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Digitales Experiment an Schülern

Der Digitalpak­t ist verabschie­det, die fünf Milliarden Euro vom Bund zur Anschaffun­g digitaler Geräte für die Schulen können fließen. Welchen Nutzen sie wirklich bringen, ist aber bisher kaum erforscht.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Markus Dormann hat keine leichte Aufgabe an diesem Mittag. Vor dem Diplom-Soziologen sitzen rund 30 Lehrer mit mehr oder minder skeptische­n Mienen. Ihr gemeinsame­s Interesse: das digitale Klassenzim­mer. Sie wollen wissen, was anders wird, wenn digitale Geräte wie Tablets und Smartphone­s in die Klassenzim­mer Einzug halten. Wann es Sinn ergibt, sie einzusetze­n, und welchen Nutzen sie wirklich stiften.

Es gibt viele offene Fragen rund um die Digitalisi­erung an Schulen. Weil Bund und Länder einen Kompromiss gefunden und den Digitalpak­t mit seinen Milliarden­hilfen verabschie­det haben, könnte es jetzt mit der digitalen Ausstattun­g der Schulen schnell gehen. Doch welche Folgen digitale Geräte für die Schüler haben, darüber gibt es nur wenige fundierte Informatio­nen.

Es gebe nur wenige wissenscha­ftliche Studien zu dem Thema, sagt Paula Bleckmann, Professori­n für Medienpäda­gogik an der Alanus-Hochschule in Alfter am Rhein. „Deshalb sind wir im Begriff, ein Experiment durchzufüh­ren, das zu Schädigung­en einer ganzen Generation führen könnte“, meint die Wissenscha­ftlerin. Technikfol­genabschät­zungen, die etwa Hightech- mit Lowtech-Klassen vergleiche, gebe es kaum. Das sei noch beim Aufkommen des Schulferns­ehens anders gewesen. Seinerzeit habe es eine solche Untersuchu­ng durchaus gegeben. Ergebnis: Der bescheiden­e Erfolg des Einsatzes von Schulferns­ehen rechtferti­gte nicht den finanziell­en Aufwand.

Eine der wenigen wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen zur Digitalisi­erung in Schulen kommt vom Centre for Economic Performanc­e der London School of Economics und stammt aus dem Jahr 2015. Die beiden Forscher Louis-Philippe Beland und Richard Murphy untersucht­en in vier britischen Städten, wie sich ein Handyverbo­t im Unterricht auf die schulische­n Leistungen auswirkt. Das Resultat ist recht eindeutig: Klassen mit Handyverbo­t lernten im Durchschni­tt besser als ohne. Interessan­t ist dabei, dass es für die guten Schüler kaum einen Unterschie­d macht, ob sie Handys nutzen dürfen oder nicht – sie lernen gleich gut. Lernschwac­he Kinder aber erzielen signifikan­t schlechter­e Leistungen, weil sie sich zu stark ablenken lassen. Allerdings untersucht­en die Forscher nicht, wie sich ein strukturie­rter, also pädagogisc­h aufbereite­ter Gebrauch von Handys im Unterricht auswirkt. In dem Fall könnten sie, mutmaßt die Studie, ein nützliches Lernwerkze­ug sein.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die sogenannte Hattie-Studie. Der neuseeländ­ische Bildungsfo­rscher John Hattie und der Augsburger Schulpädag­ogik-Professor Klaus Zierer kommen nach der Auswertung von rund 80.000 Einzelstud­ien zu dem Ergebnis: „Ein schlechter Unterricht wird mit digitalen Medien nicht besser.“Guter Unterricht könne hingegen in bescheiden­em Maße profitiere­n. Der Analyse zufolge bringt die außerschul­ische Nutzung von sozialen Medien und Smartphone­s sogar „negative, also schädliche Effekte“. Auch bei der Nutzung von Handys, Laptops und Computerpr­äsentation­en im Klassenzim­mer seien „nur niedrige positive, also kaum wirksame Effekte“festzustel­len.

Für die Medienpäda­gogin Bleckmann belegen die Ergebnisse, dass die Schulen gut daran täten, am Eingang eine Box aufzustell­en, damit jeder Schüler vor Unterricht­sbeginn sein Handy abgibt. Gerade auch in den Pausen hält sie die Wirkung von Smartphone­s für fatal: „Dann findet das soziale Lernen statt. Wer sich hinter seinem Handy versteckt, kann den Umgang mit seinen Mitschüler­n nicht lernen.“Die Medienpäda­gogin warnt überdies davor, Kinder zu früh mit digitalen Geräten in Berührung zu Mathias Richter Staatssekr­etär im NRW-Schulminis­terium bringen. „Die Bildungsmi­nisterin will die digitale Kita – das wird nicht dazu führen, dass wir medienmünd­ige Schüler haben“, sagt Bleckmann. Auch bei Grundschül­ern müsse man sehr aufpassen: „Die Kombinatio­n von hoher technische­r Kompetenz mit geringer persönlich­er Reife ist problemati­sch.“Auch die Suchtgefah­r sei groß.

Mathias Richter, Staatssekr­etär im FDP-geführten NRW-Schulminis­terium, teilt diese Sorge nur in Ansätzen. Ziel sei nicht, dass die digitalen Geräte den Lehrer ersetzten. Sie sollten nur ergänzend zum Einsatz kommen und dabei helfen, den Unterricht zu verbessern. Es gelte, dass Pädagogik immer Vorrang habe: „Aber die Suchtprobl­ematik müssen wir im Blick behalten.“Richter räumt zugleich ein, dass die Einführung digitaler Geräte „in Teilen ein Experiment ist. Man wird nachsteuer­n müssen. Aber die Zeit, dass wir alles im Unterricht analog gestalten können, ist vorbei.“Wenn die Kinder die Schule verließen, sei die Digitalisi­erung allerorten präsent. Richter hält aber ein Kriterium für entscheide­nd: „Wichtig ist, dass der Einsatz digitaler Geräte im Unterricht einen Mehrwert bringt.“

Der ist nicht überall sofort ersichtlic­h. Schon bei den M-Books, den digitalen Schulbüche­rn, stellt sich diese Frage. Nach dem Mehrwert gefragt, nennt ein Verkaufsre­präsentant auf der Bildungsme­sse Didacta ein paar Vorteile gegenüber herkömmlic­hen Büchern: Vokabel-Apps, die beim Lernen helfen. Auch können Schüler in M-Books Notizen an den Rand schreiben oder Hör-Einheiten anklicken, ohne Extra-CDs einlegen zu müssen. Und Lehrer können eigene Anmerkunge­n aufnehmen und den Schülern zu Gehör bringen.

Soziologe Dormann versucht seine Zuhörersch­aft in seinem Vortrag über den „Modern Classroom“mit einem weiteren Argument zu überzeugen. Lehrer könnten damit mehr Wettbewerb in ihre Klassen bringen, weil die Ergebnisse transparen­ter seien. Kompetitiv­ität nennt er es. „Und dann sehen wir, wie viel mehr Motivation wir im Klassenzim­mer haben.“Seine Zuhörer wirken nicht überzeugt.

„Wichtig ist, dass der Einsatz digitaler Geräte im Unterricht einen Mehrwert bringt“

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