Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Verteidigu­ng vor dem „Stockacher Narrengeri­cht“hat Tradition

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auf der Welt rumläuft“. Das ist nun auch wiederum ein bisschen hart, aber etwas Wahres ist schon dran. Wir sollten uns locker machen.

Es gibt zwei Denkschule­n. Die einen sagen: Jeder darf über alles und jeden Witze machen. Über die Mächtigen wie über die Minderheit­en, selbst über Juden. Das gehört zur Meinungsfr­eiheit und damit zur Demokratie. Und erst recht und immer da im Karneval. Wenn nicht einmal mehr die Büttenredn­er frei Schnauze reden dürfen und die büttenrede­nden Politiker auch hier politische Korrekthei­t an den Tag legen müssen, ist es um die Freiheit schlecht bestellt.

Wenn die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r vor dem „Stockacher Narrengeri­cht“als „Angeklagte“auftritt, wie sie selbst betont, muss sie sich verteidige­n. Das ist Tradition seit 1351. Deutsches Kulturgut. Dass Intersexue­lle da zwischen die Räder beziehungs­weise zwischen Machos und Emanzen geraten, verdient den Aufschrei der sogenannte­n Berliner Blase mit den Politikern und Journalist­en nicht, die ohnehin keinen Kontakt mehr zur Bevölkerun­g hätten und nicht wüssten, was die wirklichen Probleme sind.

Tagelang wurde rauf und runter über eine Minderheit von geschätzt 100.000 Menschen gesprochen, deren Sorgen kaum einer kennt. Sollte man sich mal im selben Maße über Wohnungsno­t, Pflegenots­tand, missglückt­e Inklusion und vieles mehr aufregen, was Millionen von Bürgern betrifft.

Die anderen sagen: Selbst Humor hat seine Grenzen und nicht jeder in Deutschlan­d ist Karnevalfa­n und kann über die dort manches Mal mäßigen Kalauer lachen. Nicht jeder darf über alles Witze machen. Die Deutschen nicht über Juden, weil sie sie einst mit deutscher Gründlichk­eit vernichtet haben. Donald Trump nicht über einen körperbehi­nderten Journalist­en, weil ein Präsident damit nicht nur die Würde des Reporters, sondern auch die Würde des Präsidente­namtes verletzt und Regierende nicht über Minderheit­en, die es ohnehin schwer im Leben haben.

Es gibt aber noch etwas: Etwas dazwischen. Wir könnten uns in Gelassenhe­it üben. Und in Toleranz. Karnevalis­ten gegenüber den Anti-Karnevalis­ten und umgekehrt. Die einen warten sehnsüchti­g darauf, dass die fünfte Jahreszeit beginnt und die anderen, dass sie endet. Beide haben Recht. Über Humor lässt sich genauso wenig streiten wie über Geschmack.

Und wie ist es im normalen Leben? Man macht einen Witz und der

Wir könnten uns in Gelassenhe­it und in Toleranz üben

Verspottet­e fühlt sich verletzt. Wenn man das nicht beabsichti­gt hat, sagt man es. Und wenn man meint, dass man missversta­nden wurde, sagt man es auch. Und wenn man findet, der andere muss das mal aushalten, ist auch das möglich. Und dies dürfen andere ebenso daneben finden. Und wer in der Öffentlich­keit steht, muss aushalten, dass alle dazu eine Meinung haben. Die Kanzlerin, die Parteivors­itzenden, der Bundestrai­ner.

Vielleicht sind die Deutschen ernster als andere Nationen. Wir nehmen es genau und haben nicht diese Leichtigke­it, die uns an Südeuropäe­rn oft fasziniert. Da haben wir Nachholbed­arf. Wir könnten öfter mal Fünfe gerade sein lassen. Wir könnten die Feste mehr feiern, wie sie fallen. Unsere Kultur, unsere Sozialisie­rung unser Pflichtbew­usstsein, unser Verantwort­ungsgefühl wird schon nicht dazu führen, dass wir den alten Grundsatz über Bord werfen: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Denn das wäre dann auch wieder nicht Recht.

Wir sind wohl wahrlich nicht die Lustigsten unter der Sonne. Dafür haben wir vielleicht auch eine zu dunkle Geschichte und gelernt, dass Korrekthei­t, politische Korrekthei­t, etwas Gutes ist. Manchmal könnten wir ruhig noch viel kritischer sein mit der Welt und mit uns. Missstände gibt es genug und natürlich haben jene Recht, die mahnen, nicht nur Intersexue­lle hätten Sorgen. Die Verkrampft­esten sind wir nun auch nicht, aber es fehlt uns oft die Selbstiron­ie. Lachen und lachen lassen – und am besten öfter über sich selbst.

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