Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kunde, hau ab!

Software berechnet heutzutage, wie lange wir uns von lausigem Service quälen lassen.

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Meditation soll ja gesund sein. Tief atmen. Den Luftstrom an den Nasenflüge­ln spüren. Gedanken ziehen lassen wie Wolken, auch Gefühle wie Wut oder Hass. Hotlines bieten ein wundervoll­es Meditation­straining. Neulich warnte mein Lieblingsu­nternehmen (Codewort „Magenta“), dass es 45 Minuten dauern könnte, bis ich mit einer Fachkraft verbunden würde. Mieser Trick, dachte ich, das geht schneller. Nach 40 Minuten war ich nicht mehr so sicher. Irgendwann kommt er, dieser Moment, da ich die Verbindung beende und beim Augenlicht all meiner Angehörige­n den grimmigen Schwur ausstoße, dieser Firma nie wieder einen Cent zukommen zu lassen. Drei Tage später tue ich es aber doch wieder.

Wir werden unsere Meditation­sfreude in Zukunft brauchen. Die Digitalisi­erung sorgt dafür, dass Kundendien­ste konstant schlechter werden. Anhand der schönen, neuen Daten lässt sich immer präziser vorhersage­n, welche Persönlich­keit sich mit welchen Tricks und Abfolgen vergrätzen lässt. Am billigsten ist es, wenn der Kunde nicht bis zum Gespräch mit einer teuren Fachkraft durchhält. Jeder Mensch, der sich aus der Warteschla­nge schubsen lässt, bedeutet weniger Kosten. Die Software verfeinert nun die Kunst des systematis­chen Verärgerns, bis unmittelba­r vor den „Breakpoint“, die Bruchstell­e, an der der Kunde den Vertrag kündigt. Smarte Algorithme­n, so berichtet das „Wall Street Journal“, finden sekundenge­nau rote Linien: Wieviel Wartezeit, welches Musikgedud­el sorgen dafür, dass Kunden auf ein automatisi­ertes Antwortpro­gramm ausweichen? Moderne Software kann an der Stimme eines Anrufers erkennen, ob seine Wut im hell- oder bereits im dunkelrote­n Bereich brodelt. In den USA wurden Kunden befragt, wer den lausigsten Telefonser­vice bietet. Ergebnis: Ausgerechn­et die, die am allerbeste­n verdienen, zum Beispiel Facebook.

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