Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Täter filmte Massaker an Muslimen
49 Menschen sterben bei Moschee-Anschlägen in Christchurch. Der Täter hatte zuvor ein rassistisches, rechtsextremes Manifest veröffentlicht.
CHRISTCHURCH Die Al-Noor-Moschee von Christchurch ist kein Gebäude, das auffällt. Ein eher zweckmäßiger Bau in Weiß, direkt an einem Park, mit goldener Kuppel und Minarett und einem großem Parkplatz davor. Die Muslime Neuseelands sind zwar in der Minderheit, an die Moschee in der Deans Avenue hat man sich aber gewöhnt. An diesem Freitag, kurz vor 13.45 Uhr, die Gemeinde ist zum Freitagsgebet versammelt, marschiert ein schwer bewaffneter, weißer Mann in das Gotteshaus. Auf dem Helm hat er eine Kamera. Der Mann schießt um sich, mindestens 41 Menschen kommen ums Leben, weitere werden mit Schusswunden später in Krankenhäusern behandelt. Bei einem zweiten Angriff auf eine Moschee im Vorort Linwood werden sieben Menschen getötet, ein Mensch stirbt im Krankenhaus. Die Überlebenden berichten über grausame Szenen in beiden Moscheen. Schulen und öffentliche Gebäude werden bis kurz vor 18 Uhr abgeriegelt. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern spricht von einem „terroristischen Angriff“. „In Neuseeland gibt es keinen Platz für extreme Gewalt“, versichert Ardern. „So sind wir nicht.“
Die Täter Als mutmaßlicher Haupttäter wird ein 28-jähriger Australier festgenommen. Er soll am Samstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Zudem gibt es zwei weitere Festnahmen. Neuseeländische Medien berichten unter Berufung auf die australische Polizei mit Nennung des Täternamens, dass es sich bei dem Angreifer um einen gebürtigen Australier handle. Die Ermittler äußerten sich dazu bislang nicht.
Das Video Der Haupttäter zeigt den Angriff live auf Facebook aus der Ich-Perspektive in einem 17 Minuten langen Video. Er trägt einen Tarnanzug, es ist zu sehen, dass mehrere Waffen und Magazine mit Namen und Schriftzügen versehen sind. Laut „Bild“-Zeitung steht darauf unter anderem „Alexandre Bissonette“, der Name des mutmaßlichen Attentäters, der am 29. Januar 2017 bei einem Anschlag in Québec sechs Menschen getötet und 17 weitere verletzt haben soll. Auch „Luca Traini“soll laut „Bild“zu lesen gewesen sein: Dabei handelt es sich um den Namen des Neonazis, der im Februar 2018 in einer italienischen Kleinstadt aus einem Auto heraus auf sechs Menschen mit dunkler Hautfarbe geschossen hatte.
Nach der Tat sagt der Angreifer, dass er bedauere, die Moschee nicht abgebrannt zu haben. Facebook teilt mit, das Video nach einem Hinweis der Polizei entfernt und die Profile des Attentäters sowohl auf Facebook als auch auf Instagram gesperrt zu haben. Die neuseeländische Polizei arbeitet nach eigenen Angaben daran, die Verbreitung des Videos zu verhindern. Ermittler fordern die Öffentlichkeit auf, Links zu dem Video nicht im Internet zu teilen. Auch viele Medien zeigen Bewegtbilder des Anschlags. Premierministerin Ardern unterstützt den Aufruf der Behörden. Diesem „Akt der Gewalt“dürfe kein Raum geboten werden. Dennoch kursiert Filmmaterial weiterhin im Netz.
Auch der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, warnt davor, das Video zu verbreiten. „Solche Videos sind durchaus dazu geeignet, andere Menschen zu solchen Taten zu animieren“, sagt Malchow. „Niemand sollte Filmmaterial, das von solchen Attentaten im Netz kursiert, weiterverbreiten.“Er sieht es als eine neue Form von Terrorismus an, ein Attentat live ins Internet zu stellen.
Die Gesellschaft Neuseeland rühmt sich normalerweise seiner multikulturellen Gesellschaft und galt bisher als freundliches und friedliches Land. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sind europäischstämmig, etwa 15 Prozent gehören den Ureinwohnern, den Maori, an. Knapp acht Prozent kommen aus der Pazifikregion. Nur etwas über ein Prozent der rund 4,8 Millionen Neuseeländer stammt aus dem Mittleren Osten, Lateinamerika oder Afrika.
Premierministerin Ardern bewarb vor Kurzem erst noch ihre Politik der Fürsorge. Im Mai will sie deswegen das weltweit erste Haushaltsbudget „zum Wohlergehen“der Gesellschaft einführen. So hoffte sie auch, Extremisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Unter Umständen wurde jedoch unterschätzt, wie stark die rechtsextreme, nationalistische Szene in Neuseeland wirklich ist.
Bereits Anfang Februar warnte ein Autor des neuseeländischen Mediums „The Spinoff“: „Übersehen wir das Erstarken von Rechtsaußen?“Darin schildert der Autor die „verärgerten Männer mittleren Alters, die den Nationalismus in Neuseeland auf dem Vormarsch sehen wollen“. Die Gesamtzahl der Beteiligten sei nach wie vor gering, hieß es damals, doch viele von ihnen hätten sich bereits in Facebook-Gruppen zusammengeschlossen. Hier würden sie Nachrichtenartikel austauschen und ihre Sorge um eine „bevorstehende muslimische Invasion“zum Ausdruck bringen.
Das Manifest Im Netz kursiert ein 74-seitiges Schreiben, das der Haupttäter kurz vor der Tat veröffentlicht haben soll. Darin wird eine Tat in Christchurch angekündigt und seine rechtsextreme und fremdenfeindliche Motivation dargelegt. Zudem ruft er zu Anschlägen auf ranghohe Politiker auf. Ganz oben auf der Liste stehe Angela Merkel, erklärte er. Das Schreiben nimmt auch auf den norwegischen rechtsextremen Massenmörder Anders Behring Breivik Bezug. Die neuseeländische Polizei äußert sich dazu bisher nicht. Im Manifest heißt es, der Attentäter habe kurz Kontakt mit Breivik gehabt. Dazu erklären sowohl das Gefängnis im norwegischen Skien als auch Breiviks Anwalt, das sei fast unmöglich. Die Reaktionen Angela Merkel schreibt an die neuseeländische Premierministerin Ardern, sie habe mit Entsetzen von der schrecklichen Tat gehört. „Mein aufrichtiges Mitgefühl gilt in dieser Stunde den Angehörigen der Opfer.“Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagt: „Hass und Gewalt gegen Menschen gleich welcher Religion, Herkunft oder Weltanschauung sind durch nichts zu rechtfertigen.“Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht der Generalgouverneurin von Neuseeland, Dame Patricia Lee Reddy, seine Anteilnahme aus: „Deutschland trauert mit Ihnen.“Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin schreibt, Papst Franziskus sei solidarisch mit den Neuseeländern, insbesondere mit den Muslimen. Das Kirchenoberhaupt bete nach den „sinnlosen Gewaltakten“um Heilung der Verletzten, Trost für diejenigen, die ihre Angehörigen verloren hätten, und alle Betroffenen.
(mit Agenturmaterial)