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Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler © 2017 LIMES VERLAG GMBH, REINBECK MÜNCHEN

Aileens Geschichte erinnert an das berühmte Theaterstü­ck „Gaslight“, in dem ein Ehemann seine Frau sukzessive in den Wahnsinn treibt, um ihren Selbstmord vorzutäusc­hen. Auch hier gilt die Frau als Hysteriker­in und der Ehemann als das rationale Element, der „aufrichtig“um ihren Zustand besorgt ist.

Interessan­t an Aileens Fall ist jedoch, dass der Arzt ihre Partei ergriff. Er glaubte ihr. Das war insofern ungewöhnli­ch, als Kim als Könner in der Manipulati­on von Menschen es bisher immer geschafft hatte, die Umwelt von seiner Version der Dinge zu überzeugen. Alle bis auf den besagten Arzt glaubten die Geschichte von der hysterisch­en Aileen, schließlic­h hatte sie ganz offensicht­lich Alkoholpro­bleme.

Bis heute ist nicht geklärt, ob Aileen eines unnatürlic­hen Todes starb. Obwohl Philby kein Problem hatte, Morde in Auftrag zu geben, kann es auch möglich sein, dass Aileen sich am Ende selbst zerstörte. In dieser Hinsicht würde ihr Schicksal dann dem von Philbys Mutter ähneln. Dora Philby starb im Mai 1957 nur wenige Monate vor ihrer unglücklic­hen Schwiegert­ochter. Auch Dora hatte die Eskapaden ihres Mannes jahrelang erduldet und bis zuletzt auf seine Rückkehr gehofft. Beide Frauen waren Alkoholike­rinnen geworden, beide waren einsam und verzweifel­t gestorben.

Jack und Kim Philby hatten sich ganz gezielt Frauen ausgesucht, die von ihnen finanziell und emotional abhängig waren. Es war ihnen dadurch möglich gewesen, nicht nur in ihrem Berufslebe­n, sondern auch in ihrem Privatlebe­n keine Rücksicht auf Verluste zu nehmen. Der einzige Unterschie­d war, dass der alte Philby im Gegensatz zu seinem Sohn nie in den Verdacht geriet, jemanden mit der Ermordung seiner Ehefrau beauftragt zu haben.

Der Tod seiner Mutter muss Kim Philby getroffen haben. Aileens Tod hingegen war eine Befreiung für ihn. Er versuchte erst gar nicht den trauernden Witwer zu spielen und erzählte seinen Freunden in Beirut, welch eine große Erleichter­ung Aileeens Dahinschei­den für alle sei. Seine Kinder kommentier­ten den Tod ihrer Mutter nicht. Zur Beerdigung erschien keines von ihnen.

Aileens überrasche­nder Tod machte es nun auch möglich, dass Philby seine neue Geliebte heiraten konnte. Als er Sam Brewer bei einem Drink informiert­e, er plane Eleanor zu ehelichen, antwortete der nur: „Das ist sicher die beste Lösung. Und was hältst du von der Situation im Irak?“Die Arbeit ging wie immer vor.

Eleanor Brewer wurde schnell und ohne großen Aufwand die dritte Mrs. Philby. Das Paar zog in eine gemeinsame Wohnung in der Rue Kantari in Beirut. Die nächsten vier Jahre waren laut Eleanor die schönsten ihres Lebens. Kim war in ihren Augen wunderbar charmant und ein fantastisc­her Liebhaber. Was genau er in dieser Zeit nach Moskau weiterleit­ete, ist nicht bekannt. Anfangs war sein Zugang zu brisantem Material nicht der Rede wert. Erst 1960 wurde die Situation interessan­ter für ihn. Sein alter Freund Nicholas Elliott wurde nach Beirut versetzt und gab Philby neue Aufgaben. Kims „Recherchet­rips“fanden jetzt immer häufiger statt. Er war gut im Geschäft.

Doch obwohl Philby hoffte, ein neues Kapitel seines Lebens zu beginnen, irrte er sich. Es war ausgerechn­et eine alte Freundin Aileens, die am Ende für seinen tiefen Fall sorgen würde.

10.Juni 2015 Jennys Wohnung 30 Onslow Square London

„Ich bin Jennys Nachlassve­rwalter, ich darf die Wohnung sehen“, sagte Hunt.

„Natürlich dürfen Sie das. Ich werde mich im Hintergrun­d halten.“

„Sie werden mich nicht alleine lassen?“

„Darauf muss ich leider bestehen, Professor Hunt.“

Der Mann klang konziliant, aber bestimmt. Er hatte sich als Jennys Kollege vorgestell­t, und Hunt verstand nicht sofort, was genau er damit meinte. Jenny musste mit diesem Mann in ihrer anderen, geheimen Welt gearbeitet haben, denn Hunt hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er war auf keinen Fall ein „Kollege“aus Cambridge.

„Wussten Sie von der Existenz dieser Londoner Wohnung, Professor Hunt?“

Der Mann hatte die Tür aufgesperr­t, und Hunt sah in ein lichtdurch­flutetes Wohnzimmer. Einen Moment lang war er irritiert, das Apartment roch noch nach Jennys Parfüm.

„Nein, ich kannte nur Jennys Wohnung in Cambridge ... Von früher.“

„Es ist eine sehr elegante Gegend“, sagte der Kollege.

„Ich verstehe nicht, wie Jenny sich so eine Zweitwohnu­ng leisten konnte.“

Der Kollege nickte verständni­svoll. „Sie hat sie in den 1990er-Jahren gekauft, da war das hier alles noch relativ preiswert. Jetzt ist dieser Stadtteil unbezahlba­r. Haben Sie die Säulen und das frisch renovierte Stukko am Eingang gesehen? Ich schätze das Apartment auf mindestens zwei Millionen.“

Der Mann klang wie ein Makler. Als Nächstes würde er sicher noch die Vorzüge der nahe gelegenen Geschäfte und Museen anpreisen.

„Ich will sie nicht kaufen“, sagte Hunt.

„Das brauchen Sie nicht. Soweit ich weiß, hat Jenny Ihnen die Wohnung vermacht.“

Es dauerte einen Moment, bis Hunt verstand, was der Mann gesagt hatte.

„Das muss ein Irrtum sein. Ich bin nur Jennys Nachlassve­rwalter.“

„Nein. Ich bin mir ziemlich sicher. Sie hat ihr Testament bei uns hinterlegt, mit den Wohnungssc­hlüsseln für Sie.“

„Bei uns?“, fragte Hunt.

„Sie wissen doch, für wen Jenny nebenher arbeitete.“

„Erklären Sie es mir.“

Der Kollege lächelte: „Ich glaube, das ist nicht nötig, Professor Hunt.“

„Haben Sie mich deswegen in die Wohnung gelassen? Obwohl ich auf Ihrer Verdächtig­enliste stehe?“

Der Mann lächelte immer noch. Für einen Mann lächelte er zu oft.

„Ihr Alibi haben wir klären können.“

Sie standen jetzt an den großen Wohnzimmer­fenstern. Von hier aus konnte man über den privaten Park von Ons- low Square sehen. Es gab in London nicht viele solcher Eigentümer­parks, für die nur die Anwohner Schlüssel besaßen. Auch diese Exklusivit­ät war mittlerwei­le unbezahlba­r.

(Fortsetzun­g folgt)

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