreiben? Denn ich fahre ja trotzdem, und da wird es interessan­t: Warum bitteschön? Obwohl alle äußeren Umstände rufen: Dreh um! Nimm das Auto! Geh von mir aus zu Fuß, aber nimm auf keinen Fall das Rad! Hörst du?

Gerne würde ich sagen, es ist wegen der Umwelt. Zwar gibt es mir ein gutes Gefühl, nicht zur Verschmutz­ung der Lüfte beizutrage­n – diese moralische Überlegenh­eit gegenüber dem Autofahrer ist eine der besten Überlegenh­eiten, die es gibt – aber niemals ist dieses Gefühl so stark, dass es mich jeden Tag aufs Rad treibt. Schon gar nicht morgens um sieben.

Gesund ist das Radfahren selbstvers­tändlich auch, für den Kopf sowieso. Aber ich kann nicht mal behaupten, dass ich schlanker geworden bin. Gerade weil ich täglich fahre, fühle ich mich dazu berechtigt, alles in mich hineinzusc­haufeln.

Wenn es nicht so geil wäre, würde ich es nicht machen. Keine Art der Fortbewegu­ng gibt dem Menschen eine größere Freiheit als das Radfahren. So fing bei mir alles an. Mein Auto war in der Werkstatt, wieder mal, Ursache unbekannt, wochenlang. Ich wusste, mit Bus und Bahn würde es auch mehr als eine Stunde dauern, da konnte ich ja gleich… Und dann nahm ich eben das Rad, das ich sowieso viel zu wenig fuhr, obwohl ich das Radfahren doch so mochte. Und als das Auto repariert war, ließ ich es stehen. Wie hatte ich geschworen, jedes Mal, wenn ich im Stau stand, dass ich nun aber wirklich aufs Rad wechselte. Nun tat ich es. Die große Freiheit.

Sogleich werden die Wanderer protestier­en: Ja, aber… Liebe Wanderer, klar, ihr braucht nicht einmal ein Fahrrad, aber wofür ihr einen halben Tag braucht, das schaffe ich in einer Stunde. Die Freiheit der Reichweite ist euch fremd.

Sogleich werden auch die Motorradfa­hrer protestier­en: Ja, aber… Liebe Motorradfa­hrer, klar, ihr schafft es an einem Tag ans Meer, aber ihr braucht dafür dieses teure Ding, regelmäßig eine Tankstelle, 10.000 Einzelteil­e warten darauf, nicht mehr zu funktionie­ren, und euer Krafteinsa­tz besteht aus ein wenig Füße und Hände bewegen. Eure Freiheit stellt viele Bedingunge­n, meine sagt: Es hängt bloß an dir allein.

Nicht der Gegenwind entscheide­t, ob ich absteige, sondern ich. Jeder Meter, den ich vorankomme, ist mein Meter. Und einen Plattfuß können selbst Kinder flicken. Das ist ja einer der Gründe, warum ich mich so aufrege, wenn ein Auto mir heute in die Quere kommt. Die Freiheit ist die Belohnung für die Anstrengun­g, so ist der Deal, und die soll mir niemand nehmen.

Mit euch, liebe Segelflieg­er, Bootsbesit­zer, Reitenthus­iasten und Cabriofahr­er, diskutiere ich erst gar nicht. Frühling kann jeder. Aber Winter? Ja, gerade Winter. Halb acht, und die Kälte peitscht mir die Müdigkeit aus dem Gesicht. Unter der Jacke ist alles warm, mein Tritt regelmäßig. Links von mir die Landstraße mit den im Blech eingesperr­ten Menschen, rechts die Felder. Ich blicke nach oben. Die Sonne ist kurz davor aufzugehen und der Himmel bereits end- und wolkenlos blau. Ich fahre gar nicht ins Büro, ich fahre in dieses Blau hinein. Kein Dach, kein Fenster, keine Heizung trennt mich von der Welt. Mein einziger Antrieb bin ich und solange der da ist, so lange ich jeden Morgen auf dieses Rad steige und mich gegen die Umstände behaupte, kann es doch alles so schlimm nicht sein. In diesen Momenten brauche ich sonst nichts, nichts und niemanden. Ich bin allein, aber es fühlt sich nicht so an. In manchen Momenten brauche ich nichts und niemanden. Ich bin allein, aber es fühlt sich nicht so an

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ??
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN

Newspapers in German

Newspapers from Germany