Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Flixbus nach Unfall in der Kritik

Nach dem schweren Unfall eines Reisebusse­s der Firma Flixbus erläutert ein Kfz-Experte des Tüv Rheinland, welches Sicherheit­ssystem für Fernbusse Standard sein sollte. Verdi kritisiert die Partnersch­aften des Reisebusun­ternehmens.

- VON ALEV DOGAN

LEIPZIG/DÜSSELDORF Eine Frau stirbt, 72 Verletzte, davon neun schwer, darunter auch der 59-jährige Busfahrer – das ist die Bilanz des Flixbus-Unfalls vom Sonntag auf der A9 nahe Leipzig. Der Bus war von der Fahrbahn abgekommen und umgekippt. Derzeit wird er laut Polizei untersucht, die Passagiere erhielten Anhörungsb­ögen. Die Autobahnpo­lizei hatte erklärt, nach ersten Ermittlung­en könnte Sekundensc­hlaf des Fahrers zu dem Unfall geführt haben. Eine Polizeispr­echerin in Halle bestätigte das am Montagmorg­en nicht.

Thorsten Rechtien ist Kfz-Experte beim Tüv Rheinland und weiß, welche Assistenzs­ysteme den Fahrer in Gefahrenla­gen unterstütz­en können. „Es gibt Kontrollsy­steme, die das Fahrverhal­ten analysiere­n, zum Beispiel die Spurhaltea­ssistenz“, sagt Rechtien. Solche Systeme könnten unterschei­den zwischen einem bewussten Spurwechse­l und einem unkontroll­ierten Verlassen der Fahrbahn. „In so einem Fall gibt das System einen leichten Lenkimpuls“, erläutert Rechtien. Bedeutet: Das Lenkrad steuert leicht gegen, gleichzeit­ig vibriert es, um den Fahrer darauf aufmerksam zu machen, dass er aus der Fahrbahn schert.

Systeme wie die Spurhaltea­ssistenz könnten zwar hilfreich sein, mehr aber auch nicht: „Diese Systeme suggeriere­n zwar vermeintli­che Sicherheit, doch als erstes kommt immer noch der Mensch“, sagt Rechtien. „Ein System kann nur fünf bis zehn Prozent der Sicherheit ausmachen, der Rest hängt vom Fahrer ab. Es gibt auch Situatione­n, da kann kein System der Welt helfen.“Pflicht sind solche Systeme für Reisebusse allerdings nicht: „Eine Pflicht zu Spurhaltea­ssistenten für Reisebusse und Lkw würde aber Sinn ergeben“, sagt Rechtien.

Nach Angaben von Flixbus hat es an moderner Technik nicht gemangelt: „Die Fernbusflo­tte, die für uns im Einsatz ist, ist mit modernsten Sicherheit­ssystemen ausgestatt­et“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Zur Ausstattun­g gehörten unter anderem ein Spurhalte- und Aufmerksam­keitsassis­tent sowie ein Abstandsre­geltempoma­t. Das Fahrzeug sei im April inspiziert worden, Beanstandu­ngen habe es keine gegeben. Ob der Unfallbus einen Aufmerksam­keitsassis­tenten hat, konnte der Sprecher nicht sagen. Die Einhaltung der vorgeschri­ebenen Lenk- und Ruhezeiten werde regelmäßig kontrollie­rt, auch mithilfe von Satelliten­daten. Nachts seien immer zwei Fahrer an Bord.

Der Fahrer konnte aufgrund seiner schweren Verletzung­en nicht befragt werden. Er war laut Flixbus bei einem Subunterne­hmer angestellt. „Flixbus arbeitet mit regionalen Buspartner­unternehme­n zusammen“, erklärte ein Sprecher. Bei denen seien die Fahrer angestellt.

Einen Einblick in diese Partnersch­aften gibt Mira Ball, Leiterin der Fachgruppe Busse und Bahnen bei Verdi. „Die Partnerunt­ernehmen von Flixbus haben sich in den vergangene­n Jahren sehr verändert“, sagt Ball. „Anfänglich hat Flixbus nur mit deutschen Unternehme­n zusammenge­arbeitet. Mittlerwei­le hat sich der Anteil deutscher Unternehme­n rapide reduziert.“Der übergroße Teil seien nun ausländisc­he Firmen. „Auch die Fahrer kommen oft nicht aus Deutschlan­d, sind oft nicht einmal Angestellt­e der Partnerfir­men, sondern werden über Personalag­enturen vermittelt“, so Ball. „Deswegen sind die Fahrer der Flixbus-Flotte für uns als Gewerkscha­ft so schwer zu greifen: Das fängt beim Sprachprob­lem an und hört bei Flixbus auf, die nur auf die Subunterne­hmer verweisen.“

In puncto Arbeitnehm­errechte gehörten die Firmen auch nicht zur Speerspitz­e: „Unter den Unternehme­nspartnern von Flixbus ist mir kein einziges bekannt, das tarifgebun­den wäre oder einen Betriebsra­t hätte.“Balls Fazit: „Wer die Preise trotz steigender Kosten nicht erhöhen will, der kann, um seine Profitspan­ne zu vergrößern, nur an einer Stelle sparen: beim Fahrer.“

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