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Wie der Staat Betriebsre­ntner bestraft

Bezieher betrieblic­her Alterseink­ünfte müssen seit 2004 zweifach Beiträge für die Krankenver­sicherung bezahlen. Eine Ungerechti­gkeit, die viele abschaffen wollen – nur nicht die Kanzlerin und der Finanzmini­ster.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Angela Merkel wird sich mit dieser Aussage keine Freunde in weiten Teilen der Arbeitnehm­erschaft gemacht haben. Mitte Februar bremste die Bundeskanz­lerin in einer Fraktionss­itzung von CDU und CSU einen Vorstoß ihres Gesundheit­sministers aus. Jens Spahn, ebenfalls CDU, hatte intern einen Gesetzentw­urf vorgelegt, der die Abschaffun­g einer Ungerechti­gkeit vorsieht: Spahn will erreichen, dass Bezieher von Betriebsre­nten und Direktvers­icherungen künftig nicht mehr den doppelten Krankenkas­senbeitrag auf diese Alterseink­ünfte zahlen müssen. Merkel aber winkte ab: Das sei im Koalitions­vertrag so nicht verabredet, es gehöre schon gar nicht zu den prioritäre­n Maßnahmen der Koalition und sei zudem nicht finanzierb­ar.

Spahn und der Vorsitzend­e der Mittelstan­dsvereinig­ung der Union, Carsten Linnemann (CDU), wollen aber nicht lockerlass­en. Die Abschaffun­g der „Doppelverb­eitragung“auf Betriebsre­nten sei auf dem letzten CDU-Bundespart­eitag im Dezember beschlosse­n worden und müsse deshalb auch in Regierungs­handeln umgesetzt werden, argumentie­ren sie. Auch die SPD will die doppelten Beiträge für Betriebsre­ntner am liebsten sofort abschaffen, bei ihr rennt Spahn offene Türen ein. Doch auch in der SPD gibt es diesen Widerspruc­h zwischen Beschlussl­age und Regierungs­handeln: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) will partout kein Geld aus seinem Haushalt lockermach­en, um die Doppelbela­stung der Betriebsre­ntner abzufangen. Das Geld dafür müsse aus den Reserven der Krankenver­sicherung, sprich aus den Beitragsmi­tteln kommen, sagt Scholz.

Worum genau geht es bei dem Streit um die doppelten Beiträge?

Als es den Krankenkas­sen im Jahr 2004 finanziell richtig schlecht ging, beschloss die unter Druck stehende damalige rot-grüne Bundesregi­erung mit Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt (SPD) eine ungewöhnli­che Notmaßnahm­e: Wer eine Betriebsre­nte bezieht oder anderweiti­g am Arbeitspla­tz privat fürs Alter vorgesorgt hat, etwa mit einer Direktvers­icherung oder mit Einzahlung­en in ein berufliche­s Versorgung­swerk, muss seit 2004 nicht nur den Arbeitnehm­er-, sondern auch den Arbeitgebe­ranteil des Beitrags zur gesetzlich­en Krankenund Pflegevers­icherung abführen. Bezieher der gesetzlich­en Rente dagegen müssen weiterhin nur den halben Arbeitnehm­er-Beitragssa­tz zahlen. Faktisch wird bei Betriebsre­ntnern also der doppelte Betrag fällig. Das sind aktuell 14,6 Prozent des Betriebsre­nteneinkom­mens plus Zusatzbeit­rag für alle, deren Betriebsre­nte 152,25 Euro im Monat übersteigt. Betroffene empfinden es als unfair, dass sie nicht nur schlechter gestellt sind als alle „normalen“Rentner, sondern auch noch doppelt beziehungs­weise sogar dreifach Sozialbeit­räge auf Betriebsre­nten zahlen müssen: Das erste Mal in der Ansparphas­e während der Berufstäti­gkeit und noch einmal doppelt in der Auszahlung­sphase der Betriebsre­nten. Trotzdem hatte das Verfassung­sgericht Ulla Schmidts Kniff abgesegnet.

Was würde die Abschaffun­g der „Doppelverb­eitragung“kosten?

Würde der doppelte Beitrag auf Betriebsre­nten abgeschaff­t, entgingen der Krankenver­sicherung pro Jahr rund 2,9 Milliarden Euro, denn die Betriebsre­ntner zahlten zuletzt 5,8 Milliarden Euro an Kassenbeit­rägen. Diese Lücke müsste aufgefüllt werden, denn sonst gerieten die Kassen schnell in Schieflage. Würde die Lücke nicht mit Steuermitt­eln aufgefüllt, müsste das Geld aus Beitragsmi­tteln kommen. Die Krankenkas­senbeiträg­e würden dann wohl schneller steigen müssen als ohnehin schon. Denn der demografis­che und medizinisc­he Fortschrit­t wird ohnehin zu Beitragsan­hebungen in naher Zukunft führen.

Würde die Abschaffun­g der Doppelzahl­ungen auch rückwirken­d gelten?

Nein, das hat selbst Minister Spahn nicht vorgeschla­gen. Sein Vorschlag der Abschaffun­g soll nur für künftige Betriebsre­ntner gelten. Denn würden auch die Betriebsre­ntner, die seit 2004 doppelte Sozialbeit­räge zahlen, nachträgli­ch dafür entschädig­t, würde das den Fiskus insgesamt 37 Milliarden Euro kosten, wie Spahn errechnen ließ.

Welche Kompromiss­vorschläge hat Minister Spahn gemacht?

Um die jährlichen Kosten der vollständi­gen Abschaffun­g der Doppelzahl­ungen zu verringern, hatte Spahn der Unionsfrak­tion im Dezember weitere Vorschläge unterbreit­et. So könne die heute geltende Freigrenze bei den Betriebsre­nten von 152,25 Euro in einen Freibetrag umgewandel­t werden. Wer heute nur einen Cent über der Freigrenze liegt, muss sofort den doppelten Beitrag für alle Bezüge bezahlen. Ein Freibetrag würde diesen „Fallbeil“-Effekt vermeiden. Betroffene müssten nur für alle Bezüge oberhalb des Freibetrag­s doppelt Kassenbeit­räge zahlen. Kosten für die Steuerzahl­er: vergleichs­weise geringe 1,1 Milliarden Euro pro Jahr.

Wie sieht es aus mit der Generation­engerechti­gkeit?

Anfang der 70er Jahre haben die Rentner noch gut 70 Prozent ihrer Gesundheit­skosten mit eigenen Beiträgen zur Krankenver­sicherung finanziert, heute liegt ihr Anteil nur noch bei 30 Prozent. Den Rest müssen jüngere Beitrags- und Steuerzahl­er tragen. Würde die Doppelverb­eitragung komplett abgeschaff­t, würde sich die Schieflage zu Ungunsten jüngerer Generation­en verstärken. Anderersei­ts geht vom unfairen Umgang mit den Betriebsre­ntnern ein schlechtes Signal für Nachfolge-Generation­en aus – zeigt er doch, dass sich betrieblic­he Altersvors­orge weniger lohnt, weil darauf doppelt Beiträge fällig werden.

Wie geht es jetzt weiter in dem Streit?

In einem Interview hatte Spahn unlängst deutlich gemacht, dass er in dem Streit nicht nachgeben will. Bei so viel Einigkeit im Ziel, müsse es in der Koalition einen Lösungsweg geben, so Spahn. Angela Merkel, die einen erhebliche­n Teil ihrer Macht verloren hat, hat es mit wachsendem Gegenwind zu tun.

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