Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Digitales Experiment an Schülern
Der Digitalpakt ist verabschiedet, die fünf Milliarden Euro vom Bund zur Anschaffung digitaler Geräte für die Schulen können fließen. Welchen Nutzen sie wirklich bringen, ist aber bisher kaum erforscht.
Markus Dormann hat keine leichte Aufgabe an diesem Mittag. Vor dem Diplom-Soziologen sitzen rund 30 Lehrer mit mehr oder minder skeptischen Mienen. Ihr gemeinsames Interesse: das digitale Klassenzimmer. Sie wollen wissen, was anders wird, wenn digitale Geräte wie Tablets und Smartphones in die Klassenzimmer Einzug halten. Wann es Sinn ergibt, sie einzusetzen, und welchen Nutzen sie wirklich stiften.
Es gibt viele offene Fragen rund um die Digitalisierung an Schulen. Weil Bund und Länder einen Kompromiss gefunden und den Digitalpakt mit seinen Milliardenhilfen verabschiedet haben, könnte es jetzt mit der digitalen Ausstattung der Schulen schnell gehen. Doch welche Folgen digitale Geräte für die Schüler haben, darüber gibt es nur wenige fundierte Informationen.
Es gebe nur wenige wissenschaftliche Studien zu dem Thema, sagt Paula Bleckmann, Professorin für Medienpädagogik an der Alanus-Hochschule in Alfter am Rhein. „Deshalb sind wir im Begriff, ein Experiment durchzuführen, das zu Schädigungen einer ganzen Generation führen könnte“, meint die Wissenschaftlerin. Technikfolgenabschätzungen, die etwa Hightech- mit Lowtech-Klassen vergleiche, gebe es kaum. Das sei noch beim Aufkommen des Schulfernsehens anders gewesen. Seinerzeit habe es eine solche Untersuchung durchaus gegeben. Ergebnis: Der bescheidene Erfolg des Einsatzes von Schulfernsehen rechtfertigte nicht den finanziellen Aufwand.
Eine der wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Digitalisierung in Schulen kommt vom Centre for Economic Performance der London School of Economics und stammt aus dem Jahr 2015. Die beiden Forscher Louis-Philippe Beland und Richard Murphy untersuchten in vier britischen Städten, wie sich ein Handyverbot im Unterricht auf die schulischen Leistungen auswirkt. Das Resultat ist recht eindeutig: Klassen mit Handyverbot lernten im Durchschnitt besser als ohne. Interessant ist dabei, dass es für die guten Schüler kaum einen Unterschied macht, ob sie Handys nutzen dürfen oder nicht – sie lernen gleich gut. Lernschwache Kinder aber erzielen signifikant schlechtere Leistungen, weil sie sich zu stark ablenken lassen. Allerdings untersuchten die Forscher nicht, wie sich ein strukturierter, also pädagogisch aufbereiteter Gebrauch von Handys im Unterricht auswirkt. In dem Fall könnten sie, mutmaßt die Studie, ein nützliches Lernwerkzeug sein.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die sogenannte Hattie-Studie. Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie und der Augsburger Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer kommen nach der Auswertung von rund 80.000 Einzelstudien zu dem Ergebnis: „Ein schlechter Unterricht wird mit digitalen Medien nicht besser.“Guter Unterricht könne hingegen in bescheidenem Maße profitieren. Der Analyse zufolge bringt die außerschulische Nutzung von sozialen Medien und Smartphones sogar „negative, also schädliche Effekte“. Auch bei der Nutzung von Handys, Laptops und Computerpräsentationen im Klassenzimmer seien „nur niedrige positive, also kaum wirksame Effekte“festzustellen.
Für die Medienpädagogin Bleckmann belegen die Ergebnisse, dass die Schulen gut daran täten, am Eingang eine Box aufzustellen, damit jeder Schüler vor Unterrichtsbeginn sein Handy abgibt. Gerade auch in den Pausen hält sie die Wirkung von Smartphones für fatal: „Dann findet das soziale Lernen statt. Wer sich hinter seinem Handy versteckt, kann den Umgang mit seinen Mitschülern nicht lernen.“Die Medienpädagogin warnt überdies davor, Kinder zu früh mit digitalen Geräten in Berührung zu Mathias Richter Staatssekretär im NRW-Schulministerium bringen. „Die Bildungsministerin will die digitale Kita – das wird nicht dazu führen, dass wir medienmündige Schüler haben“, sagt Bleckmann. Auch bei Grundschülern müsse man sehr aufpassen: „Die Kombination von hoher technischer Kompetenz mit geringer persönlicher Reife ist problematisch.“Auch die Suchtgefahr sei groß.
Mathias Richter, Staatssekretär im FDP-geführten NRW-Schulministerium, teilt diese Sorge nur in Ansätzen. Ziel sei nicht, dass die digitalen Geräte den Lehrer ersetzten. Sie sollten nur ergänzend zum Einsatz kommen und dabei helfen, den Unterricht zu verbessern. Es gelte, dass Pädagogik immer Vorrang habe: „Aber die Suchtproblematik müssen wir im Blick behalten.“Richter räumt zugleich ein, dass die Einführung digitaler Geräte „in Teilen ein Experiment ist. Man wird nachsteuern müssen. Aber die Zeit, dass wir alles im Unterricht analog gestalten können, ist vorbei.“Wenn die Kinder die Schule verließen, sei die Digitalisierung allerorten präsent. Richter hält aber ein Kriterium für entscheidend: „Wichtig ist, dass der Einsatz digitaler Geräte im Unterricht einen Mehrwert bringt.“
Der ist nicht überall sofort ersichtlich. Schon bei den M-Books, den digitalen Schulbüchern, stellt sich diese Frage. Nach dem Mehrwert gefragt, nennt ein Verkaufsrepräsentant auf der Bildungsmesse Didacta ein paar Vorteile gegenüber herkömmlichen Büchern: Vokabel-Apps, die beim Lernen helfen. Auch können Schüler in M-Books Notizen an den Rand schreiben oder Hör-Einheiten anklicken, ohne Extra-CDs einlegen zu müssen. Und Lehrer können eigene Anmerkungen aufnehmen und den Schülern zu Gehör bringen.
Soziologe Dormann versucht seine Zuhörerschaft in seinem Vortrag über den „Modern Classroom“mit einem weiteren Argument zu überzeugen. Lehrer könnten damit mehr Wettbewerb in ihre Klassen bringen, weil die Ergebnisse transparenter seien. Kompetitivität nennt er es. „Und dann sehen wir, wie viel mehr Motivation wir im Klassenzimmer haben.“Seine Zuhörer wirken nicht überzeugt.
„Wichtig ist, dass der Einsatz digitaler Geräte im Unterricht einen Mehrwert bringt“