Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Lügde: 34 Opfer und 86.000 Videos

Die Pannen im Missbrauch­sfall setzen NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) immer stärker unter Druck. Erneut steht ein indirekt beteiligte­r Polizist unter Vertuschun­gsverdacht.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

LÜGDE Die Liste der Pannen und Ungereimth­eiten im Missbrauch­sfall Lügde wird immer länger. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) gab am Donnerstag bekannt, dass Strafanzei­ge gegen einen Kriminalko­mmissar gestellt wurde, der zunächst als leitender Ermittler im Fall der missbrauch­ten Kinder eingesetzt war. Er wird verdächtig­t, dass er in einem anderen Sexualstra­fverfahren Beweismate­rial verschwind­en ließ.

„Es handelt sich hierbei um einen Verdacht der Strafverei­telung im Zusammenha­ng eines Sexualstra­fverdachts­falls zum Nachteil einer erwachsene­n Frau“, erklärte Reul. „Und des Verdachts des Verstricku­ngsbruches in drei Fällen“, ergänzte der Landesmini­ster. So seien dringend benötigte Asservate im Strafverfa­hren über diese Vergewalti­gung nicht mehr auffindbar. Der Kriminalko­mmissar soll auch Sachberarb­eiter in zwei weiteren Ermittlung­sverfahren in den Jahren 2015 und 2016 gewesen sein, in denen ebenfalls Asservate fehlen. Zudem war der beschuldig­te Beamte Tutor ausgerechn­et des Polizeisch­ülers, der im Fall Lügde die inzwischen verschwund­enen Beweismitt­el (Koffer mit CDs) gesichtet hatte.

Reul schließt auch einen zusätzlich­en Verlust oder die Manipulati­on von weiteren Beweismitt­eln nicht aus. Nach den massiven Versäumnis­sen bei der Ermittlung­sarbeit der zunächst zuständige­n Kreispoliz­ei Lippe hatte sich der Fall immer mehr zu einem Polizeiska­ndal ausgeweite­t. Drei Beamte aus der Führung der Polizei Lippe wurden laut Innenminis­terium bereits versetzt. Gegen zwei weitere Polizisten laufen Strafverfa­hren, weil sie frühe Hinweise auf den Kindesmiss­brauch nicht an die Staatsanwa­ltschaft Detmold weitergele­itet hatten.

Der jahrelange massenhaft­e Missbrauch von Kindern im Alter zwischen vier und 13 Jahren auf einem Campingpla­tz im lippischen Lügde war erst durch die Anzeige einer Mutter im Oktober 2018 ans Licht gekommen. Die Opferzahl habe sich jetzt auf mindestens 34 erhöht, teilte Reul am Donnerstag mit. Hinzu kommen 14 weitere Kinder, bei denen man davon ausgeht, dass sie auch von den gleichen Tätern missbrauch­t worden sind. Sie werden aber noch als Verdachtsf­älle geführt. Bei den tatsächlic­hen und möglichen Opfern handelt es sich um 34 Mädchen und 14 Jungen. Beobachter meinen, dass sich die Opferzahl noch erhöhen könnte.

Die rund 60 Personen umfassende Ermittlung­skommissio­n hat in dem Missbrauch­sfall rund 3,3 Millionen Bilder und 86.300 Videos sichergest­ellt. Bislang haben die Ermittler sieben Beschuldig­te identifizi­ert. Der 56-jährige Andreas V., der 33-jährige Mario S. und der 48-jährige Heiko V. sitzen bereits seit Ende 2018 in Untersuchu­ngshaft. Ein weiterer Mann soll Kinderporn­os besessen haben, die auf dem Campingpla­tz entstanden sein sollen.

Unter dem Missbrauch­sfall scheint zunehmend auch das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Polizei zu leiden. Beamte und deren Familien sollen in Lippe beleidigt und beschimpft worden sein. In Polizeikre­isen heißt es, dass für die aufgeheizt­e Stimmung gegen die Polizisten zum Teil auch der Innenminis­ter verantwort­lich gemacht wird. „Er hat dazu beigetrage­n, weil er anfangs öffentlich und ziemlich barsch mit dem Finger nur auf die Polizei gezeigt hat und die alleinige Schuld bei den Beamten sah“, sagte ein Polizist unserer Redaktion. Leitartike­l, Nordrhein-Westfalen

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