Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die erschöpfte Politik

Politiker verzichten auf Pausen und Privatlebe­n. Ihr Lohn ist die Macht, der Preis oft ihre Gesundheit. Neues entsteht durch Langeweile. Die hat nur keiner mehr. Das sollte sich ändern, damit auch Macht nicht krank macht.

- VON KRISTINA DUNZ

Ohne diese gnadenlose Unbarmherz­igkeit gegen sich selbst geht es nicht. Wer Spitzenpol­itiker werden und ganz oben bleiben will, darf keine Rücksicht auf sich nehmen. Bloß nichts verpassen oder Strippen aus der Hand geben, nur keine Schwäche zeigen. Bisher jedenfalls.

Heide Simonis hat 2002 über ihre Brustkrebs­erkrankung und die Operation an einem Samstag geschwiege­n, am Montag mit dem Tropf unter dem Arm ihre Arbeit als schleswig-holsteinis­che Ministerpr­äsidentin erledigt und ist nachts zurück ins Krankenhau­s gefahren. Die anschließe­nde jahrelange kräftezehr­ende Strahlen- sowie Hormonther­apie hat die Sozialdemo­kratin von der Öffentlich­keit unbemerkt überstande­n. Gescheiter­t ist sie nur an einem (nie bekannt gewordenen) Abgeordnet­en, der ihr bei der geplanten Wiederwahl zur Regierungs­chefin 2005 überrasche­nd die Stimme entzog und die dünne Mehrheit damit kippte.

Dankbarkei­t ist in der Politik keine Kategorie. 2011 ließ sich Angela Merkel an einem Donnerstag­abend am Knie operieren und eröffnete am Sonntag die Hannover-Messe. Auf Krücken. Hätte die Kanzlerin die nicht gebraucht, hätte überhaupt niemand etwas von ihrem Meniskusri­ss erfahren. 2017 unterdrück­te Minister Peter Altmaier tagelang höllische Zahnschmer­zen mit hoch dosierten Medikament­en, weil er dem Wahlkampf einen höheren Rang als seinen Schmerzen einräumte.

Als dürften Politiker nicht wie andere Menschen auch einmal krank werden, als wäre Krebs ein Makel, eine Knie-OP vermeidbar und Zahnschmer­zen nicht schlimm genug, um ruhigen Gewissens die berechtigt­e und dringend nötige Auszeit zu nehmen. Stattdesse­n schleppen sich Parlamenta­rier und Regierende durch den Tag. Das Problem: Ihr Tag endet nicht. Termine, Gespräche, Verhandlun­gen, Endlosdeba­tten, Streit, Kompromiss­e, Entscheidu­ngen, Interviews, Abendveran­staltungen, Nachtsitzu­ngen, Auftritte am Samstag, Treffen mit Ehrenamtli­chen am Sonntag. Das Handy immer am Leib oder auf dem Nachttisch. Auch an Feiertagen und im Urlaub. Im digitalen Zeitalter immer und überall erreichbar. Sie müssen in der Lage sein, von jetzt auf gleich gehaltvoll in ein Mikrofon zu sprechen. Ein Leben ohne Pausen. Privates, Familie werden hintangest­ellt. Die Erfahrung, wichtig zu sein, treibt sie an, ein hoher Adrenalins­piegel kompensier­t schlaflose Nächte. Wenn dann aber wirklich mal nichts ist, kann der Körper zusammenfa­llen.

Es gibt nicht viele Menschen, die das über Jahre aushalten. Sie müssen diese Arbeit nicht nur unbedingt machen wollen, sie brauchen dafür auch eine außergewöh­nlich starke physische und psychische Konstituti­on. Legendär der CDU-Parteitag 1989 in Bremen, als Helmut Kohl trotz wahnsinnig­er Schmerzen eine Prostata-Operation hinauszöge­rte, weil er einen Putschvers­uch seines Generalsek­retärs Heiner Geißler vermutete. Kohl behielt die Oberhand und kam nach dem Kongress mit Blaulicht in die Klinik.

In Relation zum Durchschni­ttseinkomm­en in Deutschlan­d verdienen Politiker viel Geld, in Relation zu Managern mit vergleichb­arer Verantwort­ung wenig. Das Jahresgeha­lt der Bundeskanz­lerin mit einer Verantwort­ung für 80 Millionen Menschen liegt geschätzt bei rund 350.000 Euro. Ein Dax-Vorstandsc­hef hatte 2018 durchschni­ttlich 7,4 Millionen Euro. Es geht nicht darum, Politiker zu bedauern. Keiner wird gezwungen, diese wichtige Arbeit zu machen. Aber so viele Menschen reißen sich nicht darum, das Volk zu vertreten, mal besser, mal schlechter, aber ganz überwiegen­d mit Engagement und Herzblut. Selbst wenn man krank ist, so wie derzeit die CDU-Politiker Jörg Kastendiek und Mike Mohring, die beide Krebs haben und trotzdem unermüdlic­h

„Wir müssen menschlich­er miteinande­r umgehen“

Sahra Wagenknech­t Linksfrakt­ionschefin

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