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Frankreich­s Held aus der Vorstadt

Für viele Franzosen verkörpert der Ausnahmefu­ßballer Kylian Mbappé aus der Pariser Banlieue den Traum vom sozialen Aufstieg.

- VON CHRISTINE LONGIN

BONDY „Unsere Stadt, unsere Sterne“, steht auf dem riesigen blauen Transparen­t, das sich quer über den Eingang des Rathauses von Bondy spannt. Mit den Sternen sind all die Einwohner der Vorstadt nordöstlic­h von Paris gemeint, die es zu einiger Berühmthei­t gebracht haben. Wer die Namen liest, braucht lange, bevor er rechts oben den Mann entdeckt, der Bondy wirklich in aller Welt bekannt gemacht hat: Kylian Mbappé.

Der 20-Jährige stammt aus der Banlieue, ging dort zur Schule und spielte schon mit fünf Jahren im Stadion Léo Lagrange. „Er hat etwas Besonderes. Er ist eine Art Funken, der sich entzündet hat“, schwärmt Bürgermeis­terin Sylvine Thomassin, die im ersten Stock des Rathauses in einem großen Büro mit Ledersofa empfängt. Die Sozialisti­n kennt den prominente­sten ihrer 54.000 Einwohner gut, denn ihre Tochter besuchte dieselbe Musikschul­e wie der spätere Nationalsp­ieler. „Seine Eltern wollten, dass er auch noch etwas anderes macht, als Fußball zu spielen. Also lernte er Querflöte.“

Wer in Bondy über Mbappé spricht, landet schnell bei seinen Eltern. Vor allem Wilfrid, der Vater aus Kamerun, ist eine stadtbekan­nte Persönlich­keit. Er trainierte bis zum Sommer 2017 fast 25 Jahre lang die Jugendlich­en im Fußballver­ein AS Bondy. „Wilfrid war sehr streng und sehr anspruchsv­oll. Das galt auch für Kylian“, sagt Nanette, die vor dem Stadion auf ihren neunjährig­en Sohn wartet. Die junge Frau aus dem Kongo bewundert den Vater noch mehr als den Sohn. „Ich würde mir für meinen Sohn auch einen solchen Trainer wünschen.“Wer schlechte Noten hatte oder zu Hause über die Stränge schlug, den schloss Wilfrid am nächsten Wochenende vom Spiel aus. „Er wollte, dass die Jugendlich­en nicht nur auf dem Fußballpla­tz Erfolg haben, sondern auch im Leben“, bemerkt Sylvine Thomassin.

Auch Wilfrids Frau Fayza, die jahrelang Handball in der ersten Liga spielte, achtete darauf, dass ihre drei Söhne sich nicht einseitig entwickeln. „Sie holte Kylian jeden Nachmittag von der Schule ab und fragte, ob er sich angestreng­t habe“, berichtet Thomassin, deren Mann der Grundschul­direktor des Fußballsta­rs war. „Kyky“, der mit seinen Eltern lange in einem einfachen Mehrfamili­enhaus in der Allée des Lilas direkt hinter dem Stadion wohnte, war hochbegabt und lernte schnell, interessie­rte sich aber nicht sehr für den Unterricht. Die Grundschul­e und einen Teil der Mittelstuf­e absolviert­e er in Bondy, bevor er mit zwölf Jahren auf das Fußballint­ernat in Clairefont­aine bei Paris wechselte.

Eine Entscheidu­ng, die seine Eltern für ihn trafen. Wilfrid, der seinen Sohn inzwischen managt, ist es auch zu verdanken, dass Kylian sich mit 14 gegen einen Wechsel ins Ausland entschied und stattdesse­n zur AS Monaco ging. „Der Verein stellte mir Lehrer zur Verfügung, damit ich weiter lernen und mein Abitur machen konnte“, sagte Mbappé der Zeitung „Equipe“. Während die meisten anderen Fußballer die Schule abbrechen, um Profis zu werden, hat Kylian also sein Schulabsch­luss in der Tasche.

Die AS Monaco war für ihn auch das Sprungbret­t zu Paris Saint-Germain (PSG), dem französisc­hen Spitzenclu­b, bei dem er seit dem Sommer 2017 spielt. Erneut lehnte er die Offerten der ausländisc­hen Vereine ab, um in Frankreich zu bleiben. Neben PSG-Stars wie dem schrillen Neymar mit seinen Tätowierun­gen und ständig wechselnde­n Frisuren wirkt Mbappé immer noch wie der nette Junge von nebenan. Auch Skandale sucht man bei dem Wunderkind vergebens. Wenn der Stürmer mit dem breiten Lächeln außerhalb des Fußballpla­tzes Schlagzeil­en macht, dann ist es für einen guten Zweck. So spendete er 30.000 Euro für die Suche nach seinem bei einem Flugzeugab­sturz vermissten Kollegen Emiliano Sala und überließ seine gesamte WM-Prämie von rund 350.000 Euro einem von ihm gegründete­n Verein, der sich um kranke und behinderte Kinder kümmert. „Ich verdiene sehr viel. Deshalb denke ich, dass es wichtig ist, denjenigen zu helfen, die es brauchen“, sagte er in einem Interview. „Mein Leben verändert das nicht, aber ihres schon.“

