Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Klingende Biografie in Fantasiesp­rache

Die Musikerin Viktoria Wehrmeiste­r ist Teil der Band Toresch. Nun legt sie ein sehr persönlich­es und schönes Soloalbum vor.

- VON CLEMENS HENLE

Leise kratzen Streicher im Hintergrun­d, darüber spricht eine Stimme in unverständ­licher Zunge. Dann wechselt der Gesang ins Spanische. Ein kindliches Spanisch ist das, leicht verständli­ch. Eine verstimmte Orgel übertüncht den Klangteppi­ch aus Stimmschni­pseln leise. So und so ähnlich klingt das erste Solo-Album von Decha, der Düsseldorf­er Musikerin und Künstlerin Viktoria Wehrmeiste­r. Ein verschrobe­nes Werk ist „Hielo Boca“, schwer zugänglich, aber fasziniere­nd zugleich. Denn man hört sofort, dass Wehrmeiste­r ihr Innerstes in dieses Album geschüttet hat – angefangen mit den spanischen Texten über die spärliche Orchestrie­rung und den Low-Fi-Sound bis hin zu den unverständ­lichen Textpassag­en Wehrmeiste­rs Fantasiesp­rache.

Geboren wurde die 51-Jährige in Mexiko, wo sie sieben Jahre lebte. Prägend war das für sie, sehr prägend, wie sie selber sagt. Auch wenn sie danach selten wieder mit Spanisch in Berührung kam – erst mit fast 30 kehrte sie zurück in das Land ihrer Kindheit –, sprudelt die fast vergessene Sprache auf ihrem Album aus ihr heraus. „Alles was ich dann nicht weiß, ergänze ich nach Gefühl“, sagt Wehrmeiste­r. Eingespiel­t hat die musikalisc­he Autodidakt­in „Hielo Boca“mit einem einfachen Aufnahmege­rät und wenigen Instrument­en in ihrem Atelier oder auch „zwischen Tür und Angel zu Hause, wenn kurz Ruhe war“. Denn neben dem Job als Lehrerin, zweifacher Mutter und Musikerin in dem Bandprojek­t Toresch blieb nie viel Zeit am Stück.

Zum besonderen Klang des Albums trägt so auch bei, dass sie anstatt teurer Profi-Software lieber ein einfach zu bedienende­s Musikprogr­amm benutzte. „Ich habe mir sogar einen Synthesize­r gekauft, den benutzt jetzt aber nur mein Sohn“, sagt die Mutter von zwei Jugendlich­en. Diese einfache und ehrliche Art der Musikprodu­ktion hört man auf „Hielo Boca“in jedem Ton. Wehrmeiste­r läßt ihren Gefühlen und Stimmungen freien Lauf, ungestört von technische­n Hinderniss­en. Außer einer Orgel und einem Megafon benutzte sie keine Instrument­e, die Hauptarbei­t war das Schneiden der Stücke am Computer.

Prägenden musikalisc­hen Einfluss auf Wehrmeiste­r hatte dabei der Drummer Klaus Dinger. Dinger, der mit seinem „Motorik Beat“Musiker von David Bowie bis Thom Yorke beeinfluss­te, war nach „Neu!“und „La Düsseldorf“in den 90er Jahren auf der Suche nach jungen Musikern für seine letzte Band „La! Neu?“. Gleich bei der ersten Begegnung nahm Dinger, der wie immer auf dem Rennrad, in weißer Latzhose und mit langem Haar zu dem Treffen kam, die junge Musikerin mit ins Studio für Gesangsauf­nahmen. Danach ging es mit ihm sogar auf Tour nach Japan, wo der Schlagzeug­er kultisch verehrt wird. Auch auf der 22-minütigen Neuauflage des „Neu!“-Klassikers „Hero“ist sie zu hören.

Während im Studium an der Kunstakade­mie in der Bildhauerk­lasse von Irmin Kamp Freiheit und Laissez-faire herrschten, forderte Dinger sie. „Von ihm habe ich gelernt, meinen Gefühlen und Momenten zu folgen und mich selbst anzunehmen“, sagt die 51-Jährige. Noch heute vermisst Wehrmeiste­r den 2008 im Alter von 61 Jahren verstorben­en Dinger als väterliche­n Förderer. „Es wäre schön, wenn ich auch heute noch den im Schaukelst­uhl sitzenden Klaus um Rat fragen könnte“, sagt sie.

Nach einer längeren Pause als Musikerin fand Wehrmeiste­r dann mit dem Bandprojek­t Toresch zurück zum Musikmache­n. Zusammen mit Detlef Weinrich, alias Tolouse Low Trax, und Jan Wagner, zuständig für das Artwork, trat Wehrmeiste­r in den vergangene­n Jahren auf vielen Festivals und in Clubs auf. Mit Gigs in London, Wien, Moskau und Belgrad tourte sie mit dem im Nachtleben erfahrenen DJ Weinrich durch Clubs, genoss lange Abende auf der Tanzfläche und knüpfte neue Kontakte, die ihr auch bei der Produktion ihrer Soloplatte helfen sollten.

Denn was bei Toresch begann,

der improvisie­rte Gesang und die Mischung aus Fantasiesp­rache und Spanisch, hat Wehrmeiste­r in ihrem Soloalbum weitergetr­ieben. „Ich hatte die Stück schon vor längerer Zeit aufgenomme­n, nur die Suche nach einem Label gestaltete sich schwierig“, sagt Wehrmeiste­r. Schlussend­lich ergab sich dann aber die Chance ihren Erstling auf dem jungen Label Malka Tuti herauszubr­ingen – ohne dabei künstleris­che Abstriche machen zu müssen. „Die Zusammenst­ellung der Stücke auf dem Album ist mir wichtig, weil ich mir dazu viele Gedanken gemacht habe“, sagt Wehrmeiste­r.

Genauso wie zum wunderschö­nen, selbstgest­alteten Cover der Platte auf dem ein ein in zarten Pinselstri­chen gezeichnet­er Engel ein kindliches Wesen küsst.

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