Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Cambridge 5 – Zeit der Verräter
Ich wollte dich nicht verlieren, ich wusste, sie würden dich von der Uni verweisen, und dann wärst du abgedriftet, für immer verschwunden, nach Lateinamerika oder sonst wohin. Ich habe ihnen Zusammenarbeit versprochen und dass ich dich unter Kontrolle halten würde.“
„Deine Spionagefreunde ...“„MI5, Hunt! M - I - 5. Du kannst es ruhig aussprechen, es ist kein Schimpfwort. Nicht für mich.“
„Sie wussten, dass ich auf dem Dach war.“
„Sie wussten, dass du mit Stef da oben warst, dafür gab es mehrere Zeugen, aber in den Protokollen tauchte dann nur Stefs Name auf. Es wurden insgesamt vier Steine geworfen. Zwei gingen daneben, die nächsten zwei trafen fast zeitgleich den Proktor und den Studenten, der neben ihm stand. Das war natürlich ein Unfall.“
„Aber wer hat die geworfen?“ „Das fragst du mich, Hunt?“
„Ich war es nicht, Stef war es nicht.“
„Oh, Hunt.“Jenny klang jetzt sehr müde.
„Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid. Du hättest mit mir darüber reden sollen.“
Sie schloss die Augen. Hunt war sich nicht sicher, ob eine Schmerzwelle durch ihren Körper schoss oder ob sie sich einfach nur noch wegwünschte aus dieser Welt. Doch er konnte jetzt nicht aufhören.
„Du hast gesagt, es war ein Unfall, dass der Student von einem der Steine getroffen wurde.“
Jenny öffnete ihre Augen sehr langsam. „Der Proktor war das Ziel, niemand symbolisierte mehr das verhasste Establishment als ein Proktor.“
„Und wenn der Student das Ziel war und der Proktor der Unfall?“„Was?“
„Es hätte einen Provokateur geben können, der die Steine warf. Jemand, der Interesse daran hatte, einen Märtyrer zu schaffen. Ein toter Student hätte uns doch alle noch wütender gemacht.“
„Wer von uns steht hier unter starken Drogen, du oder ich?“
„Denk mal nach. Die englischen Studentenunruhen waren lahm, nicht so erfolgreich wie in Berlin und Paris. Vielleicht wollte jemand nachhelfen. Ist das nicht genau das, was ihr alle macht, ihr Nachrichtendienste? Ihr über- wacht Studenten, ja, aber ihr versucht sie auch zu manipulieren, Studentengruppen zu unterwandern ...“„Penetrieren ...“
„Meinetwegen. Im Moment überwacht ihr wahrscheinlich jeden muslimischen Uniclub, kann man euch nicht verdenken, wenn man diese IS-Mörder sieht. Du weißt doch am besten, dass Studenten seit Jahrzehnten interessant für die Nachrichtendienste sind. Schon Kim Philbys Rekruteur Arnold Deutsch wusste es. Diesen Erfolg wollen alle wiederholen, wir im Westen und die Russen.“„Worauf willst du hinaus?“
„Was, glaubst du, haben die Russen hier in Cambridge in den Siebzigerjahren gemacht? Wer von den Leuten in unserem Jahrgang könnte für sie gearbeitet haben?“
„Wer damals in Cambridge rekrutiert wurde, haben wir nie klären können. Du standest ganz oben auf der Verdachtsliste.“
„Ich fühle mich geehrt. Aber was wisst ihr eigentlich?“
Jenny schloss wieder die Augen. „Ziemlich viel über die aktuelle Arbeit der Russen hier.“
„Lass mich raten. In Londoner Hotels Leuten wie Alexander Litwinenko Polonium in den Tee schütten?“
(Fortsetzung folgt)