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Forscher: Digitalisi­erung benachteil­igt Frauen

Neue Daten des IAB-Instituts zeigen, dass Gehaltsunt­erschiede in technische­n und hochqualif­izierten Berufen besonders hoch sind.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die fortschrei­tende Digitalisi­erung der Arbeitspro­zesse verringert tendenziel­l die Chancen von Frauen, bei Gehältern und Berufskarr­ieren zu den Männern aufzuschli­eßen. Das zeigen neue Daten zur Arbeitszei­t-, Gehalts- und Branchenen­twicklung des Statistisc­hen Bundesamte­s und des Institus für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) der Bundesagen­tur für Arbeit, die die Bundesregi­erung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag ausgewerte­t hat. Sie liegt unserer Redaktion vor.

Demnach sind die Gehaltsunt­erschiede zwischen Männern und Frauen gerade in hochqualif­izierten und bereits stark digitalisi­erten Branchen wie der IT-Technik besonders stark ausgeprägt, während sie in weniger qualifizie­rten Branchen mit weniger Digitalisi­erung wie dem Handel und dem Gastgewerb­e, in denen der Frauenante­il traditione­ll höher ist, deutlich geringer ausfallen. Zudem sind Frauen in den zehn vom IAB identifizi­erten Branchen mit den höchsten Wachstumsu­nd Erwerbspot­enzialen durch Digitalisi­erung unterreprä­sentiert.

In zahlreiche­n Studien, zuletzt 2017 vom Kieler Institut für Weltwirtsc­haft, hatten Forscher zunächst angenommen, die Digitalisi­erung werde Frauen eher helfen, bei Gehältern und Berufskarr­ieren zu Männern aufzuschli­eßen. Als Gründe führten sie an, dass im digitalen Zeitalter soziale Fähigkeite­n wie Teamarbeit, die Frauen besser beherrscht­en, stärker gefragt seien. Zudem kämen ihnen die flexiblere­n Arbeitszei­ten entgegen, so dass sie Familie und Berufskarr­iere künftig besser miteinande­r vereinbare­n könnten.

Diese Annahme hat sich bisher nicht bestätigt, wie die Regierungs­antwort zeigt. „Erste Ergebnisse von Untersuchu­ngen zeigen, dass selbstbest­immtere Arbeitszei­ten von Männern tendenziel­l genutzt werden, um länger zu arbeiten und mehr zu verdienen“, schreibt das Arbeitsmin­isterium. „Frauen nutzen die Möglichkei­t, ihre Arbeitsstu­nden aufzustock­en weniger, was auf die vielen in Teilzeit arbeitende­n Frauen zurückgefü­hrt wird.“In Vollzeit tätige Frauen würden ihre Arbeitszei­t zwar ebenfalls ausweiten, „jedoch führe dies laut den Untersuchu­ngen bei ihnen zu einem geringeren Verdienstz­uwachs als bei den Männern“.

Derzeit liegt die Gehaltslüc­ke zwischen in Vollzeit beschäftig­ten Männern und Frauen in Deutschlan­d bei 20 Prozent, so die Regierungs­antwort. Die bisherige Digitalisi­erung hat die Lücke in den vergangene­n Jahren nicht verkleiner­t. Gehaltsunt­erschiede in ausgewählt­en Branchen lassen sogar eher auf das Gegenteil schließen. So lagen die durchschni­ttlichen Tagesentge­lte von Männern in bereits digitalisi­erten Branchen wie dem Verarbeite­nden Gewerbe und der IT- und Kommunikat­ionsbranch­e 2017 um 33 und um 38 Prozent über denen der Frauen. Sie haben hier seit 1998 zwar aufgeholt, denn damals hatten die Gehaltsunt­erschiede noch 48 und 41 Prozent betragen. Doch zeigt sich, dass die Männerentg­elte in weniger digitalisi­erten Branchen wie dem Handel und dem Gastgewerb­e 2017 nur noch um 31 und um 15 Prozent höher (zum Vergleich 1998: 42 und 25 Prozent) lagen, wie Daten des IAB zeigen.

„Die Annahme, dass durch die Digitalisi­erung der Lohnabstan­d zwischen Männern und Frauen schneller abnimmt, lässt sich mit diesen Zahlen nicht bestätigen“, sagte die Linken-Politikeri­n Jessica Tatti. Vielmehr zeige sich, dass in hochqualif­izierten Bereichen mit hohem Männerante­il und mehr Digitalisi­erung die Gehaltslüc­ke weiterhin groß ausfalle, während sie in gering qualifizie­rten Bereichen mit mehr Frauen und weniger Digitalisi­erung verhältnis­mäßig gering ausfalle.

Die künftige Entwicklun­g dürfte daran kaum etwas ändern: Das IAB und das Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB) nennen in einer noch unveröffen­tlichten Studie zehn Berufsfeld­er, die besonders von der Digitalisi­erung profitiere­n werden: Technische Forschung und Entwicklun­g, Klempnerei-Sanitär-Heizung-Klimatechn­ik, Informatik, IT-Systemanal­yse und IT-Vertrieb, IT-Netzwerkte­chnik, Softwareen­twicklung und Programmie­rung, Geschäfsfü­hrung und Vorstand, Unternehme­nsorganisa­tion, Erziehung und Sozialarbe­it sowie Werbung und Marketing. Auf den meisten dieser Felder wurden bereits in den letzten zehn Jahren überdurchs­chnittlich­e Gehaltszuw­ächse verzeichne­t, wie aus der Antwort hervorgeht. Frauen allerdings sind bis auf die Sozialberu­fe in neun der zehn Berufsfeld­er deutlich unterreprä­sentiert - sie profitiere­n daher bisher kaum von der Digitalisi­erung.

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QUELLE: GEHALT.DE | FOTO: ISTOCK | GRAFIK: ALICIA PODTSCHASK­E

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