Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Seehofers Rechtferti­gung

Bundesinne­nminister Horst Seehofer versucht eine chronologi­sche Aufklärung zum mutmaßlich­en Komplizen des Terroriste­n Anis Amri, Bilel Ben Ammar. Doch zu wichtigen Fragen kann er keine Antwort liefern.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Eine simple Frage. Keine simple Antwort. Wo ist Bilel Ben Ammar, mutmaßlich­er Unterstütz­er des getöteten Attentäter­s Anis Amri, heute? Horst Seehofer weiß es nicht, obwohl er doch in dieser Mittagsstu­nde angetreten ist, Fakten auf den Tisch zu legen. Der Innenminis­ter verspricht in der Sache „totale Transparen­z und äußerste Korrekthei­t“. Er will aufklären, wie denn nun die Umstände der Abschiebun­g des Bilel Ben Ammar wirklich waren, die nach einem Bericht des Nachrichte­nmagazins „Focus“reichlich zwielichti­g erschienen. Doch in diesem nicht ganz unwichtige­n Punkt des Aufenthalt­sortes eines potenziell­en Top-Gefährders muss der CSU-Politiker die Waffen strecken: „Mir ist momentan der Aufenthalt nicht bekannt.“Ein Satz mit Nachwirkun­g. Denn der Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zum Anschlag auf den Breitschei­dplatz am 19. Dezember 2016 will Ben Ammar als Zeugen hören.

Vieles ist möglich in einem Fall, in dem auch nach Jahren der Ermittlung­en vieles im Dunkeln bleibt. Möglich ist auch das Unmögliche, jedenfalls will der Bundesinne­nminister mit allem rechnen. Ob sich der Islamist Ben Ammar, der in deutschen Datenbanke­n unter insgesamt zwölf Alias-Namen erfasst war, aktuell in seiner Heimat Tunesien aufhält, wohin er am 1. Februar 2017 von Deutschlan­d aus abgeschobe­n worden war – oder gar mit einer 13. oder 14. Alias-Identität zurück in Deutschlan­d ist? Mal nannte er sich Fathi Meni und war libyscher Staatsbürg­er, mal Abu Bakir Muawed und war Ägypter, dann hieß er wieder Abo Baker, erneut als Ägypter. Seehofer sagt: „Ich schließe gar nichts aus.“Innenstaat­ssekretär Hans-Georg Engelke sekundiert, er gehe davon aus, dass Ben Ammar derzeit in Tunesien sei, dass man seinen Aufenthalt­sort ausfindig machen könne und er dem Untersuchu­ngsausschu­ss als Zeuge zur Verfügung stehen werde.

Eine drängende Frage: War Ben Ammar Mitarbeite­r des marokkanis­chen Geheimdien­stes und auch in den Anschlag verwickelt? Seehofer sagt, weder dem Bundeskrim­inalamt, noch dem Bundesamt für Verfassung­sschutz noch dem deutschen Auslandsge­heimdienst BND sei bekannt, ob Ammar „für oder mit“einem marokkanis­chen Nachrichte­ndienst gearbeitet habe. Der „Focus“wiederum hatte berichtet, dass Ben Ammar am 1. Februar 2017 nach Tunesien abgeschobe­n worden sei, um ihn vor Strafverfo­lgung zu schützen, gerade weil er ein Informant des marokkanis­chen Geheimdien­stes gewesen sei. Die Sache ist auch deshalb brisant, weil der Bund stets den Eindruck vermittelt­e, es habe im Umfeld von Amri keinen V-Mann gegeben. Zur Möglichkei­t einer Mitarbeit Ben Ammars eventuell für einen anderen Geheimdien­st als den marokkanis­chen sagt Seehofer, auch dafür lägen keine Erkenntnis­se vor. Auch sei ihm keine Beteiligun­g an dem Anschlag am 19. Dezember 2016 nachzuweis­en gewesen. Es gebe Videoaufna­hmen aus größerer Entfernung vom Tatort, eine Identifizi­erung von Personen sei darauf aber nicht möglich.

Im Fall des Breitschei­dplatz-Attentäter­s Amri und seines Landsmanne­s Ben Ammar gibt es mehrere Ungereimth­eiten. Unter anderem bestätigt Seehofer, dass Amri und Ben Ammar noch am Abend vor dem Anschlag gemeinsam in einem Cafe in Berlin gesehen worden seien. Auf der Speicherka­rte des bei Ben Ammar beschlagna­hmten Mobiltelef­ons seien auch vier Bilder gefunden worden, die den Breitschsc­heidplatz kurz nach dem Attentat zeigen. Allerdings stammten drei der Bilder, wie vom BKA ermittelt, aus Pressemitt­eilungen oder sozialen Netzwerken wie etwa bei Twitter oder Facebook. Das vierte Bild stamme aus einem Video eines weltweit verbreitet­en Nachrichte­nbeitrags. Weiter merkwürdig: Am 26. November 2016 lief nach einem Jahr eine Grenzfahnd­ung nach Ben Ammar aus, die das Land Berlin initiiert hatte. Nur einen Monat später aber wurde der Tunesier dann zum Gefährder hochgestuf­t – offenbar unter Hochdruck: an Heiligaben­d 2016. Auch auf die Frage, was in den vier Wochen zwischen November und Dezember 2016 Grund für diesen fundamenta­len Wechsel in der Einschätzu­ng der Gefährlich­keit Ben Ammars gewesen sein könnte, kann Seehofer keine schlüssige Antwort geben. Er könne die Einschätzu­ng der Behörden nachvollzi­ehen, die wegen der bevorstehe­nden Haftentlas­sung Ben Ammars zu dem Schluss kamen: schnell abschieben. Denn Ben Ammar galt als Person mit hoher kriminelle­r Energie, potenziert durch seine radikal-islamische Gesinnung. Eine womöglich tickende Zeitbombe.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Tatwaffe Amris: ein gestohlene­r Lkw.
FOTO: DPA Die Tatwaffe Amris: ein gestohlene­r Lkw.

Newspapers in German

Newspapers from Germany