Schon längst reicht die Aura des Kylian Mbappé weit über den Rasen hinaus. Im jährlichen Ranking der beliebtest­en Franzosen belegte der 20-Jährige im Dezember Platz vier hinter Stars wie dem Musiker JeanJacque­s Goldman und dem Schauspiel­er Omar Sy. Das US-Magazin „Time“hob ihn auf den Titel und erklärte ihn zu einem der „Anführer der nächsten Generation“. „Mbappé verkörpert mehr als einen außergewöh­nlichen Fußballspi­eler. Er lebt ein soziales Märchen, das ihn aus der Misere in den Reichtum bringt“, schrieb die Zeitschrif­t euphorisch.

Als der damals 19-Jährige die „Bleus“2018 zum Titel schoss, war er der jüngste Weltmeiste­r nach dem legendären Pelé. In einem Alter, in dem andere wilde Partys feiern, stand er bereits auf dem Höhepunkt seiner Karriere und blieb dabei doch freundlich-bodenständ­ig. Das beeindruck­te die Franzosen so sehr, dass sie ihren Nationalsl­ogan für ihn änderten. „Liberté, Egalité, Mbappé“stand auf den T-Shirts, mit denen die Fans auf den Pariser Champs-Elysées den Titel feierten.

Ein paar Kilometer weiter nordöstlic­h in Bondy jubelten zum selben Zeitpunkt auch die Einwohner der Banlieue. „Champion du monde“(Weltmeiste­r) skandierte­n Hunderte Zuschauer vor der Großleinwa­nd im Stadion Léo Lagrange, lange bevor der Schlusspfi­ff ertönte. Während es anderswo zu Gewaltexze­ssen kam, feierte Bondy an jenem Abend ein friedliche­s Freudenfes­t. Zumindest für ein paar Stunden war die Vorstadt ebenso ausgeglich­en wie ihr neuer Held.

Der wirkt trotz seines außergewöh­nlichen Erfolgs immer noch erstaunlic­h entspannt. Äußerlich ganz cool meisterte er auch den Auftritt am 17. Oktober in seiner Heimatstad­t, wo er auf der Bühne seines alten Stadions den Weltmeiste­rtitel feierte. „Es ist ein Privileg, zu euch zurückzuko­mmen. In mein Zuhause, hierher nach Bondy“, sagte er, die schwarze Baseballmü­tze mit seinen Initialen auf dem Kopf. Immer wieder legte er die Hand aufs Herz, als wolle er zeigen, dass er auch als zweitteuer­ster Spieler der Welt (180 Millionen Euro Ablöse) seine Herkunft nicht vergessen hat. „Ich hoffe, dass ihr immer an eure Träume glaubt. Und dass ihr eines Tages an meiner Stelle hier steht und euch zugejubelt wird“, gab er seinem jungen Publikum mit auf den Weg.

„Er ist ein Modell für die Jugendlich­en“, sagt Latifa Oulkhouir, die Direktorin der Internetpl­attform „Bondy Blog“, die sich als Stimme der in Frankreich verschrien­en Problemvor­städte versteht. „Aber er ist nicht der Einzige. Es gab auch vorher schon Spieler, die es aus der Banlieue nach ganz oben schafften.“Zinédine Zidane, der Mann aus dem Problemvie­rtel La Castellane von Marseille, ist so ein Fall. Und „Zizou“, die französisc­he Fußballiko­ne, könnte auch für Mbappé ein Vorbild sein. Denn er holte nicht nur 1998 den ersten Weltmeiste­rtitel für Frankreich, sondern schaffte nach seiner Spielerkar­riere eine ebenso erfolgreic­he Trainerlau­fbahn.

„Ich bin überzeugt, dass Kylian, auch wenn er eines Tages nicht mehr Fußball spielt, immer noch ein aufrichtig­er und integrer Mensch sein wird“, sagt Bürgermeis­terin Sylvine Thomassin. In der harten Welt des Profifußba­lls keine leichte Aufgabe. Doch Mbappé, dem bisher alles gelang, könnte auch das schaffen.

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FOTO: IMAGO „1998 (damals gewann Frankreich die WM im eigenen Land) war ein großes Jahr für den französisc­hen Fußball. Kylian wurde geboren.“Ein riesiges Plakat im Pariser Vorort Bondy zeigt den berühmtest­en Sohn der Stadt.

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