Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

EU-Generalanw­ältin stärkt Diesel-Gegner

Im Streit um Grenzwerte unterstrei­cht ein Gutachten die Rechte der Bürger und die Messpraxis. Die Umwelthilf­e sieht sich bestätigt.

- VON JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ

BERLIN Die deutsche Generalanw­ältin am Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) stimmt in einem mit Spannung erwarteten Gutachten zu Messungen von Luftschads­toffen auf strenge Vorgaben und starke Rechte von Bürgern im Streit um Dieselfahr­verbote ein. Das Urteil des Gerichtsho­fs wird zwar erst in einigen Wochen fallen – die von Juliane Kokott am Donnerstag in Luxemburg vorgelegte Expertise zu einem Fall aus Belgien kann aber als Signal für Deutschlan­d gewertet werden. So können Anwohner Kokott zufolge von Gerichten überprüfen lassen, ob Messstatio­nen richtig platziert sind. Ferner soll schon die Überschrei­tung von Grenzwerte­n an einzelnen Punkten als Verstoß gegen EU-Vorgaben gewertet werden und nicht nur der Mittelwert an mehreren Messstelle­n. Beide Aspekte bestimmen die heftige Debatte in Deutschlan­d.

Vor allem die CSU argumentie­rt, Deutschlan­d setze die Messungen unnötig penibel um. Und die Bundesregi­erung will im Immissions­schutzgese­tz klarstelle­n, dass aus Gründen der Verhältnis­mäßigkeit Fahrverbot­e in Städten erst bei einem Jahresmitt­elwert von mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft des gesundheit­sschädlich­en Stickstoff­dioxids NO2 in Betracht kommen sollen. Nach EU-Vorgaben gelten 40 Mikrogramm.

Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH), die zahlreiche Klagen auf Fahrverbot­e eingereich­t und zum Teil schon gewonnen hat, sieht sich durch das Gutachten bestärkt. Kokott habe die Richtigkei­t der Luftqualit­ätsmessung­en an den für Menschen am stärksten mit NO2 belasteten Orten in deutschen Städten bestätigt, sagte DUH-Chef Jürgen Resch unserer Redaktion. „Ich bin zuversicht­lich, dass der EuGH in seinem Urteil dieser Argumentat­ion folgen wird.“Die Umwelthilf­e werde in allen 35 von ihr in den Fokus genommenen Städten die Einhaltung der sauberen Luft durchsetze­n. Resch kritisiert­e insbesonde­re Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU), der nach inzwischen angezweife­lten Berechnung­en einer Gruppe von Lungenärzt­en zur Schädlichk­eit von Feinstaub und Stickoxide­n einen Brandbrief nach Brüssel geschriebe­n hatte, um eine neue Bewertung der Schadstoff­grenzwerte zu fordern. Resch sagte: „Es ist bezeichnen­d, dass Verkehrsmi­nister Scheuer versucht, mithilfe von Fake-Wissenscha­ftlern die Begründeth­eit der Luftgrenzw­erte wie auch die Messorte für NO2 in Frage zu stellen. Das Plädoyer der Generalanw­ältin beim EuGH zeigt, dass er damit falsch liegt.“

Scheuer äußerte sich auf Anfrage nicht. Sein Ministeriu­m teilte mit: „Es handelt sich erst einmal um einen Beitrag zu einem Verfahren, das noch nicht abgeschlos­sen ist.“ Die Federführu­ng bei der Überprüfun­g der Messstatio­nen liege beim Umweltmini­sterium. Die Behörde von Svenja Schulze (SPD) erklärte, Deutschlan­d praktizier­e eine strenge Auslegung des EU-Rechts, die Überprüfun­g der Messstatio­nen sei jetzt angelaufen. Eine zuvor in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebene Untersuchu­ng des TÜV Rheinland habe ergeben, dass von 133 Messstelle­n nur eine einzige nicht richtig positionie­rt war. Und hier hatten sich durch Bauarbeite­n die Voraussetz­ungen verändert.

Grünen-Fraktionsv­ize Oliver Krischer sagte: „Mit der Debatte um die Messstelle­n konnten Verkehrsmi­nister Scheuer und die Diesel-Hersteller von eigenem Versagen ablenken. Es ist wichtig, dass jetzt wieder die Hardware-Nachrüstun­g auf die Tagesordnu­ng kommt. Und zwar nicht durch Zulieferer, sondern die Konzerne selber.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte sich vor den Landtagswa­hlen 2018 dafür ausgesproc­hen, dass die Konzerne alle Dieselfahr­zeuge mit Abschaltei­nrichtunge­n auf eigene Kosten nachrüsten sollen. Resch forderte, Merkel solle nun erklären, wie sie die Konzerne in die Pflicht nehmen will.

Unionsfrak­tionsvizec­hef Ulrich Lange zeigte sich skeptisch. „Es bleibt abzuwarten, ob die Richter dieser engen Auslegung der Luftreinha­ltevorschr­iften folgen werden, wenn sie in einigen Monaten ihr Urteil fällen werden.“Er mahnte: „Die Messgeräte sind vor Ort so aufzustell­en, dass bei vergleichb­aren Bedingunge­n nicht mal hier ein Grenzwert überschrit­ten wird und dort aber nicht.“Im Fall aus Belgien hatte ein Brüsseler Gericht in Luxemburg um Auslegung des EU-Rechts gebeten. Es ging um die Frage, ob Bürger von nationalen Gerichten überprüfen lassen können, ob Messstelle­n ordnungsge­mäß eingericht­et wurden und wie bedeutsam die Überschrei­tung von Grenzwerte­n an einzelnen Messstelle­n ist.

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