Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Borussia entscheidet die Liga
Nach dem 1:2 gegen Leipzig bangt Gladbach um Europa. Das Team beeinflusst aber auch den Titel- und Abstiegskampf.
MÖNCHENGLADBACH Es war kein guter Abend aus Sicht von Borussia Mönchengladbach am Samstag. Auf der einen Seite ging das Spiel gegen RB Leipzig für das Team von Dieter Hecking mit 1:2 verloren. Auf der anderen Seite schrieben auch die Fans der Borussen Negativ-Schlagzeilen. Sie protestierten in den ersten 19 Minuten der Partie durchweg mit Trillerpfeifen und Sprechchören gegen den von Red Bull gesponserten Klub aus Leipzig, breiteten in den ersten Minuten dazu unzählige Anti-Leipzig-Plakate aus — von denen jedoch auch einige unter die Gürtellinie gingen.
Auf einem Banner stand beispielsweise: „Trotz Burnout und null Akzeptanz — ein Leben voller Ignoranz. Fick dich, Rangnick.“Eine Beleidigung gegen RB-Trainer Ralf Rangnick, der 2011 seine Amtszeit bei Schalke 04 aufgrund einer Burnout-Erkrankung beenden musste. „Meinungsfreiheit ist das eine. Aber so etwas gehört sich nicht. Wenn Menschen krank sind, darf das nicht Grund einer Verunglimpfung sein. Man kann zu RB stehen, wie man will. Aber die Personen haben damit nichts zu tun“, sagte Sportdirektor Max Eberl. Auch Hecking war verärgert über die Äußerungen auf einigen Plakaten. „Das ist unsere Gesellschaft. Der Respekt wird weniger. Bei denen, die so etwas schreiben, muss man fragen, ob die einen IQ von minus Null haben“, sagte Borussias Trainer. „Wenn man ins Persönliche geht, habe ich null Verständnis. Das ist für mich unsäglich. Wir können noch so viel erzählen, zur Einsicht werden diese Leute nicht kommen.“
Borussia entschuldigte sich hinterher auch offiziell auf ihrer Internetseite. Zwar waren unter dem Motto „Pro Traditionsverein“Spruchbänder angekündigt und genehmigt worden, die beleidigenden Transparente gegen Rangnick gehörten da jedoch nicht dazu. „Wir wollen nicht, dass solche Banner gezeigt werden. Wie das ins Stadion gekommen ist, kann ich nicht sagen“, meinte Pressesprecher Markus Aretz. Zudem gab der Verein an, dass der Ordnungsdienst das Aufhängen weiterer Spruchbänder verhindert und einige Fans festgehalten habe, worauf die Polizei die Personalien aufnahm und ein Tagesstadionverbot aussprach.
Geholfen hat dieser Protest dem Team nicht. Leipzig ging früh, in der Phase des Fan-Aufstands gegen RB, in Führung und besiegte die Borussen, die damit einen laut Verteidiger Tony Jantschke „kleinen Rückschlag“im Kampf um das europäische Geschäft, bestenfalls die Champions League, hinnehmen mussten. „Wir sind aber mittendrin und dass wir vier Spieltage vor Schluss etwas sicher haben, das wäre utopisch gewesen“, beschwichtigte Mittelfeldspieler Christoph Kramer.
Die letzten vier Spiele versprechen Hochspannung für die Gladbacher. Aber nicht nur für die. Die Borussen sind beteiligt an allen Entscheidungen in der Bundesliga. Am kommenden Samstag spielen sie in Stuttgart, zwei Wochen später gegen Nürnberg und nehmen so Einfluss auf den Abstiegskampf. Bei Borussias Duell nächste Woche gegen 1899 Hoffenheim geht es für beide um die Frage: Champions League, Europa League oder gar nichts? Und am letzten Spieltag könnte Gladbach im Borussen-Duell gegen Dortmund noch das Zünglein an der Waage im Titelkampf des BVB gegen Bayern München werden.
Doch für die Mönchengladbacher liegt das Augenmerk einzig auf der eigenen Situation. Dass alle Gegner aber selbst noch für ihre Ziele kämpfen, macht die letzten Aufgaben für Borussia nicht gerade einfacher. Doch Max Eberl geht optimistisch an den Endspurt heran. „Es sind noch vier Spiele, und wir sind noch komplett dabei. Wenn wir die Leistung wie gegen Leipzig noch viermal bringen, dann werden wir Punkte machen. Ob es dann reicht, weiß ich nicht. Aber andere müssen erstmal aufholen“, sagte der Sportdirektor.
Was er damit meint, ist die Ausgangsposition in Sachen Europa League. Die Gladbacher sind nach wie vor Fünfter, sie haben einen Punkt Vorsprung auf Hoffenheim, drei Zähler auf Leverkusen. Der siebte Platz würde immerhin für die Qualifikation zur Europa League berechtigen, sofern Bayern (bestreitet Mittwoch sein Halbfinale in Bremen) oder Leipzig (Dienstag in Hamburg) den DFB-Pokal gewinnen. Doch auch Werder Bremen und der VfL Wolfsburg sind in Schlagdistanz und könnten die Europa-Ambitionen der Borussen komplett zerstören.
Doch eigentlich blicken die Gladbacher sowieso nicht nach unten, sondern wollen noch einen Platz nach oben und in die Champions League. Dafür sind Ausrutscher von nun an jedoch verboten.
Max Eberl fand deutliche Worte: „Meinungsfreiheit ist das eine. Aber so etwas gehört sich nicht. Wenn Menschen krank sind, darf das nicht Grund einer Verunglimpfung sein. Man kann zu RB stehen, wie man will. Aber die Personen haben damit nichts zu tun“, sagte der Sportdirektor über die beleidigenden Spruchbänder gegen RB-Trainer Ralf Rangnick, die als Protest gedacht waren. In diesem Statement steckte so viel Wahrheit.
Die Fans dürfen sich über das Geschäftsmodell Red Bull beklagen, auch öffentlich. Diese Proteste schweifen jedoch oft ins Persönliche ab, wie nun bei Rangnick, dessen Burnout-Erkrankung auf einem Plakat thematisiert worden ist. Das geht nicht. Beleidigungen sind kein Protest, sondern schlicht der Versuch, Menschen zu verletzen. Eine Diskussion über die fremdfinanzierten Klubs entsteht dadurch nicht. Häufig wird Stimmung gegen jemanden gemacht und versucht, anderen Schaden zuzufügen, statt der eigenen Mannschaft zu helfen. So war es auch in den ersten 19 Minuten am Samstag im Borussia-Park. Erst stand Leipzig im Fadenkreuz, dann der Schiedsrichter. Es ist, und das sei klar gesagt, nicht die Schuld der Gladbacher Fans gewesen, dass ihr Team zu diesem Zeitpunkt bereits zurück lag. Offensichtlich war aber, dass Borussia mit der Unterstützung ihrer Fans eine starke Leistung in der letzten halben Stunde zeigte. Die Frage ist, was in dieser Phase wichtiger ist: der Protest oder die Unterstützung? In knapp zwei Wochen ist Hoffenheim, der zweite Erzfeind der Fans, im Borussia-Park zu
Gast. An diesem Tag könnte eine Vorentscheidung fallen, ob Borussia die Champions League oder Europa League erreicht — oder vielleicht ganz leer ausgeht. Daran sollten die Zuschauer denken.
SEBASTIAN HOCHRAINER