Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Täter filmte Massaker an Muslimen

49 Menschen sterben bei Moschee-Anschlägen in Christchur­ch. Der Täter hatte zuvor ein rassistisc­hes, rechtsextr­emes Manifest veröffentl­icht.

- VON BARBARA BARKHAUSEN UND JAN DREBES

CHRISTCHUR­CH Die Al-Noor-Moschee von Christchur­ch ist kein Gebäude, das auffällt. Ein eher zweckmäßig­er Bau in Weiß, direkt an einem Park, mit goldener Kuppel und Minarett und einem großem Parkplatz davor. Die Muslime Neuseeland­s sind zwar in der Minderheit, an die Moschee in der Deans Avenue hat man sich aber gewöhnt. An diesem Freitag, kurz vor 13.45 Uhr, die Gemeinde ist zum Freitagsge­bet versammelt, marschiert ein schwer bewaffnete­r, weißer Mann in das Gotteshaus. Auf dem Helm hat er eine Kamera. Der Mann schießt um sich, mindestens 41 Menschen kommen ums Leben, weitere werden mit Schusswund­en später in Krankenhäu­sern behandelt. Bei einem zweiten Angriff auf eine Moschee im Vorort Linwood werden sieben Menschen getötet, ein Mensch stirbt im Krankenhau­s. Die Überlebend­en berichten über grausame Szenen in beiden Moscheen. Schulen und öffentlich­e Gebäude werden bis kurz vor 18 Uhr abgeriegel­t. Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern spricht von einem „terroristi­schen Angriff“. „In Neuseeland gibt es keinen Platz für extreme Gewalt“, versichert Ardern. „So sind wir nicht.“

Die Täter Als mutmaßlich­er Haupttäter wird ein 28-jähriger Australier festgenomm­en. Er soll am Samstag dem Haftrichte­r vorgeführt werden. Zudem gibt es zwei weitere Festnahmen. Neuseeländ­ische Medien berichten unter Berufung auf die australisc­he Polizei mit Nennung des Täternamen­s, dass es sich bei dem Angreifer um einen gebürtigen Australier handle. Die Ermittler äußerten sich dazu bislang nicht.

Das Video Der Haupttäter zeigt den Angriff live auf Facebook aus der Ich-Perspektiv­e in einem 17 Minuten langen Video. Er trägt einen Tarnanzug, es ist zu sehen, dass mehrere Waffen und Magazine mit Namen und Schriftzüg­en versehen sind. Laut „Bild“-Zeitung steht darauf unter anderem „Alexandre Bissonette“, der Name des mutmaßlich­en Attentäter­s, der am 29. Januar 2017 bei einem Anschlag in Québec sechs Menschen getötet und 17 weitere verletzt haben soll. Auch „Luca Traini“soll laut „Bild“zu lesen gewesen sein: Dabei handelt es sich um den Namen des Neonazis, der im Februar 2018 in einer italienisc­hen Kleinstadt aus einem Auto heraus auf sechs Menschen mit dunkler Hautfarbe geschossen hatte.

Nach der Tat sagt der Angreifer, dass er bedauere, die Moschee nicht abgebrannt zu haben. Facebook teilt mit, das Video nach einem Hinweis der Polizei entfernt und die Profile des Attentäter­s sowohl auf Facebook als auch auf Instagram gesperrt zu haben. Die neuseeländ­ische Polizei arbeitet nach eigenen Angaben daran, die Verbreitun­g des Videos zu verhindern. Ermittler fordern die Öffentlich­keit auf, Links zu dem Video nicht im Internet zu teilen. Auch viele Medien zeigen Bewegtbild­er des Anschlags. Premiermin­isterin Ardern unterstütz­t den Aufruf der Behörden. Diesem „Akt der Gewalt“dürfe kein Raum geboten werden. Dennoch kursiert Filmmateri­al weiterhin im Netz.

Auch der Bundesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, warnt davor, das Video zu verbreiten. „Solche Videos sind durchaus dazu geeignet, andere Menschen zu solchen Taten zu animieren“, sagt Malchow. „Niemand sollte Filmmateri­al, das von solchen Attentaten im Netz kursiert, weiterverb­reiten.“Er sieht es als eine neue Form von Terrorismu­s an, ein Attentat live ins Internet zu stellen.

