Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Jung gegen Alt in Afrika und Nahost
In den muslimischen Staaten drängt sich ein weiterer Konflikt in den Vordergrund, der das Schicksal der Region mitbestimmt: der Kampf zwischen den Generationen. Besonders deutlich wird das in Algerien und im Sudan.
Auseinandersetzungen gibt es im weiten Bogen der mehrheitlich muslimischen Staaten von Maghreb bis in den Mittleren Osten wahrhaftig genug: Spannungen und Machtkämpfe zwischen sunnitischen Arabern und schiitischen Iranern, zwischen diversen Golf-Staaten und zwischen Diktatoren und demokratischen Kräften. Es gibt Gerangel zwischen internationalen Akteuren wie USA und Russland sowie Verteilungskämpfe um Öl und Gas, während der Kampf gegen Extremisten wie den Islamischen Staat tobt. Nun drängt sich ein weiterer Konflikt in den Vordergrund, der das Schicksal der Region entscheidend mitbestimmen dürfte: der Kampf Jung gegen Alt. Besonders deutlich wird das derzeit in Algerien und im Sudan.
Lange Zeit sei die Macht der älteren Generationen in der Region unangefochten gewesen, sagt Paul Salem, Chef des Nahost-Instituts in Washington. „Doch heute ist das nicht mehr so.“Zwei von drei Bewohnern der arabischen Welt seien jünger als 30 Jahre, betont Salem. Das hat Folgen, die immer deutlicher zutage treten.
Die wichtigste Waffe im Kampf der Generationen ist das Smartphone. Seit der Zeit des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 ist die Zahl der Besitzer von internetfähigen Handys in der Region stark gewachsen. Heute nutzen zwei von drei Bewohnern der Region die Mitteilungs-Plattform Whatsapp, wie der US-Journalismus-Professor Damian Radcliffe im Online-Magazin „Medium“schrieb. Facebook wird demnach von 63 Prozent der Menschen genutzt, Youtube von 50 Prozent. Nach anderen Untersuchungen ist jeder Dritte im Nahen Osten auf Twitter unterwegs, mehr als 40 Prozent nutzen Instagram. Das bedeutet: Das Monopol der Regierungen über die Informationsflüsse in ihren Ländern ist gebrochen. Staatliche Verbote bringen nicht viel. Als der iranische Außenminister Mohammad Dschawad Sarif vergangene Woche überraschend seinen – inzwischen wieder zurückgenommenen – Rücktritt erklärte, tat er das auf Instagram, weil Twitter im Iran nicht zugelassen ist. Sarif erreichte sein Publikum auf diese Weise trotzdem.
Soziale Medien bieten der jungen Generation zwischen Marokko und dem Iran effiziente Mittel zur Informationsbeschaffung und Mobilisierung. Das erschüttert die Macht langjähriger Herrscher. In Algerien etwa protestierten Zehntausende Menschen wochenlang gegen den Präsidenten Abdelasis Bouteflika. Der 82-Jährige wollte sich bei der Wahl im April um eine fünfte Amtszeit bewerben – obwohl er bereits seit 1999 im Amt ist. Soziale Medien spielten beim Protest eine große Rolle: Die ersten Protestrufe seien in algerischen Fußballstadien zu hören gewesen und hätten sich über soziale Medien weiterverbreitet, sagte der Politologe Antoine Basbous dem französischen Rundfunksender RFI. Facebook sei das wichtigste Instrument zur Mobilisierung der Demonstranten, betonte ein namentlich nicht genannter Aktivist. Am Montagabend berichtete die staatliche Nachrichtenagentur APS, Bouteflika verzichte auf eine erneute Kandidatur.
Auch im Sudan regt sich Widerstand. Omar al Baschir (75) regiert das Land am Roten Meer seit 1989 mit eiserner Faust – beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag liegt ein Haftbefehl wegen des Vorwurfs des Völkermordes in der Region Darfur gegen ihn vor. Dennoch musste sich Baschir bisher nicht allzu viele Sorgen machen – nun aber sieht er sich wütenden Protesten der eigenen Bevölkerung gegenüber.
Seit Mitte Dezember gehen die Sudanesen gegen die Regierung auf die Straße. Der Auslöser war eine Verteuerung der Brotpreise, doch inzwischen werden der Rücktritt des Präsidenten und mehr Demokratie gefordert. Baschir hat den Notstand ausgerufen und versucht, die Proteste niederschlagen zu lassen, Die wichtigste Waffe im Kampf der Generationen ist das Smartphone doch er sieht sich auch Widerstand in den eigenen Reihen gegenüber. Nach Einschätzung der Denkfabrik International Crisis Group plädiert der islamistische Flügel der Baschir-Regierung für Zugeständnisse an die Protestbewegung, was von der Militärführung aber abgelehnt wird.
Mit sozialen Medien könne man keinen Regierungswechsel herbeiführen, höhnte Baschir kürzlich. Doch Baschirs Regierung weiß um die Gefahr, die ihr durch soziale Medien droht: Rund 30 Millionen der etwa 40 Millionen Sudanesen besitzen ein Handy. Zwei Wochen nach Ausbruch der Proteste ließ Baschir die Zugänge zu Facebook, Twitter und Whatsapp sperren. Doch die Proteste gehen weiter. Die im internationalen Vergleich sehr junge Bevölkerung des Landes lässt sich nicht mehr einschüchtern.
Auch in anderen Ländern dürften altgediente Herrscher aufhorchen. Der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei etwa ist fast 80 Jahre alt und seit 30 Jahren an der Macht. Baschar al Assad in Syrien ist zwar erst 53, regiert aber schon seit fast 20 Jahren. Auch der 57-jährige König Abdullah von Jordanien ist bereits seit 1999 im Amt. Sie alle stünden Herausforderungen gegenüber, die für die Machthaber in der Region völlig neu seien, meint der Nahost-Experte Juan Cole.
Für die Regime ist der Umgang mit der jungen Generation auch deshalb schwierig, weil die Jungen kaum an traditionellen Instrumenten der Politik wie den etablierten Parteien interessiert sind, betont Cole. Außerdem sind viele von ihnen den Sicherheitsbehörden technologisch weit voraus: Im Sudan etwa tauchen nach wie vor Videos von Protestkundgebungen auf – obwohl die Regierung das eigentlich verhindern wollte. In der Vergangenheit sei es im Nahen Osten vor allem um die Auseinandersetzung zwischen säkularen und islamistischen Kräften gegangen, sagte Cole dem Rundfunksender PRI in den USA. Heutzutage steht aber der Ruf nach demokratischeren Regierungsformen und individueller Selbstgestaltung im Vordergrund.