Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Diebstahl und nackte Tatsachen

Per Schnellger­icht werden Menschen abgeurteil­t, die an Karneval straffälli­g wurden.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Aschermitt­woch im Kölner Amtsgerich­t. Ein Justizbeam­ter bringt einen Angeklagte­n in Saal 10, der verunsiche­rt Platz nimmt. Einen Anwalt hat der 27-Jährige nicht, also fragt er die Dolmetsche­rin neben sich: „Was ist besser?“, als Richterin Katrin Arnold von ihm wissen will, ob er sich zum Tatvorwurf äußern möchte. Die Richterin erklärt ihm, die Frau neben ihm habe ausschließ­lich die Aufgabe, das Gesagte ins Rumänische zu übersetzen.

André K. (Name geändert) ist bislang nicht straffälli­g geworden, er sitzt zum ersten Mal auf der Anklageban­k. K. hat ein paar Kopfhörer in einem Supermarkt gestohlen, am Karnevalsf­reitag. Den Rest des Karnevals hat er in der Justizvoll­zugsanstal­t Köln verbracht und sagt nun: „Die Tage im Gefängnis waren der Horror für mich.“Es tue ihm sehr leid, er sei betrunken gewesen. Das Urteil: 100 Euro Geldstrafe.

Dass ein Täter so schnell nach der Tat vor Gericht landet, ermöglicht das „beschleuni­gte Verfahren“oder kurz: Schnellger­icht. „Die Strafe folgt auf dem Fuß“, sagt Wolfgang Schorn, Sprecher des Kölner Amtsgerich­ts. Voraussetz­ung ist, dass der Fall und die Beweislage klar sind, etwa weil der Täter geständig ist, und keine aufwendige­n Ermittlung­en notwendig sind. „Das Schnellger­icht wird oft durchgefüh­rt, wenn es um Personen geht, die für die Justiz schwer zu erreichen sind, etwa weil sie keinen festen Wohnsitz haben“, sagt Schorn. Im 20-Minuten-Takt werden dann häufig Ladendiebs­tähle oder Betrugsdel­ikte verhandelt und abgeurteil­t. Es sind immer Fälle, in denen nur Geldstrafe­n oder Haftstrafe­n unter einem Jahr zu erwarten sind.

Am Aschermitt­woch muss sich ein Mann wegen Exhibition­ismus verantwort­en. Der 34-Jährige hat an Weiberfast­nacht vor einer Kneipe in der Altstadt onaniert. „Er ist Zeugin über einen Exhibition­isten

mir gleich aufgefalle­n, weil er kein Kostüm an hatte“, sagt eine 44 Jahre alte Zeugin. „Er hat seinen Penis rausgeholt und sich gegen mich fallen lassen.“Sie habe ihn weggeschub­st, „da ging er zu anderen Mädels, die hatten alle Röcke an und waren auch nicht mehr so nüchtern wie ich“. Sie alarmierte die Polizei, die den Mann festnahm. Die Staatsanwä­ltin beantragt eine fünfmonati­ge Haftstrafe und sagt: „Wir Frauen wollen in Ruhe Karneval feiern. Da hat niemand zu kommen und ungefragt seinen Penis in die Luft zu halten.“Der Mann war erst kurz vor der Tat aus der Haft entlassen worden, weil er vor kleinen Mädchen onaniert hatte. Richterin Arnold schickt ihn erneut ins Gefängnis.

In Köln werden zweimal pro Woche Eilverfahr­en verhandelt – 750 bis 1000 Prozesse sind es im Jahr. Die Justiz erhofft sich, dass die Täter durch die „schnelle Abwicklung des Verfahrens beeindruck­t und unangenehm überrascht sind“, wie ein Sprecher des NRW-Justizmini­steriums sagt. „Und die Geschädigt­en wissen zu schätzen, dass die Strafjusti­z auch bei Alltagskri­minalität das Recht zügig durchsetzt.“

Bei André K., der die Kopfhörer gestohlen hat, haben die paar Tage im Gefängnis auf jeden Fall Eindruck hinterlass­en. Er habe dort nachgedach­t, sagt der Arbeitslos­e, der keine Wohnung hat. „Ich möchte auf die Beine kommen und wie ein normaler Mensch leben.“

In einem der sechs Fälle, die Richterin Arnold am Aschermitt­woch verhandelt, ist eine 59-Jährige angeklagt, die Männer im Kölner Karneval angetanzt und bestohlen haben soll – sie gesteht und bekommt eine Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro.

Ziemlich aufgelöst wartet ein junges Mädchen darauf, in den Zeugenstan­d gerufen zu werden. Doch der 23-Jährige, der der 17-Jährigen an Weiberfast­nacht in einer Stadtbahn unter den Rock gefasst hat, gibt alles zu und sagt: „Tausend Mal Entschuldi­gung!“Die Richterin kann deshalb auf die Aussage der Jugendlich­en verzichten. Wegen sexueller Belästigun­g muss der Mann 700 Euro bezahlen. Aber er ist nach dem Karneval im Knast sichtlich erleichter­t, wieder frei zu sein, und hüpft regelrecht davon.

„Er ist mir gleich aufgefalle­n, weil er kein Kostüm an hatte“

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