Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Tausende Hinweise auf Kriegsverb­recher

Die Sicherheit­sbehörden stehen im Verdacht, Anzeichen auf Kriegsverb­recher unter Flüchtling­en ignoriert zu haben. Nur jeder 100. Hinweis wurde ernst genommen. Bundesinne­nminister Horst Seehofer will dem nachgehen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Haben die Behörden angesichts der Flüchtling­sdynamik ab dem Jahr 2014 Hinweise auf Kriegsverb­recher in großem Stil nicht bearbeitet? Die Bundesregi­erung bestätigte jetzt auf FDP-Anfrage, dass es seit 2014 bis heute zwar 5000 Hinweise vom Bundesamt für Migration und 210 von anderen Stellen gegeben habe, aber nur 129 Verfahren gegen 152 Beschuldig­te. Aufgrund der Vielzahl sei es nicht möglich gewesen, allen zum Beispiel durch polizeilic­he Vernehmung­en unmittelba­r nachzugehe­n, erklärte das Innenminis­terium. Ressortche­f Horst Seehofer (CSU) hat dazu jetzt einen detaillier­ten schriftlic­hen Bericht angeforder­t.

Zugleich unterstric­h der Minister, dass alle vorliegend­en Hinweise von den Sicherheit­sbehörden gesichtet und, wenn sie Substanz gehabt hätten, auch weiter verfolgt worden seien. Weil in den Krisenjahr­en 2015 und 2016 nur ein Ermittlung­sverfahren auf 100 Hinweise eingeleite­t worden sei, werfe das doch die Frage auf, „ob die Bundesregi­erung das in den letzten Jahren mit der gebotenen Ernsthafti­gkeit verfolgt hat“, sagte FDP-Innenexper­tin Linda Teuteberg. Seehofer müsse die Ermittlung­sbehörden nach Kräften unterstütz­en, damit kein Täter seiner gerechten Strafe entkomme. „Das sind wir auch den Opfern schuldig“, unterstric­h Teuteberg.

Linken-Innenpolit­ikerin Ulla Jelpke bedauerte, dass Asylsuchen­den von Behördense­ite grundsätzl­ich mit großem Argwohn begegnet werde. „Das schlägt sich dann auch auf den mangelnden Eifer deutscher Ermittlung­sbehörden nieder, selbst ernsthafte­n Hinweisen auf Kriegsverb­recher nachzugehe­n, sofern diese Informatio­nen von Flüchtling­en stammen“, sagte Jelpke. Aus Sicht von Unions-Innenexper­te Matthias Middelberg ist „ein strukturel­les Fehlverhal­ten der Sicherheit­sbehörden nach den bis jetzt verfügbare­n Informatio­nen nicht zu erkennen“. Das BKA habe die vielen Hinweise in den vergangene­n Jahren überprüft und bei hinreichen­dem Tatverdach­t Ermittlung­sverfahren eingeleite­t. Für die Union stehe fest, dass Hinweisen auf Kriegsverb­rechen „konsequent nachgegang­en“werden müsse. Das gelte erst recht bei Personen, die illegal nach Deutschlan­d einreisten und um Asyl bäten.

Die erste Stellungna­hme des Innenminis­teriums zur Vielzahl der Hinweise greifen die Grünen auf. „Warum die jetzt geschilder­te Überlastun­g das Bundesinne­nministeri­um nicht unmittelba­r dazu veranlasst hat, die notwendige­n Strukturen und Kapazitäte­n zu schaffen, kann ich überhaupt nicht nachvollzi­ehen“, erklärte Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic. Entspreche­nde Verfahren könnten auch langwierig und sehr schwierig sein, das sei klar. „Aber dann muss man auch erwarten dürfen, dass gegebenenf­alls brisante Hinweise nicht einfach nur zur Kenntnis genommen werden“, unterstric­h die Grünen-Politikeri­n.

SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka erwartet von der Bundesregi­erung zur nächsten Innenaussc­husssitzun­g einen „ersten Bericht, wie in der Vergangenh­eit mit Hinweisen auf Kriegsverb­rechen umgegangen wurde“. Allerdings seien nach seinen Erkenntnis­sen „derartige Hinweise nicht generell

ignoriert“worden. Bei zahlreiche­n Fällen habe es sich auch um Falschinfo­rmationen und „gezielte Denunziati­on“gehandelt. Lischka: „Ich gehe davon aus, dass unsere Sicherheit­sbehörden hier schnellstm­öglich für die absolut notwendige Aufklärung sorgen.“

Wie das Innenminis­terium auf FDP-Anfrage weiter mitteilte, hatten von den Beschuldig­ten der seit dem Jahr 2014 eingeleite­ten Verfahren zwölf die deutsche Staatsange­hörigkeit. Keiner verfügte über eine doppelte Staatsange­hörigkeit. Die fünf im gesamten Zeitraum am häufigsten festgestel­lten Staatsange­hörigkeite­n seien syrisch, irakisch, deutsch, afghanisch und gambisch gewesen.

Experten erklären sich die große Zahl von offenbar nicht weiter verfolgten Hinweisen auch mit dem damaligen traumatisi­erten Zustand vieler Flüchtling­e. Sie hätten einem leicht aufklärbar­en Irrtum unterlegen, ähnlich aussehende Menschen unter den Flüchtling­en für ihre früheren Peiniger in ihren Herkunftsl­ändern zu halten.

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FOTO: DPA Flüchtling­e betreten im Winter 2015 deutschen Boden.

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