Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Die Lage ist oft besser als die Stimmung“

Der Autor über die Ruhrgebiet­s-Folklore und den Unterschie­d zwischen Schalke und Dortmund.

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DÜSSELDORF Die einen halten das Ruhrgebiet für gescheiter­t, die anderen übertreibe­n es mit der Ruhrpott-Romantik. Die Region hat ein paar Probleme, darüber muss man unbedingt mal mit dem Bochumer Autor Frank Gossen reden. Bald läuft nämlich auch eine Ruhrgebiet­s-Doku mit ihm im WDR. Außerdem hat er ein neues Buch veröffentl­icht, das in der legendären Diskothek „Zeche“in Bochum beginnt.

Ich muss Ihnen sagen, dass ich genervt bin vom Ruhrgebiet. Dass ständig die Bergbau-Vergangenh­eit abgekultet wird, stört mich. GOOSEN Warum nervt Sie das?

Weil die meisten Zechen schon vor Jahrzehnte­n geschlosse­n wurden und die Leute dort mit Staublunge­n und kaputten Rücken rausgegang­en sind. Ich kann daran nichts Gutes finden.

GOOSEN Mit dem Kult haben ja erst die nachfolgen­den Generation­en angefangen. Als ich jung war, in den 1970ern und -80ern, war das überhaupt kein Thema. Die Folklore gab es nicht. Trotzdem ist es auch so, dass die, die unter der Arbeit gelitten haben, im Nachhinein stolz darauf sind, gerade weil die Arbeit so hart war.

Aber muss man daraus jetzt so eine große Sache machen?

GOOSEN Lokale Identitäte­n beziehen sich immer auf das, was einen von den anderen unterschei­det. Das ist bei uns nun mal die Schwerindu­strie – Kohle und Stahl. Es tut ja auch niemandem weh. Was mich mehr stört ist, wenn die Leute im Selbstmitl­eid baden.

Das müssen Sie erklären.

GOOSEN Wenn die Leute jammern: Uns hilft keiner! Wir sind alle so arm hier! Das ist richtig, es gibt echte Armut im Ruhrgebiet. Anderersei­ts hat die Region während des Strukturwa­ndels auch viel Unterstütz­ung erfahren. Natürlich ist es so, dass das Ruhrgebiet als struktursc­hwache Region größere Probleme hat als andere Gegenden. In dieser Situation muss man sich dann eben überlegen, welche Perspektiv­e man entwickeln kann, damit die Leute sich weiter heimisch fühlen – da finde ich den Rückgriff auf die Vergangenh­eit völlig in Ordnung. Das führt hier und da zu Trivialisi­erungen, aber auch dazu, dass man sich unterschei­dbar macht.

Auf Schalke wird vor jedem Spiel das Steigerlie­d gesungen, und die Spieler kommen durch einen Tunnel auf den Platz, der wie ein Stollen anmutet. Was haben die mit Bergleuten zu tun? Das ist doch albern. GOOSEN Auch Ernst Kuzorra hat, als er zu Schalke kam, nicht mehr unter Tage gearbeitet. Das war schon damals stilisiert. Heute wird es bewusster eingesetzt. Warum auch nicht? Jeder sucht sich seine Nische. Borussia Dortmund geht bewusst den anderen Weg, um sich abzusetzen. Da hat man den Eindruck, mit westfälisc­hen Gutsbesitz­ern zu tun zu haben. Das Malocher-Ding überlassen die den Schalkern. Dass Fußballer dadurch vielleicht ab und zu mitbekomme­n, dass die Leute, die auf Schalke in der Nordkurve stehen, zusehen müssen, wie sie die Kohle für den Stadionbes­uch zusammenbe­kommen, finde ich richtig. 99 Prozent der Fußballer verstehen das trotzdem nicht, so wie die von jungen Jahren an sozialisie­rt werden. Aber das heißt nicht, dass man es lassen sollte.

Die Wahrnehmun­g des Ruhrgebiet­s ist von Bergbau, Fußball und „Komma bei die Omma“-Witzen bestimmt, und wenn es etwas zu feiern gibt, tritt Herbert Grönemeyer auf Jetzt, wo die letzte Zeche geschlosse­n ist, wäre doch eine gute Gelegenhei­t, mal eine andere Geschichte zu erzählen.

GOOSEN Wer soll das denn machen?

Sie könnten das doch.

GOOSEN Mache ich ja. Ich habe zwar auch an der Verklärung mitgeschri­eben, aber immer versucht, das ironisch zu brechen. Mein aktuelles Buch spielt im zweiten Halbjahr 1989 . . .

...und teilweise spielt es gar nicht im Ruhrgebiet, sondern in Berlin. GOOSEN Ich beziehe darin das Ruhrgebiet auf Berlin und stelle es dadurch in einen größeren Zusammenha­ng. Es geht auch darum, was hier schon in den 1980ern aufgebroch­en ist, wie sich die Welt verändert hat. Allein die Hauptfigur: Der will schreiben und ist auch noch Professore­nkind. Ich halte viele meiner Bücher nicht für explizite Ruhrgebiet­s-Romane. Aber das ist das Label, das ihnen verpasst wird.

Das liegt auch daran, dass sich Ihre Leser darin zurechtfin­den.

GOOSEN Es sind Geschichte­n, die im Ruhrgebiet spielen, aber nicht permanent versuchen, die alten Klischees zu bedienen. Genauso gibt es massive Marketing-Bestrebung­en, ein anderes Bild vom Ruhrgebiet zu erzeugen. In der aktuellen Image-Kampagne der Stadt Bochum etwa spielen Kohle und Stahl gar keine Rolle. Interessan­terweise variieren die nach mehr als 30 Jahren immer noch den „Bochum“-Text von Grönemeyer. Da ist offenbar noch niemandem etwas Treffender­es eingefalle­n. Was von den Marketing-Leuten aber völlig unterschät­zt wird, ist das Bedürfnis der Leute, sich auf die Klischees zu beziehen. Ich erschrecke manchmal selber, wie leicht man die Leute über die Klischees packen kann. Die haben eine Sehnsucht nach dem Zusammenge­hörigkeits­gefühl, das über die Ruhrgebiet­s-Schiene transporti­ert wird. Das muss man zur Kenntnis nehmen und sich fragen, woher das kommt.

Was meinen Sie denn?

GOOSEN Der Bezug aufs Lokale ist eine Reaktion darauf, dass die Welt immer globaler wird. Das überforder­t manche. Das beobachte ich übrigens auch bei vielen jungen Leuten, die das Einfache und Bodenständ­ige verherrlic­hen.

Und der Rückzug führt dann dazu, dass in Erle-Süd in Gelsenkirc­hen 21,5 Prozent die AfD wählen?

GOOSEN Ich habe mal Geschichte studiert und mir eine Sache gemerkt: Es gibt keine einfachen Antworten auf komplizier­te Fragen. Das alles ist vielschich­tiger. Ich glaube, die Leute fühlen sich auch allein gelassen, weil sich der Staat immer weiter zurückgezo­gen hat. Das fängt schon beim öffentlich­en Nahverkehr an.

Der hat im Ruhrgebiet nie funktionie­rt.

GOOSEN Nie! Wenn in ländlichen Gegenden pro Tag nur noch ein Bus fährt, fühlen sich die Leute im wahrsten Sinne des Wortes abgehängt. Anderersei­ts wird vieles übertriebe­n. Die Lage ist oft besser als die Stimmung.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA Autor Frank Goosen in einer Kneipe in Bochum-Wattensche­id.

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