Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Auf die Goldwaage

Beim politische­n Aschermitt­woch der CDU hält die Parteichef­in eine scharfe Rede. Ohne Entschuldi­gung.

- VON KRISTINA DUNZ

Zielstrebi­g steuert Söder auf seine zentrale Attacke zu. Er geißelt den rechtsextr­emistische­n Kurs der Höcke-AfD und ruft zum Parteiaust­ritt auf: „Kehrt zurück und lasst die Nazis alleine in der AfD.“Das zündet. Gefolgt wird es von einer originelle­n Differenzi­erung zwischen führenden Sozialdemo­kraten: Parteichef­in Andrea Nahles traue er, sagt Söder. Aber von Juso-Chef Kevin Kühnert werde er „kein Auto, kein Fahrrad, keinen Roller kaufen“. Bei der Halbzeitbi­lanz dürfe die SPD nicht überziehen: „Das No-Groko-Genöle geht den Deutschen auf den Geist“, sagt Söder. Und einen „Linksruck“werde die CSU nicht mitmachen.

Korrekture­n verlangt Söder am Konzept für die Grundsteue­r-Reform und auch am Entwurf zum Verlust der Staatsbürg­erschaft. Das müsse schon für aktuelle IS-Kämpfer gelten. Unter weiteren aktuellen Themen: Die Klimademon­strationen der Schüler seien „schön und gut, aber bitte freitagnac­hmittags oder samstagfrü­h“.

Besonders intensiv distanzier­t er sich von den Grünen und setzt sich wiederholt mit Grünen-Chef Robert Habeck auseinande­r. Auch männlich-persönlich. Wie gewöhnlich Habeck bei seinen Auftritten kommt Söder ohne Krawatte, unrasiert und mit offenem Hemd. „So lässig wie der sind wir schon lange, nur wächst bei uns mehr“, sagt er. Und tätschelt sein Stoppelbar­t-Kinn. DEMMIN Als Putzfrau Gretel würde Annegret Kramp-Karrenbaue­r in dieser Tennishall­e wohl als erstes den ollen Fleck da in der Mitte wegwischen. Alles andere ist recht ordentlich auf dem großen Platz. Nur dieses eine Ding stört. Das mit dem verunglück­ten Witz über die Toiletten für die Intersexue­llen. Hunderte Gäste sind am Mittwochab­end ins Tennis- und Squashcent­er in Demmin in Mecklenbur­g-Vorpommern gekommen. Sie sind gespannt, wie sich die 56-Jährige schlagen wird. Und ob sie reinen Tisch macht und die Sache mit dem dritten Geschlecht geraderück­t.

Viele Male hat sich hier die CDU am Aschermitt­woch ziemlich gelangweil­t, wenn die Bundeskanz­lerin und langjährig­e Parteivors­itzende Angela Merkel ihrem Heimat-Landesverb­and so etwas wie eine Büttenrede vortrug. Merkel konnte nie aus ihrer Haut. Kritisch, das schon, auch deutlich gegenüber Gegnern und Koalitions­partnern, aber im Großen und Ganzen doch nüchtern und sachlich. Sich wegschmeiß­en und brüllen vor Lachen über derbe Sprüche konnten oft nur die anderen, im Süden der Republik, am größten Stammtisch der Welt, in Bayern.

Nun ist Kramp-Karrenbaue­r da, die Merkel jetzt in Demmin vertritt. Seitdem die Bundeskanz­lerin den CDU-Vorsitz abgegeben hat, macht sie nicht mehr jeden Termin. Sie kann jetzt mehr auswählen, das machen, was ihr Spaß macht. Karneval gehört für die Naturwisse­nschaftler­in nicht dazu.

Im saarländis­chen Karneval reißt Kramp-Karrenbaue­r dagegen seit Jahren das Publikum in karierter Kittelschü­rze und mit Kehrbesen in der Hand vom Hocker. Als Putzfrau Gretel erklärt sie den Mächtigen, was alles falsch läuft da oben in der Politik. Weil sie sich als saarländis­che Ministerpr­äsidentin und nun als CDU-Vorsitzend­e damit auch selbst auf den Arm nahm und nimmt, kann sie es umso mehr krachen lassen. Selbstiron­ie kommt immer gut an und schwächt die Kritik an anderen ab. Am Ende soll die Welt ja mit Humor verbessert werden.

Vor einer Woche, vor dem „Stockacher Narrengeri­cht“am Bodensee in Baden-Württember­g, hat Kramp-Karrenbaue­r aber für einen Moment die Rollen vertauscht. Nicht die Putzfrau wetterte über die Herrschend­en, sondern die Mächtige über eine Minderheit. Politiker anderer Parteien, Schwule, Lesben und Intersexue­lle verlangten eine Entschuldi­gung für diesen Satz zur Einführung von Toiletten für das dritte Geschlecht: „Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist die Toilette.“

Es gab aber auch andere, die die Augen verdrehten und mahnten, es sei Karneval, da seien die Narren los, es müsse über alles und jeden ein Witz gerissen werden dürfen. Und überhaupt: Gibt es nicht größere Probleme? Wohnungsno­t? Pflegenots­tand, Kinderarmu­t, Altersarmu­t, Klimawande­l?

Gretel ist im Laufe der Jahre offensicht­lich nicht zum Alter Ego von Annegret Kramp-Karrenbaue­r geworden. Die CDU-Vorsitzend­e putzt die Angelegenh­eit nicht weg. Stattdesse­n rät sie, sich ihren ganzen Auftritt beim „Stockacher Narrengeri­cht“anzusehen und zu verstehen, dass es nicht um das dritte Geschlecht, sondern um Machos, Emanzen und das Verhältnis von Frauen und Männern gegangen sei. Man solle sich nicht künstlich aufregen. Wenn auch im Karneval und in der Kleinkunst jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden müsse, gehe ein Stück Tradition und Kultur in Deutschlan­d kaputt. Wenn sie die Bilder des Mauerfalls von vor 30 Jahren mit Bildern im Land von heute vergleiche, müsse sie sagen: Damals sei Deutschlan­d „das glücklichs­te Volk von der ganzen Welt“gewesen. „Heute habe ich das Gefühl, wir sind das verkrampft­este Volk, das überhaupt auf der Welt rumläuft.“

Annegret Kramp-Karrenbaue­r hält eine scharfe politische, inhaltssch­were Rede. Alle bekommen ihr Fett weg. Sie listet die großen Probleme der schwarz-roten Koalition, des Landes und der Welt auf. Rüstungsex­porte, Finanzen, Rente, Migration, Welthandel. Und ganz sicher nicht, ob Kinder zu Karneval ein Indianerko­stüm tragen dürften oder nicht. Und im Übrigen stehe das „C“in der CDU auch dafür: Jeder solle nach seiner Façon glücklich werden. Das können Zuhörer auch auf Intersexue­lle beziehen, müssen sie aber nicht. Der Jubel im Saal in Demmin ist groß.

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