Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Offenbarungseid der Bundesliga
In drei direkten Achtelfinal-Duellen mit Klubs der englischen Premier League scheitern die deutschen Mannschaften. Erstmals seit 2006 steht kein Bundesligist im Viertelfinale. Ein Alarmsignal.
Der große Michael Ballack legte den Finger bereitwillig in die Wunde. „Wir sind bei der WM zeitig ausgeschieden, in der Nations League abgestiegen. In der Champions League war für alle deutschen Mannschaften im Achtelfinale Schluss. Das ist ein Fingerzeig, dass wir nicht alles richtig machen. Wir dürfen die Dinge nicht schönreden“, sagte der einstige Capitano der deutschen Nationalmannschaft nach dem 1:3 von Bayern München gegen den FC Liverpool in der Meisterklasse des europäischen Fußballs. Zum ersten Mal seit 2006 steht kein Bundesligist in der Runde der letzten Acht. Auch das könnte Ballack schmerzhaft bewusst geworden sein. Vor 13 Jahren gehörte er zum Bayern-Team, das nach einem 1:4 beim AC Mailand die Segel im Achtelfinale streichen musste.
Es ist ein herber Augenblick für die Bundesliga. Ein paar Zahlen erzählen ihn: 0:3, 0:1, 2:3, 0:7, 0:0, 1:3 – das sind die Ergebnisse der drei deutschen Mannschaften gegen ihre englischen Gegner im Achtelfinale. Und man muss kein zur Niedergeschlagenheit neigender Mensch sein, wenn man diese Resultate traurig findet.
Den Bundesliga-Vertretern wäre es sicher ganz recht, wenn die Resultate nur als Beschreibung des Augenblicks gelten. „Das ist nur eine Momentaufnahme“, ist die Standard-Bemerkung, wenn mal wieder jemand einen Trend ausmachen will. Diesmal ist die Momentaufnahme ein Alarmsignal. Da liegt Ballack ganz richtig. Denn sie ist der vorläufige Tiefpunkt einer Entwicklung. 2013 gewannen die Bayern die Champions League in einem mitreißenden Finale gegen Borussia Dortmund. Der deutsche Fußball war stilbildend in Europa, die spanischen Topklubs Real Madrid und FC Barcelona waren an den Bundesligisten im Halbfinale gescheitert. Von der milliardenschweren Premier League sprach niemand.
Seither sind selbst die Bayern, der zuverlässigste deutsche Vertreter in den K.o.-Runden der Champions League, auf dem absteigenden Ast – auch wenn das für die vier Halbfinalteilnahmen (2014 bis 2016 und 2018)nach Jammern auf hohem Niveau klingt. Aber es war in den internationalen Höhen das letzte große Aufbegehren einer in die Jahre gekommenen großen Mannschaft. Das unterstreicht die Vorstellung im Achtelfinale 2019 gegen Liverpool. Für das torlose Unentschieden im Hinspiel mussten die Münchner an ihre Grenzen gehen. Und fürs Rückspiel gilt der Satz des Trainers Niko Kovac: „Wir haben unsere Grenzen aufgezeigt bekommen.“
Das gilt für die deutschen Mitbewerber ebenfalls. Borussia Dortmund scheint zwar in der Bundesliga auf der vielzitierten Augenhöhe zu den Bayern angekommen zu sein. Aber ein Ausscheiden gegen Tottenham ohne eigenen Treffer zeigt den Mangel an internationaler Klasse. Über Schalke 04 muss im März 2019 niemand reden. Der Zufalls-Vizemeister von 2018 wurde beim 0:7 in Manchester regelrecht zerlegt. Er ist überhaupt nicht konkurrenzfähig.
Die drei geschlagenen deutschen Klubs und die Bundesliga müssen schnell Lehren aus dem Desaster ziehen. Sie werden sicher gern mit dem Hinweis zur Hand sein, dass die Premier League mit ihrem Jahresumsatz von 5,3 Milliarden Euro im Verhältnis zur deutschen Liga (2,8 Milliarden) entschieden besser gestellt ist, und dass jüngeren Erkenntnissen zufolge das Geld nun doch die Tore schießt. Wer das sagt, der unterschlägt allerdings, dass die Premier League in den vergangenen Jahren nicht gerade als Titelhamster der Champions League hervorgetreten ist. Und er unterschlägt, dass im Viertelfinale in dieser Spielzeit in Ajax Amsterdam und dem FC Porto zwei Teams stehen, die zu den vergleichsweise weniger Begüterten zählen.
Sie aber entwickeln ihre Talente auf einem höheren Niveau als die Bundesliga. Oft zum eigenen Leidwesen, weil sich die Talente anschließend häufig in alle Himmelsrichtungen zu den reichen Klubs verabschieden, aber sie liefern immer wieder den Nachweis von Wettbewerbsfähigkeit. Die Bundesliga, das zumindest legt die Momentaufnahme aus dem Achtelfinale nahe, fordert weder in der Ausbildung noch im Spielbetrieb Leistungen oder Wettkampfhärte von internationalem Zuschnitt. Und das ist zunächst mal keine Geldfrage.
Das kollektive Scheitern der deutschen Klubs in Europas wichtigstem Wettbewerb, der Abstieg der Nationalmannschaft aus der Nations League und das Drama bei der WM in Russland beschreiben der Bundesliga den Ausbildungsweg. Sie muss Spieler entwickeln, die offenkundige Nachteile in Tempo, Wettkampfhärte und Erfolgshunger auf Dauer ausgleichen. Die Bundesliga muss aus dem Bequemlichkeitsmodus finden. Sonst wird der deutsche Fußball abgehängt – nicht nur von der Premier League. Sie stellt die Hälfte der Teams im Viertelfinale der Champions League. Wie Ballack schon sagte: „Ein Fingerzeig.“