Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Auf die Goldwaage
Beim politischen Aschermittwoch der CDU hält die Parteichefin eine scharfe Rede. Ohne Entschuldigung.
Zielstrebig steuert Söder auf seine zentrale Attacke zu. Er geißelt den rechtsextremistischen Kurs der Höcke-AfD und ruft zum Parteiaustritt auf: „Kehrt zurück und lasst die Nazis alleine in der AfD.“Das zündet. Gefolgt wird es von einer originellen Differenzierung zwischen führenden Sozialdemokraten: Parteichefin Andrea Nahles traue er, sagt Söder. Aber von Juso-Chef Kevin Kühnert werde er „kein Auto, kein Fahrrad, keinen Roller kaufen“. Bei der Halbzeitbilanz dürfe die SPD nicht überziehen: „Das No-Groko-Genöle geht den Deutschen auf den Geist“, sagt Söder. Und einen „Linksruck“werde die CSU nicht mitmachen.
Korrekturen verlangt Söder am Konzept für die Grundsteuer-Reform und auch am Entwurf zum Verlust der Staatsbürgerschaft. Das müsse schon für aktuelle IS-Kämpfer gelten. Unter weiteren aktuellen Themen: Die Klimademonstrationen der Schüler seien „schön und gut, aber bitte freitagnachmittags oder samstagfrüh“.
Besonders intensiv distanziert er sich von den Grünen und setzt sich wiederholt mit Grünen-Chef Robert Habeck auseinander. Auch männlich-persönlich. Wie gewöhnlich Habeck bei seinen Auftritten kommt Söder ohne Krawatte, unrasiert und mit offenem Hemd. „So lässig wie der sind wir schon lange, nur wächst bei uns mehr“, sagt er. Und tätschelt sein Stoppelbart-Kinn. DEMMIN Als Putzfrau Gretel würde Annegret Kramp-Karrenbauer in dieser Tennishalle wohl als erstes den ollen Fleck da in der Mitte wegwischen. Alles andere ist recht ordentlich auf dem großen Platz. Nur dieses eine Ding stört. Das mit dem verunglückten Witz über die Toiletten für die Intersexuellen. Hunderte Gäste sind am Mittwochabend ins Tennis- und Squashcenter in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Sie sind gespannt, wie sich die 56-Jährige schlagen wird. Und ob sie reinen Tisch macht und die Sache mit dem dritten Geschlecht geraderückt.
Viele Male hat sich hier die CDU am Aschermittwoch ziemlich gelangweilt, wenn die Bundeskanzlerin und langjährige Parteivorsitzende Angela Merkel ihrem Heimat-Landesverband so etwas wie eine Büttenrede vortrug. Merkel konnte nie aus ihrer Haut. Kritisch, das schon, auch deutlich gegenüber Gegnern und Koalitionspartnern, aber im Großen und Ganzen doch nüchtern und sachlich. Sich wegschmeißen und brüllen vor Lachen über derbe Sprüche konnten oft nur die anderen, im Süden der Republik, am größten Stammtisch der Welt, in Bayern.
Nun ist Kramp-Karrenbauer da, die Merkel jetzt in Demmin vertritt. Seitdem die Bundeskanzlerin den CDU-Vorsitz abgegeben hat, macht sie nicht mehr jeden Termin. Sie kann jetzt mehr auswählen, das machen, was ihr Spaß macht. Karneval gehört für die Naturwissenschaftlerin nicht dazu.
Im saarländischen Karneval reißt Kramp-Karrenbauer dagegen seit Jahren das Publikum in karierter Kittelschürze und mit Kehrbesen in der Hand vom Hocker. Als Putzfrau Gretel erklärt sie den Mächtigen, was alles falsch läuft da oben in der Politik. Weil sie sich als saarländische Ministerpräsidentin und nun als CDU-Vorsitzende damit auch selbst auf den Arm nahm und nimmt, kann sie es umso mehr krachen lassen. Selbstironie kommt immer gut an und schwächt die Kritik an anderen ab. Am Ende soll die Welt ja mit Humor verbessert werden.
Vor einer Woche, vor dem „Stockacher Narrengericht“am Bodensee in Baden-Württemberg, hat Kramp-Karrenbauer aber für einen Moment die Rollen vertauscht. Nicht die Putzfrau wetterte über die Herrschenden, sondern die Mächtige über eine Minderheit. Politiker anderer Parteien, Schwule, Lesben und Intersexuelle verlangten eine Entschuldigung für diesen Satz zur Einführung von Toiletten für das dritte Geschlecht: „Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist die Toilette.“
Es gab aber auch andere, die die Augen verdrehten und mahnten, es sei Karneval, da seien die Narren los, es müsse über alles und jeden ein Witz gerissen werden dürfen. Und überhaupt: Gibt es nicht größere Probleme? Wohnungsnot? Pflegenotstand, Kinderarmut, Altersarmut, Klimawandel?
Gretel ist im Laufe der Jahre offensichtlich nicht zum Alter Ego von Annegret Kramp-Karrenbauer geworden. Die CDU-Vorsitzende putzt die Angelegenheit nicht weg. Stattdessen rät sie, sich ihren ganzen Auftritt beim „Stockacher Narrengericht“anzusehen und zu verstehen, dass es nicht um das dritte Geschlecht, sondern um Machos, Emanzen und das Verhältnis von Frauen und Männern gegangen sei. Man solle sich nicht künstlich aufregen. Wenn auch im Karneval und in der Kleinkunst jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden müsse, gehe ein Stück Tradition und Kultur in Deutschland kaputt. Wenn sie die Bilder des Mauerfalls von vor 30 Jahren mit Bildern im Land von heute vergleiche, müsse sie sagen: Damals sei Deutschland „das glücklichste Volk von der ganzen Welt“gewesen. „Heute habe ich das Gefühl, wir sind das verkrampfteste Volk, das überhaupt auf der Welt rumläuft.“
Annegret Kramp-Karrenbauer hält eine scharfe politische, inhaltsschwere Rede. Alle bekommen ihr Fett weg. Sie listet die großen Probleme der schwarz-roten Koalition, des Landes und der Welt auf. Rüstungsexporte, Finanzen, Rente, Migration, Welthandel. Und ganz sicher nicht, ob Kinder zu Karneval ein Indianerkostüm tragen dürften oder nicht. Und im Übrigen stehe das „C“in der CDU auch dafür: Jeder solle nach seiner Façon glücklich werden. Das können Zuhörer auch auf Intersexuelle beziehen, müssen sie aber nicht. Der Jubel im Saal in Demmin ist groß.