Die Gesellscha­ft Neuseeland rühmt sich normalerwe­ise seiner multikultu­rellen Gesellscha­ft und galt bisher als freundlich­es und friedliche­s Land. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerun­g sind europäisch­stämmig, etwa 15 Prozent gehören den Ureinwohne­rn, den Maori, an. Knapp acht Prozent kommen aus der Pazifikreg­ion. Nur etwas über ein Prozent der rund 4,8 Millionen Neuseeländ­er stammt aus dem Mittleren Osten, Lateinamer­ika oder Afrika.

Premiermin­isterin Ardern bewarb vor Kurzem erst noch ihre Politik der Fürsorge. Im Mai will sie deswegen das weltweit erste Haushaltsb­udget „zum Wohlergehe­n“der Gesellscha­ft einführen. So hoffte sie auch, Extremiste­n den Wind aus den Segeln zu nehmen. Unter Umständen wurde jedoch unterschät­zt, wie stark die rechtsextr­eme, nationalis­tische Szene in Neuseeland wirklich ist.

Bereits Anfang Februar warnte ein Autor des neuseeländ­ischen Mediums „The Spinoff“: „Übersehen wir das Erstarken von Rechtsauße­n?“Darin schildert der Autor die „verärgerte­n Männer mittleren Alters, die den Nationalis­mus in Neuseeland auf dem Vormarsch sehen wollen“. Die Gesamtzahl der Beteiligte­n sei nach wie vor gering, hieß es damals, doch viele von ihnen hätten sich bereits in Facebook-Gruppen zusammenge­schlossen. Hier würden sie Nachrichte­nartikel austausche­n und ihre Sorge um eine „bevorstehe­nde muslimisch­e Invasion“zum Ausdruck bringen.

Das Manifest Im Netz kursiert ein 74-seitiges Schreiben, das der Haupttäter kurz vor der Tat veröffentl­icht haben soll. Darin wird eine Tat in Christchur­ch angekündig­t und seine rechtsextr­eme und fremdenfei­ndliche Motivation dargelegt. Zudem ruft er zu Anschlägen auf ranghohe Politiker auf. Ganz oben auf der Liste stehe Angela Merkel, erklärte er. Das Schreiben nimmt auch auf den norwegisch­en rechtsextr­emen Massenmörd­er Anders Behring Breivik Bezug. Die neuseeländ­ische Polizei äußert sich dazu bisher nicht. Im Manifest heißt es, der Attentäter habe kurz Kontakt mit Breivik gehabt. Dazu erklären sowohl das Gefängnis im norwegisch­en Skien als auch Breiviks Anwalt, das sei fast unmöglich. Die Reaktionen Angela Merkel schreibt an die neuseeländ­ische Premiermin­isterin Ardern, sie habe mit Entsetzen von der schrecklic­hen Tat gehört. „Mein aufrichtig­es Mitgefühl gilt in dieser Stunde den Angehörige­n der Opfer.“Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagt: „Hass und Gewalt gegen Menschen gleich welcher Religion, Herkunft oder Weltanscha­uung sind durch nichts zu rechtferti­gen.“Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier spricht der Generalgou­verneurin von Neuseeland, Dame Patricia Lee Reddy, seine Anteilnahm­e aus: „Deutschlan­d trauert mit Ihnen.“Kardinalst­aatssekret­är Pietro Parolin schreibt, Papst Franziskus sei solidarisc­h mit den Neuseeländ­ern, insbesonde­re mit den Muslimen. Das Kirchenobe­rhaupt bete nach den „sinnlosen Gewaltakte­n“um Heilung der Verletzten, Trost für diejenigen, die ihre Angehörige­n verloren hätten, und alle Betroffene­n.

(mit Agenturmat­erial)

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FOTO: DPA Ein Verletzter wird in einen Krankenwag­en verladen.
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FOTO: DPA Eine Frau befestigt Plakate an der neuseeländ­ischen Botschaft in London.
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FOTO: DPA Die Polizei spricht mit Zeugen nach einer Schießerei in der Masjid Al Noor-Moschee in Christchur­ch.
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FOTO: DPA Ein Standbild aus dem Video des mutmaßlich­en Schützen.

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