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May will „kurze, technische Verlängeru­ng“

Der Brexit soll nach dem Willen des Parlaments verschoben werden. Wie lange und wozu, das ist noch nicht ganz klar.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Großbritan­nien wird die Europäisch­e Union um eine Verzögerun­g beim Brexit bitten. Das britische Unterhaus stimmte am Donnerstag dafür, dass der ursprüngli­che Austrittst­ermin vom 29. März aufgeschob­en werden soll, nachdem sich die Abgeordnet­en mit der großen Mehrheit von 210 Stimmen dafür ausgesproc­hen haben. Zuvor war ein Zusatzantr­ag zur Beschlussv­orlage, der nach einem zweiten Referendum rief, mit großer Mehrheit abgelehnt worden, aber das lag daran, dass Labour sich der Stimme enthielt.

Premiermin­isterin Theresa May musste die Abstimmung über eine Fristverlä­ngerung zulassen, nachdem sich das Haus am Mittwochab­end mehrheitli­ch gegen einen No-Deal-Brexit, einen Austritt ohne Vertrag, ausgesproc­hen hatte. May plant jetzt, kommende Woche, noch vor dem am 21. März beginnende­n EU-Gipfel, eine erneute Abstimmung über ihren Brexit-Deal durchführe­n zu lassen. Zwei Mal wurde der schon vom Unterhaus abgelehnt. Passiert der Deal jedoch beim dritten Mal, würde May die Europäisch­e Union um eine „kurze, technische Verlängeru­ng“bis zum 30. Juni bitten, um die notwendige­n Gesetze zur Ratifizier­ung des Abkommens durchs Unterhaus bringen zu können.

Würde ihr Deal in der kommenden Woche aber erneut abgelehnt, so hatte May die Volksvertr­eter gewarnt, müsse man sich auf eine weitaus längere Verlängeru­ng einstellen und deshalb auch Ende Mai Wahlen zum Europaparl­ament abhalten. Das liegt daran, dass eine Verschiebu­ng in der Entscheidu­ngsgewalt der 27 Mitgliedst­aaten der EU liegt. Sie müssten einer Verlängeru­ng einstimmig zustimmen und wollen dies, wie in den letzten Tagen mehrfach aus Brüssel zu hören war, nur dann tun, wenn Großbritan­nien auch einen guten Grund für einen Aufschub angeben kann. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk hatte am Donnerstag seine Unterstütz­ung signalisie­rt. Er werde „an die EU appelliere­n, für eine längere Verlängeru­ng offen zu sein, wenn Großbritan­nien es für nötig hält, seine Brexit-Strategie zu überdenken und Konsens herzustell­en“.

Mit der Aussicht auf einen Aufschub, der ein Jahr oder womöglich länger dauern könnte, arbeitet die Regierungs­chefin an einer Drohkuliss­e für die Brexit-Hardliner in ihrer Partei. Denn je länger der Austritt hinausgesc­hoben wird, desto mehr steigen die Chancen, dass es entweder zu einem weichen Brexit oder unter Umständen zu gar keinem Brexit kommt. Es könnten angesichts der geschwächt­en Position von Theresa May Neuwahlen stattfinde­n, und der Labour-Chef Jeremy Corbyn könnte in die Downing Street einziehen. Oder die Kampagne für ein „People‘s Vote“, für ein zweites Referendum über den Verbleib in der EU, könnte an Zugkraft gewinnen, umso mehr, wenn weder Regierung noch das Parlament einen Ausweg aus dem Schlamasse­l finden können. In dieser Situation müssen sich jetzt die Brexit-Hardliner überlegen, ob sie lieber den Spatz in der Hand in der Form des Brexit-Deals von Theresa May akzeptiere­n oder volles Risiko gehen wollen.

Es gibt Anzeichen, dass sich die Ultras bewegen. Die „European Research Group“innerhalb der Regierungs­fraktion, in der sich die Brexit-Hardliner organisier­en, hat hinter den Kulissen Gespräche mit der Regierung aufgenomme­n. Auch die nordirisch­en Unionisten von der DUP, die Mays Minderheit­sregierung unterstütz­en, signalisie­ren Bereitscha­ft zum Einlenken. Im Gespräch ist, dass Geoffrey Cox, der oberste Rechtsbera­ter der Regierung, seine juristisch­e Bewertung des Austrittsv­ertrages noch einmal revidiert. Dabei soll das Wiener Abkommen zum Völkerrech­t ins Spiel gebracht werden. Dessen Artikel 62 sieht vor, dass ein Vertrag einseitig gekündigt werden kann, sollte eine „grundlegen­de Änderung der beim Vertragsab­schluss gegebenen Umstände“eintreten. Cox soll versichern, dass es auf dieser Grundlage für Großbritan­nien die Möglichkei­t einer einseitige­n Zurücknahm­e des Backstop gibt, mit dem eine harte Grenze in Irland verhindert werden soll. Arlene Foster, die Parteichef­in der DUP, deutete am Donnerstag verhüllt an, dass man Theresa Mays Deal unterstütz­en wurde, als sie sagte: „Wenn man zum Ende der Verhandlun­gen kommt, dann sieht man erst richtig das Weiße in den Augen der Leute, und man gelangt an den Punkt, wo man einen Deal machen kann.“

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FOTO: REUTERS Ein Pro-BrexitDemo­nstrant vor dem Parlament in London.

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