Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Ich war kein Streber“
Der Bundeswirtschaftsminister über Schulschwänzen fürs Klima und die Sozialstaatspläne der SPD.
zugesagt worden ist. Diese Kosten werden erst Mitte der 20er Jahre weniger.
Es kommen ja durch den Kohleausstieg noch neue Kosten dazu. Wann wollen Sie ihr Gesetz dazu vorlegen?
ALTMAIER Bis Ende April werde ich die Eckpunkte für ein Gesetz vorlegen, in dem es um Infrastrukturmaßnahmen für Regionen geht, die vom Kohleausstieg betroffen sind. Der Gesetzentwurf dazu soll noch vor der Sommerpause vorliegen. Mit den betroffenen Kraftwerksbetreibern werden wir in den kommenden Wochen und Monaten darüber reden, wie der schnelle Beitrag zur CO2-Reduzierung erbracht werden soll. Diese Entscheidungen müssen zügig getroffen werden, auch damit die betroffenen Landesregierungen wissen, wie es an neuralgischen Punkten weitergeht.
Haben Sie Verständnis für die Schülerproteste für mehr Klimaschutz – wie es auch die Kanzlerin geäußert hat?
ALTMAIER Vertreter dieser Schülerinnen und Schüler habe ich am ersten Tag ihrer Aktion in Berlin im Ministerium zu einem Gespräch empfangen und mir ihre Anliegen ganz genau angehört. Neben dem Lob dafür, dass sich die Schülerinnen und Schüler für Klimaschutz engagieren, habe ich aber auch darauf hingewiesen, dass man solche Demos auch ganz kommod im Anschluss an den Schulunterricht organisieren kann. Das würde der Sache, für die sie demonstrieren, sicherlich noch einmal eine ganz neue Durchschlagkraft verleihen und ihr ernsthaftes Engagement unterlegen. Die Schüler wollen sich doch sicherlich nicht vorwerfen lassen, dass sie nur ihren Mathe-Stunden entkommen wollen.
Und Sie? Haben Sie früher gelegentlich mal die Schule geschwänzt?
ALTMAIER (lacht) Nur für gute Zwecke. Ernsthaft: Ich war weder ein Streber noch ein Schulschwänzer.
Die Wirtschaft kritisiert, dass Sie nicht beherzt genug Widerstand gegen die wachsenden sozialstaatlichen Wünsche der SPD leisten. Gefährden die Sozialstaatspläne der SPD die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland?
ALTMAIER Mich beunruhigt die Inflation der Ausgabewünsche der SPD enorm. Gemeinsam mit Gerhard Schröder haben wir zu Beginn des Jahrtausends Reformmaßnahmen verabschiedet, so dass die Sozialabgaben seitdem unter 40 Prozent liegen. Diese Stabilität halte ich für gefährdet, wenn wir reihenweise ungedeckte Schecks ausstellen, die dann unsere Kinder und Enkelkinder einlösen müssen. Geschäfte zulasten Dritter sind nie gut, weder in der Umwelt noch im Haushalt.
Muss es Priorität sein, dass alle Beiträge zu den Sozialkassen dauerhaft unter 40 Prozent bleiben?
ALTMAIER Ja. Wir sollten im Grundgesetz festschreiben, dass die Beiträge für alle Sozialversicherungen insgesamt nicht über 40 Prozent steigen dürfen. Ähnlich wie wir auch eine Schuldenbremse in der Verfassung haben. Dann können sich Unternehmer darauf verlassen, dass die Sozialabgaben für sie bezahlbar bleiben, wenn sie neue Arbeitsplätze schaffen. Die Erfahrung lehrt: Wenn die Sozialabgaben länger über 40 Prozent steigen, stellt sich der Effekt ein, dass die Zahl der Arbeitsplätze sinkt und unter dem Strich weniger Geld in die Sozialkassen fließt. Das müssen wir vermeiden.
Gehen Sie beim Vorstoß der SPD für ein Recht auf Homeoffice mit? Das kostet zumindest keine Sozialabgaben.
ALTMAIER Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch stärker mit kreativen Arbeitsmodellen und einem Ausbau von Kinderbetreuung ermöglichen. Ein Rechtsanspruch auf Homeoffice ist dafür nicht notwendig. Wir brauchen mehr Flexibilität, nicht mehr starre gesetzliche Regelungen.
Ist die SPD für Sie angesichts ihrer deutlich über den Koalitionsvertrag hinausgehenden sozialstaatlichen Forderungen noch ein verlässlicher Partner?
ALTMAIER Ich setze meine Arbeitskraft dafür ein, die Dinge in Deutschland zu gestalten und Probleme zu lösen. Das ist unser Job, und deshalb sollten wir die Koalition mit der SPD auch bis zum Ende der Wahlperiode fortsetzen. Nachdem wir bereits ein Jahr durch die langwierige Regierungsbildung verloren haben, sollten wir keine Zeit mit erneuten Personal- und Koalitionsdebatten oder Neuwahlen verschwenden, sondern unseren Job erledigen. Wir haben die Verantwortung, dass wir gemeinsam die Festlegungen im Koalitionsvertrag umsetzen. Wir können auch unsere Streitfragen lösen, wenn alle in der Koalition auf billige Wahlkampfprofilierung verzichten.
Und die billige Wahlkampfprofilierung sehen Sie vor allem bei der SPD?
ALTMAIER Naja, der Wind wird schon rauer. Ich habe mich schon gewundert, warum zum Beispiel ein Klimaschutzgesetz den Weg in die Öffentlichkeit findet, bevor wir in der Bundesregierung überhaupt Gelegenheit hatten, darüber zu beraten und zu sprechen. Gemeinsame Arbeit an der Sache geht anders. Der Klimaschutz wird nur gelingen, wenn wir unsere Pläne darüber abstimmen und uns nicht öffentlich gegeneinander ausspielen. Dafür ist das Thema zu wichtig. Die Regierung sollte sich im Herbst zu einer Klausursitzung treffen, bei der wir die Richtlinien für die Klimaschutzpolitik festlegen. Dazu werde ich als Bundeswirtschaftsminister eigene Vorschläge vorlegen.
Können Sie die Entrüstung nachvollziehen, die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrem Witz im Karneval über Toiletten für Intersexuelle entgegengeschlagen ist?
ALTMAIER Der Aschermittwoch ist vorbei. Wir sollten nach vorne schauen und stets Politik für alle Menschen machen. Annegret Kramp-Karrenbauer kenne ich seit 25 Jahren. Ich habe nicht den Ansatz eines Zweifels, dass sie durch und durch für genau einen solchen Politikansatz steht.
JAN DREBES UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.