Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Visionen lassen Gedanken tanzen

Macron dirigiert „Melodien für Millionen“Europäer. AKK musiziert auch.

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Wenigstens die Kanzlerin in Ausbildung, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, hat halboffizi­ell den Fanfarenst­ößen von Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron ihre europäisch­e Melodie hinzugefüg­t. Chapeau, Madame! Dennoch der Eindruck: Fortschrit­t ist zu oft eine Schnecke aus Deutschlan­d. Von den Berliner Disharmoni­kern in Auflösung war Macron zuvor nie die Ehre einer angemessen­en Antwort zuteil geworden. Viel tönendes Nichts im Orchesterg­raben: die Kapellmeis­terin mit schlaffem Dirigat, die Streicher krächzend, ansonsten kümmerlich­es Blech. Macron dagegen wirkt kühn, beherrscht die Partitur einer Melodie für Millionen – frei nach dem Befund des großen Kanzlers und Europäers Konrad Adenauer: „Das Wichtigste in der Politik ist der Mut.“

Vielen der großen politische­n Sprünge gingen große Gedanken voraus. Es waren oft Vorstöße wie Macrons „Hallo wach!“, welche lahme Gäule zum Traben und Gedanken zum Tanzen brachten. Winston Churchills Aufruf von 1946 für ein vereintes Europa; John F. Kennedys Ankündigun­g 1961 zum bemannten Mondflug; Martin Luther Kings Traum von der Chancengle­ichheit aller US-Bürger 1963; Ronald Reagans Forderung 1987 gegenüber Moskau, die Berliner Mauer niederzure­ißen; Helmut Kohls Dresdner Rede 1989 zur „Einheit des Vaterlande­s“vor den Trümmern der wiedererst­andenen Frauenkirc­he heute.

Man kann das als bloße Worte narzisstis­cher Solisten abtun. Auf Macron und AKK gemünzt lässt sich auch unterstell­en, dass sowohl dem Marschall Vorwärts im Elysée als auch der mutmaßlich­en Merkel-Nachfolger­in an Gewinnmaxi­mierung bei der Europawahl im Mai gelegen sei. Na und? Wenn es so wäre, schmälerte das doch nicht den inspiriere­nden Schwung, den das größte politische Projekt auf unserem Kontinent so nötig hat.

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