Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Real am Boden

Das große Madrid hat den Abgang von Cristiano Ronaldo nicht verkraftet. Trainer Jose Mourinho ist im Gespräch.

- VON ROBERT PETERS

MADRID/DÜSSELDORF Wahrschein­lich fängt das ganze Drama in dieser Mai-Nacht von Kiew an. Real Madrid hat 2018 gerade zum dritten Mal in Folge die Champions League gewonnen. Nach dem 3:1-Erfolg über den FC Liverpool wirkt der Jubel ein wenig einstudier­t, wie ein routiniert­er Pflichtbei­trag. Als Cristiano Ronaldo mit dem Henkelpott unter dem Arm in ausweichen­den Antworten auf die Fragen nach seiner Zukunft andeutet, dass diese Zukunft nicht unbedingt in Madrid liegen werde, spitzen bereits einige die Ohren.

Hellhörig werden sie spätestens ein paar Tage darauf, als Trainer Zinedine Zidane seinen Rücktritt einreicht. „Ich habe die Entscheidu­ng getroffen, dass ich nächstes Jahr nicht weitermach­en werde“, sagte der Franzose, „ich denke, dass die Mannschaft einen Wechsel braucht.“Und dann sagte er noch: „Ich habe nicht klar gesehen, dass wir weiter gewinnen werden.“

Der große Spieler und hochdekori­erte Trainer darf sich für seine Weitsicht noch im nachhinein beglückwün­schen. Denn Real hat wirklich nicht weiter gewonnen. In der Meistersch­aft nicht, da ist der alte Rivale FC Barcelona spätestens seit dem 1:0-Sieg im sogenannte­n „Clasico“von Bernabeu unerreichb­ar enteilt. Im spanischen Pokal nicht, da scheiterte Real ebenfalls an Barcelona (0:0 in Katalonien, 0:3 in Madrid). Und in der Champions League nicht. Da schied der Titelverte­idiger nach einer kleinen Vorführung und einem 1:4 gegen Ajax Amsterdam aus. Die Wirklichke­it hat Zidane auf eine Weise bestätigt, wie er sie selbst wohl nicht erwartet hatte.

Schwerer als den hellsichti­gen ehemaligen Trainer muss der offenkundi­ge Niedergang eines Teams, das so viel gewonnen hat, den Präsidente­n treffen, der das alles für sein Werk hält und der fest von weiteren Triumphzüg­en überzeugt war. Florentino Perez, der schwerreic­he Baulöwe, setzte gegen zumindest leise vorgebrach­te fachliche Einwände seine Überzeugun­g durch, Real werde auch ohne Ronaldo seine führende Position in Europa behaupten können.

Deshalb ließ er den divenhafte­n Portugiese­n ohne erkennbare­s Bedauern und ohne große Bemühungen, ihn zum Bleiben zu veranlasse­n, zu Juventus Turin ziehen. Sein Günstling Gareth Bale, den er 2013 für die damalige Rekord-Ablösesumm­e von 100 Millionen Euro verpflicht­ete (was wiederum Ronaldo tief beleidigte, der fortan kein Rekordspie­ler mehr war), werde die Lücke schon schließen, glaubte der Präsident. Auch hier sollte er irren. Niemand war in der Lage, die märchenhaf­ten Torquoten von Ronaldo zu erreichen. Weltfußbal­ler Luka Modric erklärte vor ein paar Wochen fachkundig: „Der Klub hat darauf gesetzt, dass andere die Tore schießen. Das müssen nicht 50 sein, vielleicht 25, 20 oder auch 10. Diese Leute haben wir aber nicht.“

Ronaldos Abgang ist deshalb ein wesentlich­er Grund für den Abschwung einer großen Mannschaft. Ihre Statik stimmt nicht mehr. Das Spiel war auf den Endverwert­er aus Portugal abgestimmt, die Passwege und der Aufbau hatten Ronaldo zum Ziel. Noch heute trägt Real seine Angriffe über die Außen so vor, als stünde der große Torjäger zur Abnahme bereit. Doch ganz häufig ist im Strafraum: nichts.

Karim Benzema verabschie­det sich in der löblichen Absicht, den Kollegen beim Kombinatio­nsspiel zu helfen, gern aus der Spitze. Und die Feingeiste­r aus dem Mittelfeld kurven lieber um den Sechzehnme­terraum herum, als an jene sprichwört­lichen Stellen zu gehen, in denen es weh tun könnte und meistens auch weh tut.

Der fürs Wehtun zuständige Abteilungs­leiter hat sich ausgerechn­et in diesem Jahr eine Krise genommen. Kapitän Sergio Ramos hat weder die Wucht noch die Zuverlässi­gkeit vergangene­r Tage. Das Wehtun beherrscht er noch. Es fällt allerdings manchmal sehr offensicht­lich und übertriebe­n auf.

Im Mittelfeld hat Modric die Nachwirkun­gen der anstrengen­den WM immer noch nicht aus den müden Knochen geschüttel­t. Und sein Strategie-Kollege Toni Kroos macht in einer Saison so viele Abspielfeh­ler wie wahrschein­lich in der gesamten Karriere zuvor nicht. Der (einstige?) brasiliani­sche Weltklasse-Verteidige­r Marcelo hängt so daneben, dass Trainer Santiago Solari ihn auf der Ersatzbank versteckt. Und Solari selbst kam erst ins Amt, als das Team unter seinem Vorgänger

Julen Lopetegui zu Saisonbegi­nn richtig von der Rolle rutschte.

Eine durchgreif­ende Änderung hat auch Solari nicht hinbekomme­n. Deshalb ist es sicher nicht ausgeschlo­ssen, dass Perez im Sommer erneut den Daumen senken und mit einem neuen Trainer nach der Trendwende suchen wird. Sein erklärter Wunschkand­idat ist Jose Mourinho. Der Portugiese wurde in dieser Saison bei Manchester United entlassen, und er fühlt sich durch das Interesse Reals selbstvers­tändlich sehr geehrt. „Ich würde ohne Probleme zurückkehr­en. Es macht einen stolz, dass ein Verein, bei dem man bereits gearbeitet hat, dich zurück haben will“, erklärte der 56-Jährige bei beIN Sports. Seine Bedingung: Madrid müsse sich von Bale, Marcelo und dem ewigen Talent Isco trennen und dafür Eden Hazard von Chelsea London holen.

Der Belgier wird auf einen Marktwert von 150 Millionen Euro geschätzt. Weil auch Real nach den Uefa-Gesetzen einen ausgeglich­enen Haushalt von Ein- und Verkäufen hinlegen muss, darf Perez so einen Wechsel nicht allein finanziere­n. Er könnte es aber. Um sich gegen lästige Konkurrenz zu schützen, hat er nach Recherchen des „Kicker“in die Klubregeln schreiben lassen, dass Präsidents­chaftskand­idaten mindestens 20 Jahre Vereinsmit­glied sein und 15 Prozent des Klubvermög­ens (100 Millionen) Euro mit dem Privatverm­ögen abdecken. Fans, die nach der Niederlage gegen Ajax nach seiner Demission riefen, werden sich also gedulden müssen.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Auch das noch: Real Madrids Sturmtalen­t Vinicius Junior sitzt im Spiel gegen Ajax verletzt auf dem Rasen.
FOTO: REUTERS Auch das noch: Real Madrids Sturmtalen­t Vinicius Junior sitzt im Spiel gegen Ajax verletzt auf dem Rasen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany