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Freude, roter Götterfunk­en

Auf einem kleinen Parteitag rücken die Sozialdemo­kraten mit Blick auf die Europawahl Ende Mai noch einmal sichtbarer nach links.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die SPD als die Partei der Herzblut-Europäer, der wahren Kämpfer gegen alle Rechtspopu­listen und vor allem der sozialen Gerechtigk­eit – so präsentier­en sich die Sozialdemo­kraten zwei Monate vor der Europawahl. Kernstück ihres Wahlprogra­mms, das 200 Delegierte auf einem kleinen Parteitag am Samstag in Berlin billigten, ist die Forderung nach einem Mindestloh­n von mindestens 60 Prozent des Durchschni­ttslohns, für Deutschlan­d von zwölf Euro pro Stunde. Unternehme­n sollen künftig Mindestste­uersätze zahlen, damit einzelne EU-Länder nicht weiter auf Kosten anderer Steuerdump­ing betreiben. Für Digitalkon­zerne soll noch eine Digitalste­uer hinzukomme­n. Soziale Grundrecht­e will die SPD in einer für alle Mitgliedsl­änder verbindlic­hen Sozialchar­ta festschrei­ben.

Die Aussichten der SPD bei der Europawahl sind bescheiden – deutlich schlechter jedenfalls als 2014. Damals konnte die Partei noch 27,3 Prozent der Wähler überzeugen. Davon ist sie jetzt, nach dem Erstarken der Rechtspopu­listen, weit entfernt. Umfragen sehen sie bei 16 bis 18 Prozent ungefähr auf gleicher Höhe mit den Grünen. In dieser Lage sucht die SPD auf der Europa-Ebene noch einmal deutlicher als in der deutschen Innenpolit­ik ihr Heil in einem Linksruck. Die Rückbesinn­ung auf ihre Kernkompet­enz soziale Gerechtigk­eit ist im Europawahl­programm klar erkennbar.

SPD-Chefin Andrea Nahles warb also für ein sozialeres Europa, „in dem der Mensch das Maß aller Dinge ist“. Zur Finanzieru­ng von höheren Sozialausg­aben will die SPD die Vermögende­n und Besserverd­ienenden und vor allem die Digitalkon­zerne höher besteuern. „Wer in Europa Geld verdient, der muss auch Steuern zahlen“, sagte Spitzenkan­didatin Katarina Barley. Wenn bis Sommer 2020 die Industriel­änderorgan­isation OECD keinen Beschluss über eine Mindestbes­teuerung aller Unternehme­n vorlege, werde es unter deutscher Führung in der EU eine Digitalste­uer auf europäisch­er Ebene oder mit einer „Koalition der Willigen“geben. Frankreich hat die Digitalste­uer bereits im Alleingang eingeführt, die Bundesregi­erung – so auch Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) – dagegen strebt eine Lösung zur höheren Besteuerun­g von Digitalkon­zernen auf OECD-Ebene an.

Nahles grenzte sich auch scharf von rechten Hetzern und Populisten ab. „Wir lassen uns Europa nicht kaputtrede­n. Nicht von einem Salvini. Nicht von einem Gauland. Nicht von einem Orbán“, rief Nahles in Berlin. Jetzt seien „Europäer mit Herzblut“ gefragt. Sie griff CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r an, weil diese sich nicht entschiede­n genug gegen die Rechtspopu­listen aufstelle. Bedroht sei Europa auch von „den Lauen“wie Kramp-Karrenbaue­r, die nicht engagiert genug für die EU einträten. Nahles warf Kramp-Karrenbaue­r insbesonde­re vor, Frankreich mit einer „Symboldeba­tte“unnötig provoziert zu haben. Die CDU-Vorsitzend­e hatte die Abschaffun­g des zweiten Sitzes des Europaparl­aments im französisc­hen Straßburg gefordert, was Widerspruc­h in Paris ausgelöst hatte.

„Die SPD kehrt zu ihrem Markenkern der sozialen Gerechtigk­eit zurück“, sagte der Politikber­ater Michael Spreng. „Das ist nachvollzi­ehbar, denn sie muss sich ja stärker von der Union unterschei­den.“Auf europäisch­er Ebene ließen sich zudem Forderunge­n nach einem hohen Mindestloh­n oder sozialen Mehrausgab­en leichter stellen, denn die Frage, ob das dann auch eingelöst werden könne, falle hier weniger auf die SPD zurück als in Deutschlan­d, wo sie beteiligt sei an der konkreten Regierungs­politik. Aber auch ein noch prononcier­terer Linksschwe­nk werde der Partei bei der Europawahl nicht viel nützen. „Die SPD wird trotzdem ein Desaster erleben“, prophezeit­e Spreng. Die erfolgreic­hen Rechtspopu­listen jagten der SPD Wähler ab – und der schlechte innerparte­iliche Zustand, das Fehlen überzeugen­der Persönlich­keiten an der Spitze, bleibe den Wählern nicht verborgen.

Ein Indiz dafür lieferte vor dem SPD-Konvent die Nachricht, dass der frühere Kanzlerkan­didat und Chef des Europaparl­aments, Martin Schulz, keine persönlich­e Einladung erhalten hatte. Schulz, der wohl profiliert­este SPD-Europapoli­tiker, sah sich brüskiert und blieb dem Konvent daraufhin fern.

Auch Barleys Schlingerk­urs beim Thema Urheberrec­ht wird der SPD eher nicht helfen: Einerseits stellten sich die Spitzenkan­didatin und die Partei auf dem Konvent klar gegen die geplante Reform, weil diese ermögliche­n könnte, dass urheberrec­htlich geschützte Inhalte auf Internetpl­attformen wie Google künftig durch spezielle Uploadfilt­er überprüft werden müssen. Dagegen formiert sich massiver Widerstand, weil viele Kritiker eine Internetze­nsur befürchten – allein am Wochenende gingen Zehntausen­de in Deutschlan­d auf die Straße. Anderersei­ts hat Justizmini­sterin Barley die Urheberrec­htsreform in den EU-Gremien auf Geheiß der Bundeskanz­lerin bereits unterstütz­t. Sie war dazu als Teil der Bundesregi­erung zwar verpflicht­et – doch für die Öffentlich­keit wird die Spitzenkan­didatin dadurch nicht glaubhafte­r.

 ?? FOTO: GETTY ?? SPD-Chefin Andrea Nahles umarmt am Samstag in Berlin beim Parteikonv­ent Justizmini­sterin Katarina Barley, die Spitzenkan­didatin für die Europawahl. Barleys Ko-Kandidat Udo Bullmann (r.) und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil schauen zwar nicht hin, sehen es aber gern.
FOTO: GETTY SPD-Chefin Andrea Nahles umarmt am Samstag in Berlin beim Parteikonv­ent Justizmini­sterin Katarina Barley, die Spitzenkan­didatin für die Europawahl. Barleys Ko-Kandidat Udo Bullmann (r.) und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil schauen zwar nicht hin, sehen es aber gern.

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