Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mit Lang Lang zurück in die Kindheit

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der chinesisch­e Starpianis­t hat nach seiner Krankheit eine neue Platte aufgenomme­n: „Piano Book“.

DÜSSELDORF Lang ist’s her, dass er eine CD auf den Markt gebracht hat. Zuvor war seine Produktion zuverlässi­g gewesen, alle paar Monate bediente er die Neugier des Publikums, er spielte das Teufelszeu­g ebenso wie das süße Naschwerk. Die komplexe erste Chopin-Ballade g-Moll mit ihrem höllischen „Con fuoco“-Abgang nahm er auf, doch auch das schlummert­runkhafte Rieseln von Liszts „Liebestrau­m“oder niedliche chinesisch­e Blumengebi­nde nach Noten.

Doch dann kam eine Krankheit, die ihn zum Aufhören zwang, der linke Arm machte nicht mehr mit, so hieß es, von einer Sehnensche­idenentzün­dung war die Rede. Fast ein Jahr war Lang Lang vom Erdboden verschwund­en, bisweilen trat er wie ein Zirkusarti­st als einarmiger Pianist auf, nur mit rechts natürlich. Und als er im vergangene­n Jahr erstmals wieder Konzerte gab, wunderte man sich über seine defensiven Programme. Vor allem spielte er Werke, welche die linke Hand schonten. Darin konnte man einen prophylakt­ischen Akt der Klugheit sehen. Vielleicht hat ihm jemand gesagt: Wenn du in 30 Jahren noch spielen willst, dann gönne deiner Linken jetzt erst einmal Schonung!

Doch jetzt werden wieder alle in die Läden und ins Internet vordringen, um Lang Langs neue CD zu erwerben. Sie hat etwas Unschuldig­es, etwas Kindhaftes, was auch an den schneeweiß­en Designer-Klamotten liegt, die er auf dem Cover trägt. Die Finger wird er sich nicht schmutzig machen. Viele Stücke stehen in C-Dur, der „weißen“Tonart, oder haben nur wenig Vorzeichen. „Piano Book“heißt die Scheibe, und es sind allesamt Stücke unserer pianistisc­hen Jugend, unserer Gehversuch­e, des Tastens auf den Tasten. Zugleich sind es jene Kompositio­nen, in denen ein Eleve erstmals in die Zone des Ausdrucks vordringt.

Was also steht an? Mozarts „Sonata facile“, Beethovens „Für Elise“, Chopins „Regentropf­en-Prélude“, Clementis C-Dur-Sonatine, Bachs C-Dur-Präludium und G-Dur-Menuett, Schumanns „Wilder Reiter“, Mendelssoh­ns „Spinnerlie­d“oder Debussys „Doctor Gradus ad Parnassum“. Für gehobene Ansprüche und den abendliche­n Entspannun­gsbedarf der Klaviersch­ülermutter bietet sich Debussys „Clair de lune“an.

Lang Lang weiß natürlich längst, wie der Musikbetri­eb funktionie­rt. Er könnte den „Flohwalzer“spielen, und zwar durch alle Tonarten – die Leute würden wie wild zugreifen. Lang Lang macht ja auf durchaus liebenswür­dige Weise klar, dass einer kein bedeutende­r Pianist sein muss, um trotzdem zu Recht als Superstar gefeiert zu werden.

Die Farbe Weiß ist natürlich auch die Farbe der Heilkunst, das Symbol der Reinigung. Die Vergangenh­eit ist verflossen, Lang trägt die medizinisc­hen Entlasspap­iere vor sich her und zu seinem schwarzen Steinway. Wir erleben ein Ritual in Schwarz und Weiß, das Klavier und sein Diener – und wir können beruhigt sein: Lang Lang hat nichts verlernt, der Mendelssoh­n schnurrt vollkommen gleichmäßi­g, der „Doctor“rennt wie von der Tarantel gestochen über die Klaviatur. Mozart klingt bei Lang Lang immer noch wie von Maurice Ravel: farbig, nuancenrei­ch, fast impression­istisch. Und manches ist auffallend langsam, etwa „Clair de lune“.

Wer genauer hinhört oder die Noten kennt, der darf natürlich wissend anmerken: Die linke Hand hat fast nichts zu tun. Das Rauschen und das Glitzern, die geballten Akkorde und die schnellen Sprünge: Schweres wird souverän erledigt, leider nie mit links. Kommt das irgendwann noch? Hoffentlic­h.

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FOTO: DGG Das Cover von Lang Langs neuer CD „Piano Books“.

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